Es war eine gute Idee, rückwärts eingeparkt zu haben; es erlaubt mir jetzt, mit Eleganz aus der Parklücke zu stoßen. Ich steige ein und starte den Motor; er schnurrt sexy, bis ich ihn beim Anfahren abwürge. Mit einem verbissenen Lächeln starte ich ihn erneut und fahre schwungvoll aus der Parkbucht.
Dass die Leute sich nach meinem Wagen den Kopf verdrehen, bin ich gewohnt. Viele heben den Daumen nach oben oder winken. Manche fuchteln ganz wild und wollen mir dadurch zu verstehen geben, dass sie mitfahren möchten. Einen schneeweißen Ford Galaxy Skyliner, Baujahr 1959, noch dazu mit roten Ledersitzen, sieht man nicht allzu häufig. mehr hoffe ich, Jeffs bewundernder Blick gilt nur mir allein und nicht dem Wagen.
Er hebt seine Hand zum Gruß, als ich an ihm vorbeituckere, und ich nicke ihm zu. Mein Gesicht wird warm und ein Zittern fährt durch meinen Leib. Die ersten Minuten meines Lieblingslebens haben soeben begonnen.
Wie auf einem Luftkissen schwebt der Skyliner auf dem Flüsterasphalt Richtung Echterdingen, entlang des Flughafengeländes und vorbei an der US Air Base. Am Kreisverkehr in Echterdingen fahre ich rechts in das östliche Industriegebiet.
Hardy steht mitten auf der Stadionstraße und trippelt hin und her. Ob es vor Kälte oder Ungeduld ist, lässt sich schlecht sagen, denn er ist permanent in Bewegung. Schließlich haben zwanzig Jahre Tennissport ihre Spuren hinterlassen.
Die Art und Weise, wie er mich an sich drückt und mich busselt, verrät mir, dass er auf Entzug ist – von menschlicher Wärme.
»Nur sieben Minuten zu spät. Ein neuer Rekord.«
»Sorry, aber ich musste noch etwas –« Ich reiße mich von ihm los und beuge mich ins Auto. Nach wilder, aber erfolgloser Suche schäle ich mich wieder heraus und klatsche mir auf die Stirn. »Nein! Ich bin über die Eier und die Bananen gefahren.«
»Du bist waaas?« Hardy hebt seine buschigen Augenbrauen und lacht erbarmungslos, dabei schlägt er sich immer wieder mit der Hand aufs Knie.
Ich lehne mich mit verschränkten Armen gegen die Autotür. »Wenn du fertig bist, können wir ja losgehen.«
Hardys Lachen verebbt in krähenartigen Lauten. »Okay, Frau Oberschussel.« Er bietet mir einen Arm zum Unterhaken an und wir marschieren zum Ende der Straße, durch die Unterführung der B27 auf den verschneiten Feldweg, der zum Messegelände führt.
Der Himmel über uns spannt sich wie ein Satintuch, in glänzendem Blau – ein Himmel mit unbegrenzten Möglichkeiten.
»Sobald es wärmer wird, musst du mit mir auf die Driving Range«, sagt Hardy.
Hab ich meine Telefonnummer auch richtig aufgeschrieben?
Hardy schüttelt meinen Arm. »Ach, bevor ich’s vergesse: Habt ihr einen Termin gefunden?«
»Ja. Am Montag.«
»Am Montag? Willst du mich veräppeln? Allein die Vorbereitung braucht doch Monate.«
Erst nach fünf Schritten dämmert mir, wovon Hardy spricht.
»Oh, du meinst die Ausstellung. Hab das Angebot nicht angenommen. Mal sehen, vielleicht im Herbst.«
Hardy seufzt. »Diese Leute lassen sich nicht ständig abweisen.«
Der hard’sche Ex-Tennislehrer-Schulmeisterton wirkt wie ein puhlender Finger in meinem Gewissen. »Ich kann das einfach nicht haben.«
»Soll ich dir sagen, was ich davon halte?«
»Nein.« Nach zwei Schritten füge ich hinzu: »Die Zeit ist noch nicht reif.«
»Die Zeit hat damit gar nichts zu tun.« Hardy stellt sich vor mich und legt beide Hände auf meine Schultern. »Du musst zu dem stehen, was in dir steckt.«
»Ich will diesen ganzen Rummel nicht. Mein Leben soll leise sein.«
»Du bist das dem Namen Sanders schuldig, meinst du nicht auch?«
»Hardy, wir wollten nur auf die Touristikmesse gehen, schon vergessen?«
»Es tut dir nicht gut –«
»Ich weiß schon, was mir guttut, vielen Dank.« Hardy und seine fürsorgliche Seite.
