»Wie hast du mich überhaupt gefunden?«
»War nicht schwer«, war die lapidare Antwort.
»Ach was! Das will ich jetzt aber genau wissen.« Ed warf seinem Sohn einen langen Blick zu und drehte das Glas mit dem Orangensaft hin und her.
»Du warst in der Zeitung. Dein letzter Fall hat Aufsehen erregt.« Zweifel ahnte, dass er die Antwort auf seine Frage nicht in einem einfachen Satz serviert bekäme. Er musste nachhaken wie bei einem widerspenstigen Zeugen.
»Wo hast du darüber gelesen?« Ed tat, als konzentrierte er sich auf den Orangensaft, doch sein Sohn brachte an diesem Morgen keine Geduld für eine subtile Gesprächsführung auf.
»Ist ja auch egal«, sagte er mehr zu sich. Der Toaster spuckte zwei Scheiben aus. Zweifel nahm eine und biss ab. Ed ließ das Glas los.
»Trockener Toast?«, fragte er und seine Stimme klang herausfordernd. Wortlos nahm Zweifel einen Teller vom Regal über der Spüle und legte die andere Scheibe darauf. Aus dem Kühlschrank holte er Margarine und ein Glas Erdbeermarmelade und stellte beides vor seinen Vater hin. Mit dem Finger deutete er auf einen steinernen Bierkrug, in dem er sein Besteck aufbewahrte.
»Mehr hab ich nicht zur Auswahl.« Er steckte zwei neue Scheiben in den Toaster und biss das zweite Drittel seiner Scheibe ab. »Auf Besuch bin ich nicht eingestellt«, fügte er mit vollem Mund hinzu. Ed nickte und griff nach seiner Tasse.
»Du lebst allein? Ich dachte du bist verheiratet. Mit dieser Journalistin. Wie heißt sie nochmal?« Zweifel schoss das Blut in den Kopf. Eine barsche Antwort lag ihm auf der Zunge. Er schluckte sie hinunter zusammen mit dem Rest seines trockenen Toasts. Die neue Situation bereitete ihm zunehmend Kopfzerbrechen. Er trank hastig seine Tasse leer.
»Sie hieß Ella.«
»Ihr habt euch getrennt?« Zweifel schüttelte den Kopf.
»Sie wurde umgebracht. Ist schon lange her. Stand auch in der Zeitung«, antwortete er. »Aber das hast du wohl nicht gelesen.« Den Satz konnte er sich nicht verkneifen. Sein Vater schaute ihn prüfend an. Dann griff er nach einem Messer und bestrich seinen Toast mit Margarine. Zweifel sah zu, wie Ed einen großen Klacks Erdbeermarmelade aus dem Glas pulte und auf der dicken Margarineschicht verteilte. Ihm entging das Zittern der Hand nicht.
»Kannst du mir sagen, wie es kommt, dass du nach mehr als zwanzig Jahren so mir nichts, dir nichts samstagmorgens bei mir hereinschneist?« Sein Versuch, ruhig und gelassen zu klingen, misslang. Die Frage hing genauso vorwurfsvoll in der Luft, wie sie im Grunde gemeint war. Ed blieb davon unbeeindruckt, warf einen langen Blick auf seinen Toast und biss herzhaft hinein. Zweifel schüttelte den Kopf und wartete ab. Eine Weile war nichts zu hören als das Kauen seines Vaters. Schließlich trafen ihn seine grünen Augen.
»Schlimm, was mit deiner Frau passiert ist.« Zweifel rührte sich nicht. Er wollte in Anwesenheit seines Vaters nicht an Ella denken.
»Kann Ed noch ein Brot haben?« Die Frage schien an seine Kaffeetasse gerichtet. Wie auf Kommando sprangen die zwei Scheiben aus dem Toaster. »Ed weiß, wie sich das anfühlt«, sagte er und zog die Margarine zu sich heran. Zweifel dachte an seine Mutter.
»Natürlich«, murmelte er und legte seinem Vater einen Toast auf den Teller und nach kurzem Überlegen auch den zweiten.
»Also — du bist mir noch eine Antwort schuldig.« Ed war mit der Margarine fertig und nahm das Marmeladenglas in die Hand. Er tat so, als kontrollierte er die Inhaltsstoffe.
»Ed ist pleite«, sagte er nach einer langen Pause. Das traf Zweifel wie ein trockener Kinnhaken. Er starrte seinen Vater an.
»Was soll das heißen? Was ist mit dem Haus?«
»Wurde versteigert.«
»Und?«
»Und was?«
»Na, da muss doch Geld geflossen sein.« Ed nickte und biss in das Marmeladen-Margarine-Gemisch, das er auf seinem Toast angerichtet hatte.
