„Was denn?“, fragte Corinna mit leicht panischem Unterton.
„Ich hatte unrecht“, sagte Clemens kaum hörbar und scheuchte mit einem gekonnten Blick einen der mittlerweile drei zuschauenden Kellner auf.
Clemens bekam die Rechnung gebracht, zahlte ohne mit der Wimper zu zucken die Gesamtrechnung des Abends und zog neben einer wild schimpfenden Corinna seinen Mantel an. Er ließ sich noch Papier und Stift bringen, notierte etwas und gab Bärbel den Zettel über den Tisch. „Schickt mir bitte eure Namen und Adressen, wegen der Buchungen.“
Kapitel 4 – Tannenduft oder Sprühsahne?
Einige Tage später, ausgerechnet am Freitag, den dreizehnten, war es dann auch schon soweit: Es ging nach Berlin. Der Flug an sich dauerte ja nicht lange, aber in der ganzen Zeit, die man auf, am und um den Flughafen herum verbrachte, hätte man fast auch laufen können.
Bärbel wurde beinah von einem Flughafenelektrowägelchen umgefahren, ihr Plüscherdferkel musste zum Sprengstofftest und ihre Schuhe waren auch höchst verdächtig. Und der Gürtel erst! Warum musste man eigentlich nicht gleich ohne Klamotten durch die Torsonde? Da konnte man sich auch die Nacktscannerdebatte sparen.
Clemens hatte ihnen Flüge am frühen Morgen gebucht, wahrscheinlich war das sein persönlicher, kleiner Racheversuch. Bärbel und ihren beiden Mitreisenden war es ganz recht, immerhin konnten sie so Berlin schon ein wenig erkunden.
Nachmittags fuhren sie wie verabredet zum Hotel und trafen im Foyer auf eine unruhige Corinna. „Es gibt ein Problem!“, war das Erste, das sie ihnen entgegenblökte. Die drei Berlinreisegewinnerinnen waren jedoch gut gelaunt und warteten ab, was da nun kommen würde.
„Clemens ist krank und musste zu Hause bleiben!“ Corinna sah aus, als erwartete sie, dass nun alle ‚Oh nein! Oh nein! Der internationale Zahnkongress!’ riefen und sich tief bestürzt die Tränen abtupften.
„Männergrippe oder was Richtiges?“ Bärbel fing sich einen bitterbösen Blick von Corinna ein.
„Und jetzt? Müssen wir jetzt das Zimmer selbst bezahlen?“, fragte Pia alarmiert und bekam ebenfalls einen fiesen Blick zugeworfen.
„Nein. Das geht schon klar. Wir können trotzdem von der Corporate Rate profitieren. Das Haus ist da kulant.“ Corinna nickte gönnerhaft. „Ihr beiden bekommt ein Zimmer zusammen und Bärbel wohnt bei mir.“
Na, das konnte ja heiter werden. Bärbel verkniff sich einen garstigen Kommentar dazu. „Wie war es denn auf dem Kongress?“, fragte sie stattdessen.
Corinna machte ein missmutiges Geräusch. „Ging so. Frag lieber nicht.“
Sie jetzt noch weiter zu provozieren war mehr als riskant, also betrachtete Bärbel das Thema als abgeschlossen. Corinna war immer noch hypernervös und schaute ständig zu den Aufzügen.
„Was ist da?“, erbarmte sich Bärbel zu fragen.
„Was?“, fragte Corinna zurück.
„Da drüben. Du guckst ständig da rüber?“
„Dort sind die Aufzüge.“
„Ach.“
„Ja.“
„Und warum bist du so nervös? Aufzugsphobie?“
Corinna seufzte genervt. „Kennst du Koch und weg?“
Damit hatte Bärbel jetzt nun wirklich nicht gerechnet. „Ja, warum?“, fragte sie.
„Der Finne, der da immer die Außenreportagen macht und auch im Studio mitwirkt, der lief vorhin hier durchs Foyer.“
„Was, Teemu?“, fragte Bärbel in normaler Gesprächslautstärke. In Gedanken fügte sie hinzu ‚der hat mir schon das gesamte Auto zugehaart‘.
„Psssst! Genau.“
„Oh! Den mag ich!“, rief Marie.
„Jetzt seid doch mal leise! Die Rezeption guckt schon!“, zischte Corinna.
„Hui, vielleicht sehen wir den ja noch mal“, sagte Pia leise und beobachtete nun auch die Aufzüge.
Der Abend und der nächste Morgen verliefen ereignislos und ohne Teemusichtung, auch zum Frühstück tauchte er nicht auf. Schade. Wahrscheinlich speiste er in seiner Suite oder in einem extra für ihn angemieteten Thronsaal. Naja, man konnte nicht alles haben. Immerhin waren sie hier in diesem tollen Hotel, welches sie selbst nie gebucht hätten.
