»Und?«
»Sieht übel aus – die Ampel ist ausgefallen. AL-LE AMP-ELN sind ausgefallen!«
»Was? Echt?«
»Ja, du hast richtig gehört. Die Ampeln sind ausgefallen.«
»Na prima!«
Nachdem wir eine halbe Stunde später die Kreuzung endlich passiert hatten und nach rechts abgebogen waren, standen wir nach wenigen Metern im nächsten Stau. So ging es weiter und weiter und es schien, als hätten in der ganzen Stadt die Ampeln einen Generalstreik ausgerufen.
»Komisch, das mit den Ampeln. Findest du nicht?«
»Die scheinen nicht das Einzige zu sein, was ausgefallen ist«, meinte ich und ich nickte zu der großen analogen Uhr, die an der Fassade des Tabakgeschäfts auf der anderen Straßenseite befestigt war. Die Zeiger waren stehen geblieben. Auch die digitale Anzeige im Schaufenster einer Apotheke neben mir, die auf unserer Hinfahrt zum Supermarkt noch abwechselnd die Temperatur, das Datum und die Uhrzeit in leuchtendem Rot angezeigt hatte, funktionierte nicht mehr. Anna nickte fragend zu der Einfahrt eines Autohauses hin.
»Was meinst du … Soll ich da drüben abbiegen?«
Über den Parkplatz zehn Meter vor uns gelangte man über eine kleine Straße für Zulieferer zur Industriestraße, die durchs westliche Gewerbegebiet führte und an einem gut ausgebauten Feldweg endete, über den man aus der Stadt hinaus kam.
»Probieren kannst du’s ja … Ich schalte mal das Radio an.«
»Nein, warte ich will das Lied …«
»Pst!«
» …der weite Teile des Sendegebiets erfasst hat. Wie viele Städte und Gemeinden davon betroffen sind, ist noch unklar. Aufgrund ausgefallener Ampelanlagen ist daher in den Innenstädten der betroffenen Städte mit erheblichen Verkehrsbehinderungen zu rechnen. Auch im Bus- und Bahnverkehr und am Flughafen kann es zu Verzögerungen und Ausfällen kommen. Auch bei uns hier im Sender, liebe Hörer, ist der Strom ausgefallen. Keine Sorge, dank unseres Notstromaggregats sind wir auch weiterhin für Sie da. Über mir leuchtet eine rote Lampe und die Klimaanlage ist auch ausgefallen. Kurz: Hier ist es ziemlich heiß! Aber wir bleiben trotzdem auf Sendung! Sollten Sie auch von dem Stromausfall betroffen sein, bleiben Sie bitte ruhig und wenden Sie sich in Notfällen an Ihre nächste örtliche Polizeidienststelle, an die Feuerwehr oder das Technische Hilfswerk. Meiden Sie Orte, an denen viele Menschen zusammenkommen und Paniken entstehen können. Sobald uns neue Informationen zu dem Stromausfall und den Ursachen vorliegen, informieren wir Sie darüber, bleiben Sie also dran. Und nun zum Verkehr: Aufgrund des generellen Urlaubsrückverkehrs, da am Montag in Hessen und in Rheinland-Pfalz die Schule wieder anfängt, sollten Sie auf den Autobahnen heute besonders viel Geduld mitbringen. Es hat bereits einige Unfälle gegeben. Fangen wir an: Auf der A5 Kassel – Frankfurt kommt es … «.
zwei.
Zwanzig Minuten später waren wir daheim. Jener Tag war ein herrlich heißer Spätsommertag, an dem die Luft vibrierte, flimmerte, still stand. Ein Tag, an dem sich alles Leben verlangsamte, schlief oder vor sich hindöste, um Kraft zu sparen. Ich stieg aus, nahm die Einkäufe aus dem Kofferraum und ging zur Haustür und wartete dort auf Anna. Ich wartete. Ungeduldig schaute ich in den Himmel und auf einmal war da diese Schneeflocke. Sie fiel langsam vor meinen Augen zu Boden. Ich hatte sie aus dem Augenwinkel heraus bemerkt und war ihr instinktiv ausgewichen, sonst wäre sie genau auf meiner Nase gelandet. Ich hatte mich erschrocken, denn wer denkt schon im Sommer an Schneeflocken? Ich sah in den dunkelblauen Himmel: Weit über mir thronte stolz und allein eine kleine, weiße Wolke. Die Einzige weit und breit. Kam die Schneeflocke von dort?
Vielleicht war sie auch von den Nachbarn herüber geweht, war künstlich, irgendetwas, nur kein richtiger Schnee. Aber kurz gesehen, gespürt hatte ich sie, sie hatte mich an der Nase gekitzelt und war mir wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen, das an eben diesem heißen Tag auf mich herabgefallen war.