»Aber nicht in Eds Richtung«, antwortete er mit vollem Mund. Es schien ihn nicht weiter zu belasten. Zweifel vergaß vor Verblüffung, den Kopf zu schütteln.
»Und jetzt?«, fragte er. Ed schluckte hinunter und wischte ein paar Krümel aus seinem Mundwinkel.
»Jetzt bin ich hier.«
Melzick wälzte sich auf die andere Seite und landete mit ihrer Nase an der Wand, die nach frischer Farbe roch. Es war kurz nach sieben. Das wusste sie, ohne die Augen zu öffnen. Sie hatte den Schuss gehört. Natürlich war es kein Schuss. Wie jeden Morgen um dieselbe Zeit hatte Frau Stalinke aus dem Erdgeschoss das Haus verlassen, um mit ihrem selbst gestrickten Kampfdackel das zu machen, was normale Hundebesitzer als „Gassi gehen“ bezeichnen. Frau Stalinke fasste diese Tätigkeit eher militärisch auf: Sie ging auf Patrouille, nicht ohne zuvor die Tür zum Treppenhaus einer Belastungsprobe zu unterziehen. Melzick hatte sich schon oft gefragt, woher diese Frau mit ihren dünnen Ärmchen die Wucht nahm, das ganze Haus erzittern zu lassen. Sie vermutete eine bisher unbekannte asiatische Kampfkunst. Die frische Farbe roch angenehm. Melzick nahm einen tiefen Zug durch die Nase und wusste im selben Augenblick, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war. Wie zur Bestätigung meldete sich ihr Handy. Auf ihr verschlafenes »Ja?« meldete sich Zacharias.
»Morgen Mel. Heute geht’s rund. Bist du dabei?«
»Wobei?«, antwortete sie umrahmt von einem herzhaften Gähnen.
»Ach Schwesterchen! Ich hab dir doch den Link geschickt. Die Demo in Augsburg.« Melzick kratzte sich an der Nase, während sie in ihrem Gedächtnis kramte.
»Was für’n Link? Welche Demo? Wer spricht da überhaupt?« Zacharias wollte schon empört loslegen. Im letzten Moment ging ihm ein Licht auf.
»Keine Chance, Mel. Wenn du mich reinlegen willst, musst du früher aufstehen.«
»Will niemand reinlegen, kleiner Bruder, will einfach nur liegenbleiben«, nuschelte Melzick und drehte sich auf den Rücken.
»Hätte ich mir denken können«, sagte Zacharias mit vollem Mund und legte noch eins drauf. »Kommst eben jetzt auch schon ins Ego-Alter.« Er schmatzte genüsslich. »Fängt bei den meisten ab dreißig an, bist wohl etwas früher dran.« Melzick setzte sich abrupt in ihrem Bett auf und blinzelte den letzten Rest Schlaf weg.
»Deine Provokationen waren auch schon mal cooler, Zack.«
»Da gehen die Expertenmeinungen auseinander.« Zacharias hatte den Mund schon wieder voll.
»Was kaust du mir da eigentlich andauernd vor?«
»Etwas, worüber die Experten sich einig sind.«
»Und das wäre?«
»Meine Mango-Maccadamia-Muffins.«
»Ok ok, Zack, heb mir welche auf.«
»Sind schon eingepackt. Wir treffen uns am Bahnhof. Vergiss dein Transparent nicht.«
»Was für’n Transparent denn?«
»„Freiheit für Gluten“«, »„Nieder mit den freien Radikalen“«, was man eben so fordern darf als Polizeibeamtin.«
»Ich denk das ist ’ne Klima-Demo.«
»Na dann eben: „Inlandsflüge nur für Bienen“.«
»Das ist mir zu lang.« Zacharias ließ einen Stoßseufzer hören.
»Forget it. Hauptsache du machst mit.«
»Was ist mit deiner Freundin Jocelyn?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Könnte riskant sein, als Illegale bei einer Demonstration erwischt zu werden.«
»Mel, es gibt keine illegalen Menschen.«
»Du weißt, wie ichs meine.«
»Weiß ich und Jocelyn weiß, was sie tut.«
»Na dann — man sieht sich.« Zacharias wollte noch etwas sagen, überlegte es sich anders und legte auf. Melzick musste dran denken, wie Zacharias ihr die junge Frau aus Äthiopien vor ein paar Wochen vorgestellt hatte. Sie beschloss, sich bei Gelegenheit um eine Rechtsberatung zu kümmern. Zacharias war ein unverbesserlicher Optimist. Seine rosarote Brille war zu oft beschlagen. Er weigerte sich einfach, Schwierigkeiten wahrzunehmen, bevor sie ihm im Genick saßen.
Читать дальше