»Ja, das klingt großartig«, rief Svenja. Sie hörte selbst, wie euphorisch ihre Stimme klang. Auf eine solche Chance wartete sie schon viel zu lange.
»Ich gebe dir mal ihre Nummer. Sie heißt Eva Heckenburg und praktiziert in der Innenstadt. Ruf sie gleich an«, riet Marius und diktierte Svenja die Telefonnummer. »Bis heute Abend, mein Schatz. Ich wünsche dir viel Glück!«
Sie hatte kaum das Gespräch beendet, als sie auch schon die Nummer von Rechtsanwältin Heckenburg wählte. Der Anrufbeantworter teilte ihr freundlich mit, dass sie außerhalb der Geschäftszeiten anrief. Das Büro sei ab fünfzehn Uhr wieder besetzt. Na, dann musste sie es eben in zwei Stunden noch einmal versuchen.
Die Zeit bis dahin verging rasch. Jana und Julian kamen nach Hause, feuerten Jacken und Taschen in die nächstbeste Ecke und versicherten, sie seien kurz vorm Verhungern.
Svenja verdonnerte Jana zum Tischdecken und Julian dazu, seine Sachen und die seiner Schwester ordentlich wegzuräumen.
Die Kinder gehorchten, wenn auch ohne große Begeisterung Diese Aufgaben gehörten einfach zur täglichen Routine.
Als sie zu dritt am Mittagstisch saßen, berichtete Jana vom Kindergarten. Sie hatte sich mit ihrer besten Freundin gestritten, »ganz doll, Mami!«, aber inzwischen wieder vertragen.
Julian hatte eine Drei in Mathe bekommen und war total sauer darüber.
»Dann musst du eben das nächste Mal gründlicher lernen«, riet Svenja. »Nicht nur am letzten Tag vor der Arbeit. Fang einfach etwas früher an.«
Julian schmollte und verarbeitete seine Fischstäbchen zu Geschnetzeltem.
Nach dem Essen verschwanden die Kinder in ihren Zimmern und Svenja räumte die Küche auf.
Anschließend setzte sie sich mit einem Buch auf die Terrasse, um ein paar Sonnenstrahlen zu erhaschen. Allerdings konnte sie sich nicht so recht auf den Thriller konzentrieren, weil sie immer wieder zur Uhr sah.
Als diese endlich drei Uhr anzeigte, legte Svenja ihr Buch zur Seite, atmete tief durch und griff zum Telefon. Vor Aufregung vertippte sie sich zweimal.
Dann klingelte es am anderen Ende. Svenja räusperte sich nervös.
Die Sekretärin stellte sie zu Frau Heckenburg durch, die sympathisch klang und Svenja einlud, noch an diesem Nachmittag vorbeizukommen.
Als sie auflegte, breitete sich vorsichtiger Optimismus in Svenja aus. Endlich ihren Beruf als Anwältin ausüben zu können war das Einzige, was sie sich noch wünschte.
Dann wäre ihr Leben rundum perfekt.
Marius, ihr alter Freund aus Studententagen, hatte ihr nach dem Tod ihres Mannes angeboten, sie zu unterstützen, wenn sie Hamburg, ihrem bisherigen Wohnort, den Rücken kehren und mit Jana und Julian nach Flensburg ziehen wolle. Erleichtert und voller Dankbarkeit war sie auf seinen Vorschlag eingegangen.
Flensburg gefiel ihr; die Nähe zur Ostsee, die gemütliche Innenstadt und die freundlichen Menschen hatten es ihr leichtgemacht, sich einzuleben.
Der wichtigste Grund, weshalb der Umzug nach Flensburg ihr nicht schwergefallen war, hieß jedoch Marius.
Er war ihre Jugendliebe gewesen und das Wiedersehen mit ihm im letzten Sommer hatte die Gefühle, die sie vor vielen Jahren für ihn empfunden hatte, vorsichtig wiederaufleben lassen. Ihm schien es ebenso zu gehen und in den letzten Monaten waren sie sich ganz behutsam nähergekommen und hatten noch einmal zueinander gefunden.
