1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 »Hi Jeff, du – du gehst heute, nicht wahr?« Stottere doch nicht!
»Ja?«
Ich grabe meine Finger tief in den weichen Tonkörper und straffe meine Schulter. »Ich würde dich gerne noch einmal sehen.«
Stille.
Oh-oh. Er sagt nichts mehr. Ich krümme meine Finger zu Krallen und lausche in den Hörer.
»Um vierzehn Uhr will ich los. Wir könnten uns um elf Uhr downtown treffen, am Karlsplatz?«
»Ja, äh … das ist perfekt.« Meinetwegen könnte es auch Kathmandu sein. Jaaa! Mein Herz macht einen Satz.
Vor einer Minute hat Jeff aufgelegt, doch ich halte das Telefon immer noch an meine hämmernde Brust gedrückt.
Am Schlossplatz in Stuttgart halte ich mich links, Richtung Karlsplatz, der mit seinem Trödlermarkt an den Samstagen stets überfüllt ist. Statt eines verschwiegenen Ortes schlägt er einen belebten Platz als Treffpunkt vor. Warum?
In dem Getümmel rollen mir die Reifen eines Kinderwagens über den kleinen Zeh. Ich beiße die Zähne zusammen und steuere weiter auf die Mitte des Platzes zu, mit dem alles überragenden Denkmal Kaiser Wilhelms, der, hoch zu Ross, mit einem Spitzhelm auf seinem Haupt, bis zum See am Theaterhaus blicken könnte, wäre er nicht aus Stein.
Genau dort steht Jeff. Am Fuße des Monuments, ebenso erstarrt wie Ross und Reiter über ihm.
Auf der ersten Stufe der Freitreppe, die von sitzenden Löwen flankiert wird, bleibe ich stehen und blicke zu ihm hoch.
Beide Hände sind in den Tiefen seiner Manteltaschen vergraben und die Nickel-Sonnenbrille kann nicht seine ernste Miene kaschieren. Oder ist es Traurigkeit? Er kommt die Stufen herunter und nach einem »Hallo«, das so frostig klirrt wie die vergangene Winternacht, nimmt er mich an der Hand und zieht mich über den Platz. Die Menschenmenge teilt sich vor uns.
»Passen Sie doch auf, das ist kein Durchgang!« Ein Händler blökt mich an, als wir zwischen zwei Marktständen durchwuschen und ich an die Ecke seines Tisches stoße. Im letzten Moment fängt er das gerahmte Bild auf, auf dem die Hepburn lasziv an einer langen Zigarettenspitze kaut.
Jeff dreht sich nicht um, sondern zieht mich weiter, bis vor den Eingang des Deutsch-Amerikanischen Zentrums, das früher einmal ein Waisenhaus war. Hier lässt er meine Hand los und sie füllt sich wieder mit Wärme.
Mister Runner nimmt seine Sonnenbrille ab und in seinen Augen tobt ein Gewitter. »In zwei Stunden werde ich fahren. Was willst du von mir, Sofia?« Wieder packt er meine Hand, als wolle er sie ausquetschen.
Hat er eben gefragt, was ich von ihm will? Mein Magen schrumpft zu einem giftigen Kern zusammen und meine Zunge fühlt sich pelzig an.
Was um Himmels willen antwortet man auf so eine Frage? Irgendwas läuft hier völlig falsch! Wie auch immer. Auf keinen Fall darf die Antwort das Wort ›Liebe‹ beinhalten. »Eines Tages will ich dich spüren«, höre ich mich sagen und mir ist, als hätte man mir es eingeflüstert.
Wusch – wusch. Seine Gesichtszüge sind wie ausgetauscht.
»Okay. Warum nicht gleich?«
›Gleich‹? Wie? Was? Was meint er mit ›gleich‹? Ich verstehe das alles nicht. Ist er sauer? Falls ja: Warum?
Seine Augen sind wie zwei Strahler auf mich gerichtet und ich komme mir vor wie eine Schwerverbrecherin bei einem Verhör.
Mit der Antwort »Ich bin … indisponiert« winde ich mich heraus und zwinge mich, seinem Blick nicht auszuweichen.
Sein linker Mundwinkel geht nach oben, aber ich weiß immer noch nicht, worauf ich geantwortet habe.
Millimeter um Millimeter nähert sich mir sein Gesicht. Ich schaue ihm in die Augen, spüre seinen Atem. In meiner Vorstellung küssen wir uns bereits leidenschaftlich. Meine Lippen prickeln, gleich wird er seine auf meine pressen, aber anstatt mich zu küssen, raunt er mir ins Ohr: »Nächstes Wochenende werde ich zurückkommen. Für dich.«
Er richtet sich auf und schaut mich noch einen Moment lang durchdringend an, bevor er sich umdreht und geht.
