© 2021 Cora Brand
1. Auflage
Cora Brand
c/o skriptspektor e. U.
Robert-Preußler-Straße 13 / TOP 1
5020 Salzburg
AT-Österreich
corabrand@web.de
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Covergestaltung: Manu Ancutici, Stuttgart, unter Verwendung folgender Bilder: Frau: Volodymyr – stock.adobe.com; Feder: svetazi – stock.adobe.com; Mann: MichaelSvoboda – iStockphoto
Korrektorat: J. E. Siemens, Berlin
Satz: Claudia Pietschmann, Halle
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Danksagung
Über die Autorin
Ein Steinadler kreist majestätisch über dem Gipfel des Teufelskopfs.
Ich reiße die Arme nach oben, öffne die Hände und schaue den Schnipseln meines Textes hinterher.
Briefe, unter Tränen geschrieben. Briefe, die nie abgeschickt wurden. Nun tanzen sie ihren letzten Walzer im Wind und schweben einen Augenblick später ins Tal. Es hat sich ausgetanzt.
Der Januarwind bläst eisig in dieser Höhe, und ich ziehe die Daunenjacke noch enger zusammen.
Ich fühle mich gut. Leer, aber gut. Dafür bin ich dankbar.
»Sofia! Wir sollten aufbrechen.« Gerrit zeigt nach oben. Eine dunkelgraue Wolkendecke schiebt sich wie eine Schieferplatte über den Himmel. »Komme gleich!« Ich greife zur Kamera, die an meinem Hals baumelt und folge der Flugbahn des Adlers, einem männlichen Prachtexemplar mit einer Spannweite von schätzungsweise zwei Metern. »Du bist beneidenswert, Freundchen. Frei, obwohl du in Einehe lebst, bis zu deinem Ende.« Ich verstaue die Kamera im Rucksack und kehre zu Gerrit zurück.
Der Himmel über uns grollt, trotzdem gönnen wir uns während des Abstiegs eine zehnminütige Rast und vespern kräftiges Roggenbrot mit handgemachtem Almkäse.
Nach guten fünf Stunden sind wir im Tal und verfrachten die Schneeschuhe, Steighilfen und Rucksäcke auf der Ladefläche des Pick-ups. Gerrit verlässt den Parkplatz des Wintergeheges im Nationalpark, um mich ins Hotel zu bringen, das nur ein paar Kilometer von Berchtesgaden entfernt liegt.
»Mit etwas Glück hätten Sie in zwei Wochen einen Girlandenflug filmen können, da ist die Balz in vollem Gange.«
»Eigentlich wollte ich nur etwas loswerden. Die Bilder sind quasi Zugabe.«
»Verstehe.« Gerrit nickt. »Meistens sind es ganz andere Dinge, die einen umtreiben. Wenn ich einen freien Kopf will, geh ich auch immer auf den Berg.«
»Steht es mir so sehr auf der Stirn geschrieben?«
»Das nicht, aber ich kenne Sie jetzt schon seit … seit fünf Jahren?« Er wirft mir einen fragenden Blick zu. »Außerdem hab ich ’nen recht guten Instinkt.«
Der hölzerne Adler an seinem Rückspiegel baumelt hin und her, als Gerrit über die Bahngleise fährt und links in die Weidestraße abbiegt, die kontinuierlich ansteigt. Auf der Anhöhe liegt das Hotel ›Morgenröte‹ mit herrlichem Ausblick auf das Tal. Gerrit lenkt den Pick-up auf den Parkplatz. »Da wären wir. Morgen um sieben?«
»Das ist okay.« Ich steige aus und nehme meinen Rucksack von der Ladefläche. Nachdem Gerrit vom Platz gefahren ist, atme ich einmal durch. Ich habe das Gefühl, einen Abschluss gefunden zu haben – einen Fehler getilgt.
»Gleis drei«, sagt Gerrit, löst seinen Blick von der Anzeigetafel und eilt mit meinem Koffer davon.
Der Zug ist bereits eingefahren.
»Vielen Dank für alles.« Ich reiche ihm zum Abschied die Hand.
»Bevor Sie gehen – ich hab da noch was.« Er zieht den Reißverschluss seiner Jacke auf und schiebt seine Hand hinein. Mit der Feder eines Adlers kommt sie wieder zum Vorschein. Er streckt sie mir hin, wie eine Blume.
»Eine Stoßfeder?«
»Sie verleiht Kraft.«
»Aber die kann ich unmöglich annehmen.«
»Doch. Wenn Sie es nicht tun, bin ich beleidigt und Sie werden nie wieder eine Führung von mir bekommen. Darauf gebe ich Ihnen mein wildes Ehrenwort.« Gerrit drückt seine Augen aus den Höhlen. »Nie. Wieder.«
Mit einem Anflug von Ehrfurcht ergreife ich die kostbare Feder an ihrem Kiel.
»Außerdem hätte ich gern eine Einladung zu Ihrer nächsten Ausstellung.«
»Wir stellen nur in der Mühle aus, aber falls doch einmal etwas Größeres geplant wird, werden Sie und Ihre Freundin die Ersten sein, die ich einlade. Großes Ehrenwort.« Ich drehe mich nach der Bahnhofsuhr um. »Es wird Zeit. Vielen Dank nochmal für alles.«
»Similia similibus curentur. Ähnliches durch Ähnliches heilen.«
Hat Fred das nicht auch einmal gesagt? »Ist das nicht das Motto der Homöopathie?«
»So ist es.« Er legt die Hand auf seine Brust. »Das gilt für alles.«
»Ich werde dran arbeiten.«
»Darf ich?«
Ich löse meinen Blick von der schneeweißen Landschaft, die am Fenster vorbeizieht, und schaue in ein gebräuntes Gesicht, aus dem mich zwei blaue Augen anstrahlen. Sie glitzern wie die Oberfläche eines Eissees an einem sonnigen Wintertag. Der Besitzer dieser Augen sieht in seinem Tweed-Sakko und der Fliege am Hemdkragen wie ein zu junger Professor aus.
»Natürlich«, antworte ich.
Der Pseudoprofessor hievt seine abgewetzte Lederreisetasche auf die Gepäckablage und nimmt mir gegenüber Platz. »Als Geologe bin ich es gewohnt, bei jedem Wetter draußen zu sein, aber es ist schon verflucht kalt.« Er reibt sich die Hände und streckt mir eine davon entgegen. »Larson Lindqvist.«
»Sofia Sanders.«
»Und ich weiß, woran Sie jetzt denken.«
Verblüfft schaue ich ihn an.
»An Schokolade, nicht wahr?« Er lässt meine Hand los, und ich muss lächeln, denn er hat recht.
Und ich weiß, woran Sie denken, Herr Lindqvist. Ich lehne mich wieder in den Sitz zurück und ziehe das Handy aus meiner Handtasche, um mir noch einmal die Bilder des ersten Tages anzuschauen. Die Kinder werden sich freuen.
Ein anderer Zug rast an uns vorbei und ich schrecke zusammen.
»Frau Sanders, haben Sie mich nicht gehört?«
»Sorry, haben Sie etwas gesagt?«
»Allerdings. Was führt Sie hierher? Geschäft oder Vergnügen, wenn ich fragen darf?«
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