Svenja schnalzte mit der Zunge. »Na, das kann ja heiter werden.«
»Ja«, seufzte Kristina. »Das befürchte ich auch.«
»Hast du immer noch diese Albträume?«
»Immer mal wieder, ja.«
»Mach dir keine Sorgen, hörst du? Irgendwann hören die von allein auf. Da bin ich sicher.«
»Mag sein«, stimmte Kristina mit leisem Zweifel zu.
»Aber wohl erst dann, wenn Stephan mir meinen Fehltritt verzeiht. Und bis dahin wird noch sehr viel Wasser die Elbe herunterfließen, fürchte ich.«
***
Jan Schroeder drückte den Knopf der Senseo-Kaffeemaschine und lauschte dem monotonen Brummen, während ein dünner Strahl Kaffee in den Becher lief. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und gähnte herzhaft.
Sein Blick fiel nach draußen. Der Balkon vor der Küche ging nach Osten und sah sonnig und einladend aus.
Jan nahm seinen Kaffeebecher, öffnete die Balkontür und trat hinaus. Es war noch nicht einmal Mitte Mai, doch selbst um diese frühe Uhrzeit wärmten die Sonnenstrahlen schon recht stark.
Diese Woche sollte das Wetter noch so schön bleiben. Die letzte Woche seines Junggesellendaseins.
In fünf Tagen würde Yvonne ihm einen schmalen, goldenen Ring über den Finger streifen – das Symbol schlechthin für Spießigkeit, Abhängigkeit und Verpflichtung einem anderen Menschen gegenüber.
Zumindest hatte er es früher so empfunden.
Jan horchte tief in sich hinein und versuchte herauszufinden, was dieser Gedanke bei ihm auslöste.
Fühlte er Trauer oder Angst vor diesem großen Schritt? Bedauern, dass die wilde Zeit endgültig vorbei war?
Beruhigt stellte er fest, dass die Freude überwog. Er schien wirklich langsam erwachsen zu werden.
Im Gefängnis war ihm klar geworden, dass es Zeit wurde, etwas zu verändern. In den knapp drei Monaten bis zur Verhandlung hatte er sehr viel Gelegenheit zum Nachdenken gehabt.
Seitdem wusste er, dass Yvonne und er zusammen gehörten und er sich glücklich schätzen konnte, dass sie ihn noch nicht zum Teufel gejagt hatte.
Gründe dafür hatte er ihr wirklich reichlich geliefert.
Während er vorsichtig an dem heißen Kaffee nippte und in die Sonne blinzelte, beschloss er, auf dem Balkon den Frühstückstisch zu decken.
Es war herrlich warm und sie konnten über die Oranienburger Straße sehen, bis hin zu der Neuen Synagoge, deren goldene Kuppel in der Sonne glänzte und funkelte wie eine gigantische Krone.
Der Gedanke, Yvonne eine Freude zu machen, beflügelte seine Energie und sogleich begann er, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Bald darauf schlurfte Yvonne gähnend in die Küche, in weiße Baumwollshorts und ein lilafarbenes T-Shirt gehüllt, auf dem in orangefarbenen Buchstaben das Logo › Workout & Wellness‹ prangte. Ihre langen blonden Locken fielen ungekämmt über Schultern und Rücken.
Jan kam gut gelaunt durch die Balkontür auf sie zu. »Guten Morgen, Engel!«, rief er munter. »Hast du gut geschlafen?«
Sie brummte zustimmend.
