Anna kam über den Hof gelaufen.
»Na, wie war’s?«, rief ich ihr zu.
»Wie soll’s gewesen sein? Scheiße! Der Mühlstein …, der geht mir so was von auf die Nerven!«
»Wieso? Was macht er denn?«
»Er steht ständig hinter mir. Und wo immer er eine Möglichkeit sieht, mich zu berühren, da berührt er mich. Und nicht nur das: Er macht mir auch zweideutige Angebote.«
»Was heißt das: Er macht dir zweideutige Angebote?«
»Das heißt … Du kannst dir ja denken, was das heißt!«
»Was hat er denn gesagt?«
»Er … er hat gesagt, dass ich mir ruhig ein bisschen mehr Mühe bei der Arbeit geben könne.«
»Na, besonders zweideutig ist das ja nicht. Und was meint er damit?«
»Das habe ich ihn auch gefragt und er sagte, es gäbe genug andere Frauen, die gerne meinen Job machen würden. Ich soll dankbar sein, dass ich für ihn arbeiten darf und so und ich könne mich dafür auch ruhig mal bei ihm erkenntlich zeigen. Er hat mir über den Kopf gestrichen und gegrinst, das Schwein! Dann ist er gegangen.«
»Vielleicht meinte er ja auch etwas ganz anderes mit »erkenntlich zeigen« als das, was du da hineininterpretierst?«
»Das habe ich im ersten Moment auch gedacht. Aber ich glaube schon, dass ich da richtig interpretiere.«
»Vielleicht hast du dich auch getäuscht.«
»Ich hoffe es, wir brauchen die Arbeit doch, wir brauchen doch das hier«, und sie hielt den Leinenbeutel hoch, in dem sie die Milch und die Kartoffeln und Zwiebeln hatte, mit denen sie für ihre Arbeit bezahlt worden war.
Als wir nach Hause kamen, ging Lucy durchs ganze Haus und dann in den Garten. Nach einigen Minuten kam sie wieder rein und ihre Augen waren verweint.
»Was hast du?«, fragte ich sie.
»Hast du Nero gesehen?«
Anna streichelte ihr über die Wange und nahm sie in den Arm.
»Ist er immer noch nicht zurückgekehrt?«
»Nein, ist er nicht, Mama. Und du …«, sie zeigte auf mich und Tränen rannen ihr die Wangen herab, »… du hilfst mir ja auch nicht beim Suchen!«
Lucy sah mich vorwurfsvoll an.
»Doch, komm ich helfe dir. Lass uns ihn suchen gehen«, sagte ich.
Anna blieb zu Hause und ich nahm Lucy an der Hand und wir gingen durchs Dorf, um Nero zu finden. Der Spaziergang mit ihr tat mir gut, er lenkte mich ab von dem, was Anna erzählt hatte. Lucy und ich suchten die Straßen ab, wir marschierten durchs Feld und fragten alle Nachbarn, die wir zu Gesicht bekamen, doch niemand hatte ihren kleinen schwarzen Kater gesehen. Es war seltsam: Nero war bisher immer zurückgekommen, es konnte geschehen, dass er im Sommer mal eine Nacht oder auch zwei ausblieb, aber wenn es kälter wurde, bevorzugte er seinen Platz vor dem Kamin und ging nur selten vor die Tür. Er hatte geschmollt, weil er sein Luxuskatzenfutter nicht mehr von uns bekam, war deshalb auch weggeblieben, aber er war immer wieder zurückgekommen. Ich mochte den Kater, aber ehrlich gesagt war es mir auch ganz recht, dass er sich nicht blicken ließ – so brauchten wir ihm auf Lucys Drängen auch keine Milch mehr zu geben und es lagen auch weniger Haare auf der Couch. Ohne Strom und Staubsauger war es ziemlich viel Aufwand, die Wohnung von Katzenhaaren zu befreien. Und doch: Lucy liebte ihren Kater, sie kümmerte sich rührend um ihn und ich war es gewesen, der ihn ihr geschenkt hatte. Eine Stunde suchten wir das gesamte Terrain, in dem sich der Kater für gewöhnlich aufhielt, erfolglos ab. Lucy war traurig, stumm vor Trauer, sie weinte still und ich nahm sie auf den Arm, um sie zu trösten und trug sie nach Hause. Wie schwer sie geworden ist in den letzten zwei Jahren. Zuhause angekommen rannte sie erst zu Anna und dann hoch in ihr Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu, sodass der Spiegel oben im Flur bedenklich wackelte.
Dabei war Nero nicht das einzige verschwundene Haustier, auch andere vermissten ihre Tiere, wie mir Stefan berichtete. So verschwanden etwa Hunde tagsüber aus den Höfen und Gärten, Katzen kehrten nicht wieder und auch so mancher Hasenstall war über Nacht verwaist. Wer aber die Tiere geholt hatte, das wusste keiner.
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