Es ist sehr wichtig, eine klare Vorstellung davon zu haben, was genau die Drei Juwelen der Zuflucht sind. Im Buddhismus sind sie als die Drei Juwelen oder die erhabenen kostbaren Drei bekannt: Buddha, Dharma und Sangha. Eine allgemeine Definition der Drei Juwelen wurde bereits im ersten Kapitelgegeben, wo es hieß, daß sich «Buddha» auf das erleuchtete Wesen (den Arzt), «Dharma» auf seine Unterweisungen (das Heilmittel) und «Sangha» auf die spirituelle Gemeinschaft derer bezieht, die diesen Unterweisungen folgen (die Krankenschwestern). Wir nehmen zu den Drei Juwelen in der gleichen Weise Zuflucht wie ein Kranker zum Arzt geht, um geheilt zu werden, sich dabei auf das verschriebene Heilmittel verläßt und Hilfe und Unterstützung von ausgebildeten Krankenschwestern erhält.
Wenn das Interesse am Begehen des spirituellen Pfades in uns wächst, wird es notwendig, ein detaillierteres Verständnis der Drei Juwelen als das oben beschriebene zu bekommen. Um ein Verständnis davon zu erlangen, welches die wahren Objekte der Zuflucht sind, ist es nützlich, sich mit dem folgenden Überblick des Mahayana-Pfades, d.h. mit den Bewußtseinszuständen vertraut zu machen, die zur vollen Erleuchtung führen und darin gipfeln.
Wenn wir einmal den Bodhichitta-Wunsch entwickelt haben, betreten wir den ersten der fünf aufeinanderfolgenden Pfade, die zur Erlangung der Buddhaschaft führen. Die Hauptarbeit auf diesen Pfaden ist das schrittweise Beseitigen aller Behinderungen, die unseren Geist bedecken und ihn daran hindern, seine ursprünglich reine und essentielle Natur zu zeigen. (Diese Überlagerungen sind unterteilt in Verblendungsbehinderungen, die die Befreiung verhindern, und Behinderungen zur Allwissenheit, die die Allwissenheit verhindern). Das Entfernen wird dadurch erreicht, daß wir Weisheit entwickeln und unseren Geist mit Weisheit vertraut machen, insbesondere mit der Weisheit, die ein direktes, nichtbegriffliches Verständnis der wahren Natur der Wirklichkeit hat. Solch ein Verständnis entfernt Schicht um Schicht der verdunkelnden Unwissenheit, von der groben bis zur sehr subtilen, bis die Natur des Klaren Lichtes unseres Geistes vollständig enthüllt ist.
Auf den ersten zwei der fünf Pfade schulen wir uns darin, ein zunehmend genaueres und tiefgründigeres begriffliches Verständnis der Wirklichkeit zu erreichen, indem wir eine kraftvolle Konzentration und Höheres Sehen entwickeln (wie dies im achtenund neunten Kapiteldieses Kommentars erklärt wird). Schließlich wird als Ergebnis dieser Schulung und durch die angesammelte Stärke oder das angesammelte Verdienst unseres Geistes unser Verständnis direkt und nichtbegrifflich. In diesem Moment betreten wir den dritten Pfad, den Pfad des Sehens, und alle unsere intellektuell gebildeten Verblendungen werden entfernt. Wir sind dann ein Höherer Bodhisattva geworden, ein edler Sohn oder eine edle Tochter der Buddhas. Was uns auf dem vierten Pfad, dem Pfad der Meditation, noch zu tun bleibt, ist das schrittweise Auslöschen aller angeborenen Verblendungen und ihrer Prägungen, die noch immer unseren Geist verdunkeln. Wenn auch dies vollständig erreicht ist und nicht einmal mehr der subtilste Schleier die Natur des Klaren Lichtes unseres Geistes verhüllt, erreichen wir den fünften und letzten Pfad, die volle Erleuchtung der Buddhaschaft. Als erwachtes Wesen wirken alle unsere Handlungen von Körper, Rede und Geist spontan und mühelos für das Wohl anderer, da wir durch unsere Bodhichitta-Motivation angetrieben werden, alle Wesen zur Glückseligkeit der Befreiung und Erleuchtung zu führen.
Mit dieser kurzen Beschreibung des Mahayana-Pfades im Gedächtnis können wir jetzt zu den Zufluchtsobjekten zurückkehren und überlegen, was mit Buddha-Juwel, Dharma-Juwel und Sangha-Juwel gemeint ist. Ein Buddha-Juwel ist jedes Wesen, das den Mahayana-Pfad bis zu seiner Vollendung durchschritten hat und deshalb mit den folgenden vier Merkmalen ausgestattet ist: Freiheit von Behinderungen, geschickte Mittel, allumfassendes Mitgefühl und vollständige Unvoreingenommenheit, wie im vorhergehenden Kapitel erwähnt. Das Dharma-Juwel bezieht sich auf die letzten zwei der Vier Edlen Wahrheiten, nämlich die Wahren Pfade (d.h. Arten von Weisheitsbewußtsein), die uns endgültig von irgendeiner Behinderung zur Befreiung oder Allwissenheit erlösen, und die eigentlichen Wahren Beendigungen (d.h. Freiheit von irgendeiner Behinderung), die durch diese Pfade erreicht werden. Schließlich bezieht sich das Sangha-Juwel auf diejenigen, die mit dem Dharma-Juwel ausgestattet sind, nämlich die Höheren Bodhisattvas, jene edlen Praktizierenden, die zumindest den Pfad des Sehens und somit ein direktes Verständnis der wahren Natur der Wirklichkeit erreicht haben.