Inzwischen wohnten sie sogar zusammen. Svenja seufzte und sah sich zufrieden um. Der Garten war nicht groß, aber ruhig und schön angelegt. Das Haus hatte helle, freundliche Räume, bot ausreichend Platz und lag verkehrsgünstig. Ganz in der Nähe befand sich der Twedter Plack, ein kleines, gemütliches Stadtteilzentrum mit vielen Einkaufsmöglichkeiten.
Auch Svenjas Kinder fühlten sich mittlerweile wohl in ihrem neuen Zuhause. Es war für die beiden nicht leicht gewesen, zu realisieren, dass ihr Papa nie mehr wiederkommen würde. Besonders für Julian war es sehr schwer gewesen.
Anfangs war er dem neuen Mann im Leben seiner Mutter mit Misstrauen begegnet, war frech und beleidigend gewesen, doch inzwischen verstanden sich die zwei erstaunlich gut – dank Marius‹ Geduld und Einfühlungsvermögen. Julian verstand sich sogar mit Charlotte, der Tochter von Marius, die jedes zweite Wochenende bei ihrem Vater verbrachte. Ihr hatte Julian das größte Kompliment gemacht, das er einem Mädchen machen konnte:
»Wenn sie nicht so lange Haare hätte, könnte sie fast ein Junge sein.«
Svenja stand auf. Es wurde Zeit, sich auf das Bewerbungsgespräch mit Rechtsanwältin Heckenburg vorzubereiten.
»Julian, ich muss gleich weg. Ist es okay, wenn du mit Jana für ein oder zwei Stunden allein bleibst?«
Svenja trat neben ihren Sohn, der am Schreibtisch in seinem Zimmer saß und Hausaufgaben machte.
»Klar. Geht in Ordnung«, antwortete er hochblickend. »Wo willst du denn hin?«
Svenja schob sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr und lächelte zaghaft. »Ich habe gleich ein Vorstellungsgespräch und bin etwas aufgeregt«, gestand sie.
Julian grinste. »Das ist die Untertreibung des Jahres. Oder ist es Absicht, dass du zwei verschiedene Ohrringe trägst?«
Svenjas Hände fuhren an ihre Ohren. »Ach herrje! Danke, mein Schatz.« Sie zog beide Stecker heraus und drückte ihrem Ältesten einen Kuss auf die Stirn. »Wünsch mir Glück!«
»Viel Glück, Mama. Darf ich fernsehen, wenn ich fertig bin?«
»Es wäre mir lieber, wenn du noch ein bisschen an die frische Luft gehst«, sagte Svenja. »Es ist so schönes Wetter. Du kannst mit Jana auf den Spielplatz gehen. Aber vergiss nicht deinen Hausschlüssel.«
Julian seufzte. »Na gut. Bis später.«
Wenige Minuten später machte Svenja sich in ihrem kleinen Nissan auf den Weg in die Innenstadt, am Kraftfahrtbundesamt vorbei, die Mürwiker Straße hinunter.
Bald erreicht sie Sonwik. Von hier hatte man einen großartigen Blick auf die Altstadt und den Hafen mit dem ruhigen, glitzernden Wasser. Die Aussicht entzückte Svenja besonders bei so schönem Wetter jedes Mal aufs Neue.
Das Büro der Kanzlei Heckenburg & Schäfer lag in der zweiten Etage eines eleganten Altbaus in der Rathausstraße, dicht an der Fußgängerzone. Vom Parkhaus in der Holmpassage brauchte Svenja nur wenige Minuten.
Mit heftigem Herzklopfen betrat sie die Kanzlei.
Eine Sekretärin mit kurzen roten Haaren und blassen Sommersprossen begrüßte Svenja freundlich und bat sie, im Warteraum Platz zu nehmen.
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