»Hast du deinen Schlüssel nicht eingesteckt?« Anna lud mir zusätzlich noch ihre Tüten auf und öffnete die Tür.
»Da war gerade eine Schneeflocke auf meiner Nase.«
»Um diese Jahreszeit? Das wird wohl eher eine Feder gewesen sein.«
»Doch, echt!«
»Eine Feder ist aber wahrscheinlicher als eine Schneeflocke.«
»Es war aber eine!«
»Wenn du meinst ... Jetzt komm rein und hilf mir beim Auspacken.«
Drinnen war es angenehm kühl. Und ungewöhnlich leise.
Unsere Tochter Lucy war an diesem Wochenende noch bei Annas Eltern. Sie sollte erst am darauffolgenden Tag zurückkommen, da Montag die Schule wieder anfing. Sie kam in die Dritte und konnte es kaum erwarten, ihren Freundinnen zu erzählen, dass sie in unserem Urlaub auf Sardinien am Strand eine echte Schildkröte gesehen und sogar angefasst hatte. Schnell kramte ich die Einkäufe aus den Taschen und stellte sie auf den Tisch, damit Anna sie wegräumen konnte, dann nahm ich mir die neue Fernsehzeitung und ein Cola-Bier und ging auf die Terrasse. Kaum hatte ich es mir unterm Sonnenschirm bequem gemacht, rief Anna nach mir:
»Komm mal bitte, die Kaffeemaschine funktioniert nicht!«
»Was blinkt denn?«
»Es blinkt gar nichts.«
»Vielleicht ist der Stecker nicht drin.«
»Der Stecker i s t drin!«
Genervt legte ich die Zeitung auf den Tisch und ging ins Haus, um das Problem zu beheben. Wir hatten den Vollautomaten vor zwei Monaten gekauft. Als ich in die Küche kam, sah Anna mich ratlos an. Nachdem ich sämtliche Knöpfe des Vollautomaten mehrfach gedrückt hatte, bemerkte ich den Fehler. Der Vollautomat hatte keinen Strom. Und damit war er nicht allein: Auch beim An- und Ausknipsen des Küchenlichtschalters machte es nur: Klick. Klack. Klick-klack. Klickklack. Und das war’s auch schon. Es ist seltsam, wie es oftmals die kleinen Dinge des Lebens sind, die einem den Nerv rauben. Meist regt man sich über sie mehr auf, als wenn etwas wirklich Schlimmes geschieht. Das Schlimme ist, wenn es passiert, zu verstörend, als dass man dann die Kraft dazu hätte, sich zusätzlich noch aufzuregen. Ich ging die Treppe hinunter in den Keller, um mit der Lampe meines Handys nach den Sicherungen zu sehen. Sie waren alle in Ordnung.
»Fehlanzeige, die Sicherungen sind okay! Wahrscheinlich haben die von der Stadt bei Arbeiten mal wieder eine Leitung beschädigt!«
An den Stromausfall im Supermarkt und die toten Ampeln und an das, was sie im Radio gesagt hatten, dachte ich schon gar nicht mehr. Anna jedoch schon:
»Doch nicht auch hier bei uns, oder? So eine Scheiße!! Und das bei der Hitze! Da tauen uns sofort die Gefriertruhe und der Kühlschrank ab! Was mache ich mit den ganzen Sachen, die ich gerade gekauft habe? Das wird ja alles schlecht. Das kann ich morgen wegschmeißen!«
Ich ging zu ihr und gab ihr einen Kuss auf den Hals, das beruhigte sie immer, wenn sie aufgeregt war.
»Wir stellen die Sachen erst mal in den Keller. Da ist es ziemlich kühl. Oder frag doch Caro, vielleicht hat sie ja Platz in ihrem Gefrierfach – die haben sich doch erst so 'n Riesenteil gekauft.«
»Die sind nicht da. Die kommen erst morgen oder Montag wieder aus dem Urlaub. So genau weiß ich das nicht. Und außerdem: Wenn das die ganze Straße betrifft, dann haben Caro und Stefan auch keinen Strom … Aber du hast recht. Wir stellen die Sachen erst mal in den Keller, am besten hinten in die Ecke neben dem Schrank, indem das Werkzeug liegt, da ist es am kühlsten. Kannst du …? Ich ruf mal meine Mutter an.«
»Ist schon okay.«
Sie nahm sich das Telefon und ging auf die Terrasse, derweil ich mich daran machte, die Lebensmittel aus dem Kühlschrank und dem Gefrierfach in den Keller zu tragen. Anna kam wieder in die Küche.
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