DAS MASS DER ZUFLUCHTNAHME
Die wahre Zufluchtnahme hängt davon ab, daß wir die zuvor erwähnten Ursachen klar erkennen. Wenn wir erst einmal Angst vor den verschiedenen Formen des Leidens in Samsara entwickelt und ein Verständnis erlangt haben, daß nur die Drei Juwelen die Macht haben, uns vor diesem Leiden zu bewahren, dann werden wir uns aus der Tiefe unseres Herzens vollständig auf Buddha, Dharma und Sangha verlassen. Wenn wir das aufrichtig und stetig tun, ist dies die eigentliche Zufluchtnahme. Um uns an die Zuflucht zu erinnern und sie zu vertiefen, können wir folgendes Gebet wiederholen:
Ich nehme Zuflucht zu den Gurus;
Ich nehme Zuflucht zu den Buddhas;
Ich nehme Zuflucht zum Dharma;
Ich nehme Zuflucht zum Sangha.
DIE VERPFLICHTUNGEN DER ZUFLUCHTNAHME
Nachdem wir einmal zu den Drei Juwelen Zuflucht genommen haben, gibt es verschiedene Verpflichtungen, die wir in reiner Weise einhalten sollten. Diese beinhalten drei Handlungen, die aufgegeben werden sollten, drei Verpflichtungen, die anerkannt werden sollten, und sechs allgemeine Verpflichtungen.
DIE DREI ARTEN DES AUFGEBENS
Nachdem wir Zuflucht zum Buddha-Juwel genommen haben, sollten wir es aufgeben, endgültige Zuflucht bei weltlichen Göttern oder Geistern zu suchen. Weiterhin sollten wir, haben wir Zuflucht zum Dharma-Juwel genommen, es aufgeben, anderen zu schaden. Schließlich sollten wir, haben wir Zuflucht zum Sangha-Juwel genommen, versuchen, nicht unter den Einfluß unreligiöser Freunde zu geraten.
Wenn wir Zuflucht zu Buddha genommen haben, sollten wir alle Figuren und Abbildungen erleuchteter Wesen, ob aus Gold, Holz oder irgendeinem anderen Material und ob alt oder neu, als wirkliche Buddhas betrachten. Die Dharma-Zuflucht erfordert, daß wir selbst die einzelnen Buchstaben von Dharma-Texten so behandeln, als wären sie Buddhas wirkliche Rede. Deshalb sollte man sie unter keinen Umständen schlecht behandeln, auf den Boden legen oder über sie hinwegtreten. Wenn wir Zuflucht zum Sangha-Juwel genommen haben, sollten wir alle, die die Roben eines ordinierten Mönches oder einer ordinierten Nonne tragen, betrachten, als ob sie echte Sangha-Juwelen wären.
DIE SECHS ALLGEMEINEN VERPFLICHTUNGEN
Die folgenden Zufluchtsverpflichtungen sollten wir ebenfalls während unseres ganzen Lebens im Gedächtnis tragen. Jede von ihnen dient dazu, nützliche Geisteshaltungen zu verstärken und den befreienden Gedanken der Zuflucht an vorderster Stelle in unserem Bewußtsein zu bewahren.
So sollten wir (1) Zuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha mit einer Geisteshaltung nehmen, die ihre außerordentlichen Qualitäten und ihre Überlegenheit gegenüber gewöhnlichen weltlichen Formen der Zuflucht erkennt; (2) indem wir an die Güte der Drei Juwelen denken, sollten wir ihnen im Geiste von allem, was wir essen oder trinken, den ersten Teil darbringen; (3) mit einem Herzen voller Mitgefühl und die verschiedenen Fähigkeiten anderer Wesen bedenkend, sollten wir diese ermutigen, selbst Zuflucht zu suchen; (4) wir sollten auf die Drei Juwelen vertrauen und Zuflucht zu ihnen nehmen, unabhängig davon, welche Situationen entstehen, in welchem Geisteszustand wir uns befinden und ob wir gesund sind oder nicht; (5) während wir an den großen Nutzen der Zufluchtnahme denken, sollten wir mindestens dreimal jeden Morgen und dreimal jeden Abend Zuflucht nehmen; (6) schließlich sollten wir niemals unsere Zuflucht zu den Drei Juwelen aufgeben, selbst wenn unser Leben bedroht ist.
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