In der darauffolgenden Stille verfinstert sich Hardys Blick zunehmend, und ich betrachte den Schein der Kerze, der sich im goldschimmernden Martini widerspiegelt.
»Hab ich etwa ins Schwarze getroffen?«
»Nein. Gar nicht. Bei mir ist alles leise und leicht wie eine Sommerbrise.« Die Lüge spannt sich künstlich über die untere Gesichtshälfte. »Hör zu, Hardy. Es ist schrecklich einfach. Ich habe jemanden kennengelernt. Er lebt und arbeitet für die nächsten zwei Jahre in Brüssel und ich will ihn möglichst oft sehen. Ende der Durchsage.« Das klang gut, finde ich, wie die Ansage einer Tagesschau-Sprecherin.
»Du redest wirr, Sofia, und du solltest dich sehen. Du bist hypernervös. Ich betone: hyper. Der Martini erlebt gerade seinen ersten Tsunami, so zittrig wie du das Glas hältst.«
Im Zeitlupentempo stelle ich es wieder ab und lege meine Hand in den Schoß.
»Na schön. Aber sobald sich die Situation seltsam anfühlt, musst du sie verlassen. Und zwar bereits beim ersten Anzeichen. Niemandem sonst würde ich so etwas raten. In deinem Fall aber ist Flucht deine Rettung. Hörst du?«
»Rettung?«
»Ich möchte dich nicht von der Straße kratzen müssen wie letztes Jahr.«
»Du denkst wirklich, ich könnte auch wie meine Mutter …«
Er seufzt. »Ich bin kein Arzt, Sofia, jeder Mensch reagiert anders …«
Eine dunkle Wolke des Schweigens schwebt über uns und Hardys Blick wandert hin und her. »Aber eines weiß ich: Deine Mutter war keineswegs verrückt, wie manche es behauptet haben. Das waren Neider. Sie war fragil und äußerst sensibel, eine Künstlerseele eben. Und dein Vater –«
»Erzeuger, Hardy. Erzeuger. Er hat lediglich seinen –«
»Okay, okay, du hast ja recht. Erzeuger.«
»Ich sollte mich an ihm rächen, im Namen meiner Mutter, an diesem – diesem –« Ich kralle meine Fingernägel in meine Faust.
»Du musst Frieden schließen, Sofia. Für mich war es auch nicht leicht, damals. Auch wenn es verrückt klingt, aber ich fühle mich schuldig. Immer wieder hab ich mir die gleiche Frage gestellt. Hätte ich ihr helfen können? Aber Herrgott! Ich war doch bloß ihr Stalljunge, ein junger Hengst mit zwanzig.« Hardys Wangen lodern.
»Das ist verrückt, Hardy, denn du hast damit ja überhaupt nichts zu tun.«
»Für das, was man liebt, trägt man auch die Verantwortung, das solltest du wissen als Mutter.« Hardy lächelt versonnen und streicht mit dem Daumen über die Wölbung seines Bierglases. »In Künstlerkreisen wurde sie ›Schneewittchen‹ genannt, wegen ihrer blassen Haut und den schwarzen Haaren. Jeder hat sie geliebt.«
»Du warst in meine Mutter verliebt?« Im Stillen rechne ich: Er war zwanzig, sie siebenunddreißig, ein halbes Jahr jünger als ich jetzt.
»Dass du das nicht missverstehst: Ich hatte kein Verhältnis mit ihr. Aber ja … ich war verliebt in sie, habe sie verehrt. Wer hat das nicht?« Er seufzt. »Manchmal, wenn ich ihren Areion gestriegelt habe, brachte sie mir eine heiße Schokolade in den Stall. Ich mochte heiße Schokolade. Sie wollte mir sogar das Polospiel beibringen. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen …« Er senkt seinen Blick und betrachtet seine Hände. Hardy redet sonst nicht über ›Seelenkram‹, wie er es immer nennt. Nur im Notfall.
»Hardy?«
»Ja?«
»Was denkst du, wie viel von meiner Mutter steckt in mir?« Ich kämpfe die aufkommenden Tränen nieder.
Hardy hebt seinen Blick und blinzelt ein paar Mal. »Sie hatte immer diesen Fernblick. Den hast du auch. Mit allem anderen bin ich mir nicht sicher. Bis jetzt hast du dich wacker geschlagen. Jeder Mensch reagiert anders auf … Schicksalsschläge. Deine Mutter konnte nicht gut damit umgehen.« Ein friedhöfliches Lächeln umspielt seine Lippen und in seinen Augen tut sich ein Abgrund auf. Traurigkeit legt sich über uns wie ein dunkles Tuch, und wir schweigen für einige Sekunden.
»Aber denkst du, ich könnte auch einmal so …« ›Enden‹ hört sich schrecklich an. »… werden?«
»Du bist eine Kämpferin und ich hoffe, das bleibt so. Du bist zwar auch ein bisschen verrückt, aber wenn du immer auf mich hörst, kann nichts schiefgehen.« Er lächelt schräg und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Glas.
»Verstehe, also cool bleiben.«
»Aber eines lass mich noch sagen.« Hardy langt über den Tisch und schüttelt meine Faust, die wie ein Stein neben meinem Glas ruht. »Hörst du mir zu? Wir Männer sind einfach gestrickt, verstehst du? Einfach. Wenn er etwas von dir will, bleibt er dran. Er wird dich anrufen, er wird nach dem nächsten Date fragen, er wird alles tun, um bei dir sein zu können, alles klar? Einfach gestrickt. Männer sind Jäger, das ist ihre Natur. Wenn ein Mann etwas will, will er ihm hinterherlaufen. Er will nicht, dass es ihm hinterherläuft. Vergiss das niemals.«
Autsch, das hat getroffen! »Ja, Meister. Weisheit ich bei dir spüre.« Ich erhebe mein Glas. »Einfach gestrickt. Jäger. Natur.«
»Wenn du Hilfe brauchst, will ich Bescheid wissen. Hab ich mich klar ausgedrückt?«
»Ich schwöre, o du mein Gebieter und Meister. Beschwörer der Finsternis.«
Er schüttelt den Kopf: »Mach keinen Scheiß, Sofia.«
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