Er gab ihr einen Kuss und strich zärtlich über ihren leicht gewölbten Bauch. »Das Frühstück ist gleich fertig. Setz dich.«
Verwundert und ein wenig misstrauisch sah sie ihren Verlobten an. »Was is’n mit dir los? Haste was angestellt?«
»Bisher nicht«, lächelte er zufrieden. »Aber mit dieser Überraschung habe ich einen gut, oder?«
Sie ging nicht darauf ein, sondern trat auf den Balkon hinaus. »Mannohmann, du hast dir ja echt Mühe gegeben.«
Er lächelte stolz. Auf der mit Mohnblumen bedruckten Tischdecke befanden sich ein Brotkorb mit frischen Weißbrotscheiben sowie Butter, Käse und Marmelade. Für Yvonne standen Cornflakes und eine kleine Karaffe mit Milch bereit, außerdem zwei Bananen. Dazu gab es Kaffee und Orangensaft.
Sie drehte sich um und gab ihm einen Kuss. »Danke, Schnucki, das ist echt lieb von dir.«
»Ich dachte nur, es wäre ganz nett, in der Sonne zu frühstücken.« Er schob ihr einen Stuhl hin, setzte sich auf seinen Platz und nahm sich eine Scheibe Brot. Yvonne füllte Flakes und Milch in die Schüssel und schnitt eine Banane hinein.
»Wann kommen deine Eltern?«, wollte sie wissen und schob sich einen vollen Löffel in den Mund. Die Flakes knirschten, als sie sie zermalmte.
»Irgendwann morgen Abend. Sie wollen dann mit uns essen gehen.« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Stimmt ja, ich muss noch einen Tisch reservieren.«
»Bei Luigi?«
Jan nickte und belegte sein Brot mit einer Scheibe Käse, auf der er Marmelade verteilte.
»Ist ja nahe liegend, im wörtlichen Sinne. Immerhin liegt sein Restaurant ziemlich genau zwischen hier und dem Hotel, das meine Eltern gebucht haben.«
»Ich freu mich drauf, sie endlich kennenzulernen.«
»Warte es ab«, unkte Jan. »Meine Mutter wird dich durchleuchten wie ein Röntgenapparat und mein Vater wird nichts unversucht lassen, um dich davon zu überzeugen, dass du auf der ganzen Welt keinen größeren Versager hättest finden können.«
»Ach, Schnucki …«
»Doch wirklich! Das Netteste, was die beiden je getan haben, war, nach Mallorca umzusiedeln, damit wir uns möglichst selten sehen müssen.«
»Sie sind doch wohl kaum wegen dir dahin gezogen.«
Jan zuckte mit den Schultern. »Sie waren so höflich, andere Gründe vorzuschieben.«
Yvonne hob eine Augenbraue und wechselte das Thema. »Wann kommen die anderen?«
»Am Freitag«, antwortete Jan, biss in sein Brot und warf einen verstohlenen Blick auf seine Verlobte.
Sie aß schweigend. Er wusste, sie mochte seine Freunde, doch es war noch kein Jahr vergangen, seit er sie mit Kristina betrogen hatte. Und das, obwohl er hoch und heilig geschworen hatte, nie wieder fremdzugehen. Dieser Vertrauensbruch tat ihr sicher noch immer weh, und der Gedanke, Kristina wiederzusehen, erfüllte Yvonne gewiss mit Unbehagen, was er gut verstehen konnte.
Er rechnete es ihr hoch an, dass sie trotz allem zugestimmt hatte, Krissi und Stephan zur Hochzeit einzuladen.
Sie trank ihr Glas mit Orangensaft leer und stand auf. »Ich geh duschen. Räumste auf, bevor du gehst?«
»Okay.« Jan erhob sich ebenfalls, nahm ihre Hand und zog sie in seine Arme. »Du bist immer noch sauer wegen damals, oder?«
Yvonne schüttelte den Kopf. »Nee, bin ich nicht.«
»Hör zu, ich weiß, dass ich Mist gebaut und dir wehgetan habe, Engel. Es tut mir leid, mehr, als ich sagen kann. Ich war ein riesengroßer Volltrottel.«
»Ist schon gut, lass den Dackelblick«, sagte sie ernst. »Du weißt, ich mag Krissi. Und ich freu mich ja auch auf sie und die anderen. Es ist halt nur immer noch etwas … merkwürdig.«
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