Sie war es satt, zu Kreuze zu kriechen.
Außerdem wollte sie nach Berlin. Sie freute sich auf Jans unbekümmertes Grinsen, auf Yvonnes Herzlichkeit, auf Marius‹ ruhige, freundliche Art, und vor allem auf Svenja, der sie mehr vertraute als sonst jemandem.
Am vergangenen Abend hatten Stephan und sie erneut diskutiert – nein, vielmehr gestritten – und schließlich hatte sie wütend zu ihm gesagt, wenn er nicht mitwolle, könne er ja zu Hause bleiben. Sie würde auf jeden Fall fahren. Ende der Debatte.
Und das Ergebnis? Wieder einmal waren sie schlafen gegangen, ohne sich wie früher vorher zu versöhnen. Jeder fühlte sich unverstanden. Sie lagen zwar im selben Bett, doch zwischen ihnen war eine Mauer, so hoch und unüberwindlich wie eine mittelalterliche Festung. Kein Wunder, dass der Traum sie erneut gequält hatte.
Kristina leerte ihren Becher und vertiefte sich in die Einladung zur Hochzeit. Noch war offen, ob sie allein fahren oder ob Stephan sie begleiten würde.
Inzwischen war sie nicht einmal mehr sicher, ob ihr überhaupt daran lag, dass er mitkam.
»Morgen.« Stephan betrat schlurfend die Küche, in kurzen grauen Shorts und dem ausgewaschenen gelben T-Shirt, das ihn immer so blass und krank aussehen ließ.
Während sie Jans Brief zusammenfaltete, musterte sie ihn. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Er hatte offenbar nicht besonders gut geschlafen. Recht so. Sie hatte schließlich auch keine angenehme Nacht gehabt.
Stephan goss sich ebenfalls einen Kaffee ein, dann setzte er sich ihr gegenüber an den Tisch. Sein Blick fiel auf die Einladung und den Brief. Schweigend sahen sie sich an. Er nippte an seinem Kaffee und räusperte sich.
»Ich habe darüber nachgedacht. Wenn du unbedingt hinfahren möchtest, dann komme ich eben mit.«
Sie wunderte sich über die Sinneswandlung, zuckte aber nur mit den Achseln. »Wie du willst.«
Stille. Eine einsame Fliege schwirrte umher, ansonsten war nur das Geräusch der Küchenuhr zu hören und das Zwitschern der Vögel im Vorgarten.
»Es ist dir egal, oder?«
Er bemühte sich sichtlich, seine Erschütterung über diese offensichtliche Tatsache vor ihr zu verbergen, doch sie kannte ihn zu gut, als dass es ihr entgangen wäre. Sie hob das Kinn und sah ihn geradewegs an. »Ganz ehrlich? Ja. Es ist mir gleich. Denn so, wie es im Moment zwischen uns beiden läuft, wäre eine Pause vielleicht sogar ganz gut.«
»Das könnte dir so passen!« Stephan stand so abrupt auf, dass die Stuhlbeine auf dem Fliesenboden einen misstönenden Laut erzeugten. Er lehnte sich an die Arbeitsplatte, funkelte sie wütend an und verschränkte die Arme. »Damit du dich ungestört mit Jan auf irgendeinem Teppich wälzen kannst. Oder mit einem anderen. Vergiss es!«
Kristinas Hände, die sie um den leeren Kaffeebecher gelegt hatten, verkrampften sich, so dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.
