Sie setzte sich und sah sich nervös um.
Das Wartezimmer war in beruhigenden Grüntönen gehalten und hübsch eingerichtet: An den beiden Längsseiten standen jeweils drei Korbstühle, dazwischen befand sich ein passender Tisch mit Zeitschriften.
In einer Ecke gab es einen Spieltisch mit zwei Kinderstühlen und darunter eine Kiste mit Legosteinen und eine mit Malsachen. Der Anblick ließ Svenja an Julian denken, der mit seiner Schwester ganz allein zu Hause war. Mit elf Jahren war er zwar alt genug, um mal für ein oder zwei Stunden unbeaufsichtigt zu sein und auf Jana aufzupassen, dennoch hatte Svenja immer ein ungutes Gefühl dabei.
Um sich abzulenken, stand sie auf und trat ans Fenster. Von hier aus konnte sie auf die leicht abschüssige Rathausstraße hinabsehen. Autos, Busse und Motorräder rumpelten lautstark über das Kopfsteinpflaster, auf den Gehwegen schlenderten oder eilten Passanten.
Svenja ging zurück zu ihrem Stuhl und sah noch einmal ihre Unterlagen durch. Ein mutloses Seufzen entrang sich ihrer Brust. Viel war es nicht, was sie zu vorzuweisen hatte. Sie machte sich nichts vor; dass Eva Heckenburg sie einstellen würde, war ziemlich unwahrscheinlich.
Es dauerte knapp zehn Minuten, bis die Sekretärin in der Tür zum Wartezimmer auftauchte und Svenja bat, ihr zu folgen. Als sie in Frau Heckenburgs Büro traten, stand die Anwältin von ihrem Platz hinter dem mit Aktenbergen beladenen Schreibtisch auf und kam Svenja entgegen.
»Frau Schiller, wie schön, dass Sie gleich Zeit hatten«, sagte sie liebenswürdig und reichte ihr eine mit mehreren großen, goldenen Ringen geschmückte Hand. »Setzen Sie sich. Möchten Sie einen Kaffee?«
Svenja nahm auf einem der beiden Stühle vor dem Schreibtisch Platz. »Ja, sehr gern. Danke.«
Frau Heckenburg nickte ihrer Mitarbeiterin zu.
Nachdem diese die Tür wieder geschlossen hatte, warf die Anwältin einen Blick auf die Bewerbungsmappe in Svenjas Hand: »Darf ich?«
»Natürlich.«
Die Mappe wanderte über den Schreibtisch und Eva Heckenburg blätterte durch die wenigen Seiten.
Svenja musterte sie währenddessen. Die Anwältin war vermutlich Mitte Vierzig, also etwa zehn Jahre älter als sie selbst. Sie hatte kurzes, stufig geschnittenes hellblondes Haar und trug dazu große, runde Schildplatt-Ohrringe.
Ihre rote, eckig geformte Brille kontrastierte hervorragend mit dem leicht runden Gesicht. Svenja hatte den Eindruck, dass die Anwältin eine Person war, die genau wusste, was sie wollte. Und wie sie es bekam.
Eva Heckenburg sah auf und unterbrach damit Svenjas Überlegungen.
»Sie haben nie praktiziert?«, vergewisserte sie sich.
Svenja schüttelte verlegen den Kopf. »Leider nein. Direkt nach dem Studium wurde ich schwanger und habe geheiratet. In den letzten Jahren habe ich mich voll auf meine Familie konzentriert. Doch jetzt sind die Kinder aus dem Gröbsten heraus und ich würde wirklich gern endlich als Anwältin arbeiten.«
Eva Heckenburg nickte langsam, den Blick nach wie vor auf die Unterlagen in ihren Händen gerichtet. »Es hat sich einiges verändert in den letzten Jahren«, sagte sie ernst. »Wir bearbeiten sehr viele Familienrechtssachen und gerade im Hinblick auf den Unterhalt gibt es eine Menge Neuerungen. Das gilt auch für das Kostenrecht. Die BRAGO wurde vom RVG abgelöst. Sind Sie einigermaßen auf dem Laufenden?«
Natürlich kannte Svenja die Kurzformen für die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung und das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, doch mit den entsprechenden neuen Paragraphen hatte sie noch nie gearbeitet. Wie auch?
»Ich habe darüber gelesen und mich informiert, ja. Praktisch anwenden konnte ich diese Kenntnisse leider noch nicht. Doch ich bin gern bereit, mich einzuarbeiten und das Versäumte möglichst rasch nachzuholen. Ich könnte Seminare und Fortbildungen besuchen oder -«
Die Tür öffnete sich und die Sekretärin stellte ein Tablett mit zwei Tassen Kaffee, einem Sahnekännchen und einem Zuckertopf auf den Schreibtisch. Dann lächelte sie Svenja kurz zu und ging wieder hinaus.
Eva Heckenburg goss etwas Sahne in ihre Tasse.
»Was das Thema Seminare angeht … Ich bräuchte recht bald einen Ersatz für meinen Partner«, gab sie zu bedenken und lehnte sich mit der Tasse in beiden Händen zurück.
»Spätestens zum ersten Juli. Für einen Anwalt allein haben wir einfach zu viele laufende Fälle. Das ist auf Dauer nicht zu schaffen. Glauben Sie, bis dahin könnten Sie -«
»Ganz sicher.« Svenja nickte der Anwältin überzeugt zu. »Ich hatte in der letzten Zeit so wenig zu tun, dass ich froh wäre, endlich wieder etwas Nützliches machen zu können, das mir darüber hinaus auch Freude bringt.« Sie nippte an ihrem Kaffee. Mit einem Lächeln stellte sie die Tasse wieder zurück. »Es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb ich gern hier arbeiten würde.«
»Und der wäre?«
Svenja schlug die Beine übereinander und schmunzelte. »Der Kaffee ist einfach köstlich.«
Eva Heckenburg musste lachen. »Ja, ich weiß, er schmeckt toll.« Dann wurde sie wieder ernst. »Sie gefallen mir, Frau Schiller. Ich glaube, wir kämen gut miteinander zurecht.«
»Das Gefühl habe ich auch«, stimmte Svenja erleichtert zu.
»Vielleicht könnten Sie sich in den nächsten Tagen darüber informieren, ob in Kürze entsprechende Seminare angeboten werden«, schlug die Anwältin vor.
»Das werde ich ganz gewiss tun.«
Eva Heckenburg zeigte Svenja noch die Räumlichkeiten und das Zimmer, das eventuell ihr Büro werden würde, dann verabschiedeten sie sich voneinander.
»Natürlich kann ich jetzt noch keine endgültige Entscheidung fällen, das verstehen Sie sicher.«
Frau Heckenburg schüttelte Svenja lächelnd die Hand. »Aber halten Sie mich auf dem Laufenden. Je mehr Einsatz ich feststelle, desto besser stehen Ihre Chancen.«
***
Kristina brütete über Klassenarbeiten zum Thema ›Weimarer Republik‹, als sie hörte, dass die Haustür ins Schloss fiel. Sie presste die Lippen aufeinander. Stephan hatte also wieder einmal das Haus verlassen, ohne sich zu verabschieden.
Er nahm sich inzwischen recht oft abends etwas vor. Gemeinsamen Abenden mit ihr ging er so häufig wie möglich aus dem Weg.
Verwunderlich war das nicht. Wenn sie beide zu Hause waren, war die Atmosphäre so frostig, als säßen sie in einem Iglu am Nordpol.
Er wartete immer noch darauf, dass sie einlenkte und die geplante Fahrt nach Berlin absagte. Das jedoch kam für Kristina überhaupt nicht in Frage.
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