Nachdem Mercedés auf einem Golfplatz von einem Blitz tödlich getroffen wurde, ist er ein anderer Mensch geworden. Er hat die Tennisanlage verkauft und ist zum eingefleischten ›Alleinbleiber‹ geworden. Jetzt golft er wie ein Besessener und ihn interessiert nur noch, ob in seinem Flight jemand ein einstelliges Handicap hat und wann und wo das nächste Golfturnier stattfindet.
Wenn man etwas verliert, was man liebt, wird man eben anders.
Nach der Messe lasse ich mir ein heißes Bad ein. Die Rhythmen des Bossa nova rauschen durch das Badezimmer und es tut unendlich gut, zuerst die Zehenspitzen, den Fuß, das Bein und schließlich den ganzen Körper in das Nass zu tauchen.
Meine Brüste ragen wie zwei Bojen über der zart schäumenden Wasseroberfläche und die Flämmchen der Teelichter auf dem Wannenrand flackern hin und her, kleine zappelige Minifreudenfeuer.
Ich lausche dem samtigen Sound des Baritonsaxofons von Stan Getz, kämme mit den Fingern durch das Wasser und setze so kleine Sorgloswellen in Gang. Über alldem schwebt der Duft von Rosenholz- und Sandelholzöl und ich inhaliere ihn mit vollen Zügen. Schließlich klappen meine Lider nach unten und sein Gesicht taucht vor mir auf.
›My name is Jeff and I like coffee.‹ Seine Lippen öffnen sich, rot und prall wie reife Kirschen, zum Küssen gemacht und verlockend nah. K u s s … Buchstaben tauchen vor mir auf, sie schillern wie Seifenblasen. K u s s … sie zerplatzen mit einem Plopp und bilden sich aufs Neue.
Sein Lächeln war kühl, aber hinter seinen Augen verbarg sich etwas – war es Schmerz? Er wird wohl in der Army sein, wenn er in den Kelley Barracks arbeitet. War er im Krieg? In Afghanistan, Irak, Syrien? Hat er all das Schreckliche erlebt, was man in den Nachrichten hört? Er ist schwarz. Bekommt er das zu spüren? Ob er schon eine weiße Frau hatte? Vielleicht wäre ich die Erste. Oh, là, là …
Mit den Zehen greife ich nach dem harten Naturbadeschwamm auf dem Wannenrand und schaukle mit dem Körper vor und zurück, bis die Wellen ihn zu mir gespült haben. Ich drücke ihn über meinem Gesicht aus und der Wasserstrahl rinnt mir über Stirn, Augen, Nase und Lippen. Lippen, die geküsst werden möchten. Meine Hände gleiten schwerelos über die aufgestellten Brustspitzen hinunter zum Bauchnabel. In meiner Vorstellung jedoch sind es nicht meine, sondern seine Hände. Es waren große Hände. Ich rutsche so tief in die Badewanne, bis die Ohren unter Wasser sind und die Haare wie Tang auf der Wasseroberfläche schwimmen. Astrud Gilberto singt mit ihrer kindlichen Stimme brav ihren »Summer Samba«; es klingt weit entfernt, wie ein leiser Sommertraum, geträumt an einem Winterabend.
Das Brummen des Handys auf dem Waschtisch durchkreuzt meine Fantasien. Ich schnelle hoch, als hätte mich eine Qualle verbrannt, reiße das Frottierhandtuch von der Stange und tupfe mir das rechte Ohr trocken. Als ich mich nach dem Telefon strecke, rutscht das Handtuch in die Badewanne, saugt sich mit Wasser voll und versinkt.
Auf dem Display leuchtet der herrlichste fremde Zahlenstrang, den ich je gesehen habe. Ich konzentriere mich darauf, extrem entspannt zu klingen, bevor ich »Sofia Sanders« in den Lautsprecher hineinhauche.
»Hi, ich bin’s.« Sein Begrüßungssingsang kribbelt wie ein feiner Strom direkt zwischen meine Schenkel. Er muss ein Stimmbildungstraining oder etwas Ähnliches hinter sich haben.
»Schön, dich zu hören«, flöte ich, was die Untertreibung des Jahrhunderts ist. Zufrieden gleite ich wieder ins Wasser und spüre sogleich auch eine lächerliche Angst, er könne meine Gedanken durch den Hörer wahrnehmen, inklusive jener, die ich bereits gedacht habe.
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