Das hier war schon eine Klasse für sich. Alles war sehr modern, ohne Schnörkel. Die Zimmer waren riesig und hatten sogar teilweise Balkons. Morgens hing die Tageszeitung an der Tür, da konnte man sich schon mal erschrecken, wenn man nicht mit Tüten an der Zimmertür rechnete. Corinna hatte die Zeitung natürlich sofort an sich genommen, und sich auch noch eine Börsenzeitung geben lassen, schließlich musste sie informiert bleiben.
Mittags während der Stadtbesichtigung geschah dann das Unvermeidbare. Corinna und Bärbel gerieten aneinander und zwar richtig. Bärbel sagte seit morgens schon kaum noch etwas, da Corinna mehr als allergisch auf ihre gute Laune reagierte. Pia und Marie hatten versucht, diplomatisch zu sein, aber Corinna hatte sich auf Bärbel eingeschossen. Zum Teil konnte Bärbel es sogar verstehen, immerhin war sie schuld daran, dass Corinna sich hier weit unterhalb ihrer üblichen Gesellschaftsschicht bewegen musste und ihr Vortrag beim Kongress war wohl auch nicht so gut angekommen wie erwartet.
Als Pia nachmittags darauf bestand, noch das Brandenburger Tor zu besichtigen, obwohl es zu regnen begann, trennte sich Corinna von den dreien.
Bärbel kam zwar nass und müde, aber gut gelaunt gegen zehn Uhr abends allein ins Hotel zurück. Marie und Pia hatten am Brandenburger Tor zwei Franzosen kennengelernt und wollten unbedingt mit ihnen gemeinsam das Berliner Nachtleben erkunden.
Corinna war schon im Zimmer und sortierte gerade ihre Neuanschaffungen. Auf dem Schreibtisch türmten sich Tüten diverser exklusiver Modelabel, daneben stand das Hotelbügeleisen.
Bärbel hatte gerade ihre Tasche und die Zimmerkarte aufs Bett geworfen und ihre Jacke zum Trocknen aufgehängt, als Corinna sich an ihr vorbeischob und raus auf den Hotelflur ging.
„Bärbel, komm mal, das musst du dir unbedingt angucken!“, rief Corinna.
Was war denn jetzt? Mit einem Seufzen ging Bärbel zu Corinna, die auf dem Flur stand und fasziniert nach links zeigte. Bärbel konnte jedoch nichts Besonderes in dem zugegebenermaßen farblich sehr schön abgestimmten Hotelflur erkennen.
Dann tat Corinna etwas, mit dem Bärbel nie gerechnet hätte: Sie huschte zurück ins Zimmer und sperrte Bärbel aus.
Hallo!? Was sollte das denn? Bärbel stand perplex da und starrte die geschlossene Zimmertür an. Sie klopfte, ohne Erfolg. Egal, das hier war ein Hotel, das würde sich alles klären lassen. Gerade als sie den Aufzugsknopf drücken wollte, hörte sie schräg hinter sich eine Tür aufgehen und drehte sich um. Sie schaute Corinna fassungslos dabei zu, wie sie Bärbels gesamtes Gepäck auf einen unordentlichen Haufen vor der Zimmertür türmte.
„Corinna, was soll das?“, fragte Bärbel und bemühte sich, dabei ruhig zu bleiben.
„Miet dir ein eigenes Zimmer oder zieh in ein anderes Hotel um! Ich hab die Schnauze voll! Du hast mir meinen Trip nach Berlin total ruiniert! Du und deine blöde Wette!“ Corinna schrie fast schon. „Ihr mit euren Autos!“, rief sie noch und knallte die Zimmertür zu.
Bärbel trug ihre Habseligkeiten erst einmal zu dem schnörkellosen Designersofa vor dem Nachbarzimmer. Soweit sie das auf die Schnelle überblickte, war alles vollständig. Corinna reagierte auch in den nächsten Minuten weder auf Klopfen noch auf Anrufe.
Bärbel versuchte, Pia zu erreichen. Die hatte allerdings nur ein backsteingroßes Uralthandy und das war meist nicht an, wohl auch jetzt nicht. Marie reagierte ebenfalls nicht auf ihre Kommunikationsversuche. Und was nun?
Nach diversen Versuchen erreichte Bärbel endlich Marie. Die war bereits mehr als angetrunken und wusste weder wo sie waren noch ob sie heute Nacht überhaupt ins Hotel zurückkommen würden.
Bärbel entschied, im Hotelflur auf dem Sofa zu schlafen. Runter zur Rezeption gehen wollte sie nicht, ein eigenes Zimmer hier im Hotel konnte sie sich nicht leisten und ein anderes Hotel wollte sie sich heute Abend auch nicht mehr suchen müssen. Wenn sie nur halb so schlimm aussah wie sie sich fühlte, nämlich wie ein ausgesetzter Hund an einer Autobahnraststätte, im Regen, würde sie wahrscheinlich noch nicht einmal ein Zimmer irgendwo bekommen.
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