»Zum einhundertsten Mal: Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Und ich habe dafür bezahlt, verdammt noch mal! Seit Monaten lässt du mich am ausgestreckten Arm verhungern, egal wie oft ich dich um Verzeihung gebeten habe.«
Er schwieg. Traurig schaute sie ihn an. »Ich kann nicht mehr, Stephan. So geht es nicht weiter. Entweder du kommst langsam darüber hinweg und gibst unserer Ehe noch eine ernsthafte Chance, oder wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen.«
Seine Augen wurden schmal. »Redest du von Scheidung?«
Sie lehnte sich auf dem Korbstuhl zurück und nun war sie es, die die Arme verschränkte. »Zumindest von einer räumlichen Trennung, ja. Denn wenn es so zwischen uns weitergeht, macht es uns beide früher oder später kaputt.«
Stephan schnaubte und riss empört die Arme hoch. »Entschuldige vielmals, dass ich nicht gleich wieder zur Tagesordnung übergehen kann, wenn du dich nackt mit deinem ›alten Freund‹ auf einem Teppich herumwälzt wie eine billige -«
»Das reicht!« Kristina stand auf, so schnell, dass ihr Stuhl um ein Haar umgefallen wäre. In scharfem Ton fuhr sie fort. »Ich habe keine Kraft mehr für diese müßigen Streitereien. Und jetzt entschuldige mich, ich muss die Kinder wecken. Wenn sie von dem Lärm noch nicht aufgewacht sind.« Ohne ein weiteres Wort rauschte sie an ihm vorbei und verließ den Raum.
Nachdem Marco und Leonie ihr verschlafen versichert hatten, sie würden gleich aufstehen, verdrückte sich Kristina ins Bad. Dort starrte sie in den Spiegel.
Sie hatte alles kaputt gemacht. Hatte sich von Jan einlullen lassen wie eine fünfzehnjährige graue Maus, die um Aufmerksamkeit buhlte. Wollte einmal im Leben nicht vernünftig sein. Und was hatte es ihr gebracht? Immer wiederkehrende Alpträume von dem furchtbaren Moment, in dem ihr Mann sie in flagranti erwischt hatte, und eine Ehe, die auf der Kippe stand, so sehr, dass sie fast Bodenkontakt hatte.
Tief in ihrem Inneren ahnte Kristina, dass das Wochenende bei Jan und Yvonne eine Entscheidung bringen würde. Entweder wäre danach alles vorbei, oder sie und Stephan würden wieder zueinander finden.
Im Augenblick war sie geneigt, von Ersterem auszugehen.
***
Während Svenja Schiller Kartoffeln schälte, warf sie einen kurzen Blick auf die Wanduhr. Es war viertel vor eins. Julian und Jana würden erst in einer halben Stunde hungrig auf der Matte stehen.
Svenja sah aus dem Küchenfenster hinaus in den Vorgarten. Vom Kirschbaum waren die schönen rosa Blüten abgefallen und lagen wie eine flauschige Decke um den dicken Baumstamm herum.
Die hübsch gestreifte Nachbarskatze stapfte vorsichtig darin herum, und wenn der Wind die Blüten bewegte, jagte sie wie ein Derwisch hinter ihnen her. Es war ein niedlicher, idyllischer Anblick, der Svenja unwillkürlich lächeln ließ.
Als sie zwei Packungen mit Fischstäbchen aus dem Gefrierschrank hervorkramte, klingelte das Telefon. Die kalten Packungen in der Hand schlug sie die Schranktür zu und hetzte ins Wohnzimmer.
Ein Blick auf das Display zeigte ihr, dass es Marius war, der aus der Klinik anrief.
»Hallo Liebling,« meldete sie sich erfreut.
»Hi!« Er klang ein wenig abgehetzt. »Ich habe nicht viel Zeit, weil ich in den OP muss. Hol dir doch bitte schnell einen Zettel und einen Stift.«
In der Küche legte sie die Fischstäbchen zur Seite, öffnete eine Küchenschublade und zog einen Kuli und einen Notizblock heraus.
»Ok, ich bin bereit. Worum geht es?«
»Mein Freund Rüdiger hat mich angerufen, du weißt schon, der Anwalt. Er hat von einer Kollegin gehört, deren Partner aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig aufhören musste. Sie sucht daher dringend jemanden, der bei ihr einsteigt. Ich dachte, das wäre vielleicht das Richtige für dich.«
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