Ich bleibe wie paralysiert stehen und beobachte, wie sich der Spalt in der Menschenmenge, in den er hineingeschlüpft ist, wie eine Wunde schließt.
›Für dich.‹ Wie süß das klingt.
Es fühlt sich an, als sei ich das erste Mal verliebt.
Korrigiere. Nicht das erste Mal.
Eher so, als sei es das letzte Mal.
Gemeinsam mit Harris gröle ich: »Yeah baby, I’m crazy, crazy, crazy.« Die Bässe lassen die Innenverkleidung des Fords vibrieren und ich hopse auf dem Sitz hin und her. Auf der Zielgeraden brause ich von Vaihingen nach Büsnau, biege am Ortsausgang rechts ab Richtung Waldhotel ›Relaxa‹ und nach zweihundert Metern links auf den Parkplatz.
Ich steige aus und finde mich inmitten eines Wintertraums wieder. Die Tannen ringsherum tragen stolz ihr Hochzeitskleid aus Schneeflocken, die in der Sonne wie Zirkoniasteine glitzern.
Ich richte meinen Blick gen Himmel. Die Sonnenstrahlen wärmen mein Gesicht und durchfluten mein ganzes Sein. Ich hebe die Arme seitlich von mir wie zwei Propeller und drehe mich um meine eigene Achse, bis mir schwindelt vor Glück. Von Dankbarkeit überwältigt, kriechen Tränen der Rührseligkeit in meine Augen.
Ich atme einmal tief durch und strebe zum Eingang des Hotels. Die Rezeptionistin löst ihren Blick vom Monitor, als ich durch die Drehtüre in die Lobby eintrete, und schenkt mir eines dieser abwartenden Lächeln. Ich brauche einen Moment, um mich zu orientieren, und rausche nach rechts, den mit rotem Teppich ausgelegten Gang entlang, der zur Bar führt. Meine Haare wehen über die Schulter, und das Cape bläht sich auf wie die Flügel einer Fledermaus beim Anflug auf ihr Opfer.
Jeff sitzt an der hufeisenförmigen Bar und unterhält sich mit der Barfrau. Genau betrachtet jedoch ist sie es, die ihn unterhält. Dabei gestikuliert sie ausladend und lacht wie ein Wonneproppen.
Mein Herz beginnt zu trommeln, wobei mir nicht klar ist, was der Auslöser ist: die Aufregung, ihn wiederzusehen, oder Eifersucht.
Als Jeff mich sieht, erhebt er sich und kommt mir entgegen. In seinem nougatfarbenen Hemd, der sandfarbenen Hose und den ebenso sandfarbenen Schuhen sieht er aus, als wolle er auf eine Safari gehen. Sein strahlendes Lächeln verdient nur ein Attribut: atemberaubend.
Er bleibt eine Armlänge vor mir stehen und mustert mich von Kopf bis Fuß. »Wun-der-voll.« Er tritt noch einen Schritt näher.
In mir kehrt völlige Ruhe ein, als hätte ich nach einer langen Reise endlich mein Ziel erreicht.
Er beugt sich zu mir herunter und unsere Blicke verschmelzen. Seine Lippen legen sich auf meine. Es ist nur der Hauch eines Kusses, aber er ist himmlisch.
Ein »Hallo« gleitet über meine Zunge, leicht, feucht und heiß, wie eine Brise an einem Sommerabend, mit der man nicht rechnet – auch er nicht. Seine sherryfarbenen Augen verdunkeln sich, und für die nicht enden wollende Dauer eines Wimpernschlags versinke ich in den Tiefen der Begierde, die darin schimmert.
»Darf ich?« Jeff tritt einen Schritt zur Seite und breitet die Arme aus, um mir das Cape abzunehmen. Ich spüre seinen feuchtwarmen Atem an meinem Ohr. »Hast du an mich gedacht?« Die Frage ist nur gehaucht, und durch meinen Unterleib rauscht eine Woge süßer Erregung.
»Ein bisschen«, lüge ich.
Er faltet das Cape, legt es über seinen Unterarm und wir gehen zur Bar. Wonneproppen beäugt mich wie einen Eindringling. Ich begutachte Jeffs kunstvoll dekoriertes Glas und schnippe mit dem Finger gegen das Lametta, das sich wie silberner Regen im Mahagoniholz der glattpolierten Theke spiegelt.
»Was möchtest du trinken? Eine Piña Colada?«
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