Es traf sie fast der Schlag. Sie starrte in zwei blau-graue Augen, die sie nur allzu gut kannte. Allerdings eher aus dem Fernsehen oder von ihrem Computermonitor.
„Sorry“, sagte Teemu und rang sich ein Lächeln ab. „Hast du dich verletzt?“, fragte er, nun auf Deutsch, mit ein bisschen Akzent. Er klang wie im Fernsehen.
„Ich werde es überleben.“ Sie musste grinsen. „Bist du auf der Flucht?“
Er lächelte schief, zuckte mit den Schultern und sah sich nervös um. „Ja, so ungefähr.“
Bärbel nickte ihm freundlich zu und wandte sich zum Gehen. „Na dann will ich dich mal nicht weiter aufhalten. Schönen Tag noch und viel Erfolg.“
Er war bestimmt froh, wenn er in Ruhe gelassen würde, nach all seinen schlechten Erfahrungen mit übergriffigen Fans. Bärbel sortierte ihren Schal zurück in ihre Jacke und ging in die Richtung, in der sie ihr Auto vermutete.
Da vorn war es, sie konnte schon die hintere Stoßstange sehen. Ein großer SUV stand nun daneben, kein Wunder, dass sie es nicht auf Anhieb gefunden hatte. Sie hörte Schritte hinter sich.
„Warte bitte!“
Bärbel drehte sich um und wartete, bis Teemu bei ihr war. Er atmete gestresst aus und fuhr sich hektisch durch die Haare. Ihn aus der Nähe zu sehen war interessant. Im Fernsehen sah er immer so jungenhaft und wie geleckt aus, aber jetzt hier, ohne dass die Visagisten ihn bearbeitet hatten, sah man doch einige Fältchen und die Narbe in seiner linken Augenbraue war deutlich zu erkennen. Immerhin war der Kerl auch schon fast vierzig und kein Kind von Traurigkeit, wenn man den Medien glauben durfte.
„Ja, klar. Was gibts denn?“ Sie hoffte, dass sie ihn nicht allzu auffällig anstarrte.
„Ich habe Problem“, sagte er auf Deutsch. Das Weglassen des Artikels war typisch für ihn, immerhin gab es im Finnischen keine. Das hatte er mal in einem Interview erzählt. Er kaute auf seiner Unterlippe herum und sah sich immer wieder nervös um.
„Oh. Was denn?“, fragte Bärbel.
„Die … anderen haben mich vergessen hier. Ich muss am Flughafen sein in fünfundvierzig Minuten. Kannst du mir sagen, wo ich Taxi bekomme? Bitte.“
„Ähm … ja, klar. Vorn an der Hauptstraße stehen immer welche. Aber das schaffst du nicht mehr. Die Mädchen da draußen reißen dich in Stücke. Bis du es zum Taxistand geschafft hast, ist es morgen früh. Und wenn du ein Taxi anrufen würdest, braucht das auch eine Weile, bis es hier ist. Und warten müsstest du auch draußen. Ich glaub nicht, dass Taxis hier runter ins Parkhaus kommen.“
Teemu griff sich an den Nacken, kniff die Augen zusammen und fluchte auf Finnisch. Es klang allerdings nicht besonders empört, sondern eher lustig.
„Soll ich dich fahren?“
Der Finne sah ihr in die Augen. Bärbel fühlte sich, als ob er ihre Gedanken lesen konnte und ihr wurde ganz anders.
„Ähh …“ Er zog ein Gesicht, als sei Bärbels Vorschlag gänzlich außerhalb des Akzeptierbaren einzustufen. Er kämpfte einige Sekunden mit sich und nickte dann. „Ja, okay. Danke.“
„Kein Problem, dann mal los.“ Sie hoffte, dass es so aufmunternd bei ihm angekommen war, wie sie es gemeint hatte und lief weiter in Richtung ihres Autos.
Teemu holte zu ihr auf. „Sorry, dass ich mache Mühe und danke noch mal. You are my …“ Er suchte nach einem Wort.
„Last Hope?“ Sie musste lachen und er ließ sich davon sogar anstecken. „Ja.“ Der Liedtitel von Polarfrost passte hier perfekt. Bärbel nickte, drückte auf die Türentriegelung ihrer Funkfernbedienung und die Lampen des dunkelblauen Ford Mustang GTs blinkten kurz. Teemu riss die Augen auf. „Das ist dein Auto?“
„Ja, Herr Perhonen, da guckense, ne?“ Ups, hatte sie das laut gesagt? Naja, auch egal.
Teemu sah sie nun erneut skeptisch an und kämpfte sichtlich mit sich, ruhig zu bleiben. Wahrscheinlich überlegte er jetzt, wer gefährlicher war: Die Frau mit dem aufgemotzten amerikanischen Sportwagen, oder die Horde Fans, die bestimmt noch im Orbit des Einkaufszentrums kreiste und ihm die Klamotten vom Leib reißen würde, sobald sie ihn sah.
Bärbel öffnete den Kofferraum und sie räumten ihr Gepäck hinein. „Sorry. Ich wollte sagen, ja, das ist mein Auto.“
Sie fuhren aus dem Parkhaus und auf die Autobahn in Richtung Flughafen. Es war nicht viel los und den Mustang zu fahren machte wie immer einen Heidenspaß. Teemu tat Bärbel immer noch leid, so angespannt wie er war. Vielleicht schaffte sie es ja doch noch, ihm klarzumachen, dass sie keine Gefahr für ihn darstellte.
„Du hast gesagt, die anderen haben dich im Parkhaus vergessen. Wie kann man denn seinen Sänger einfach so vergessen?“, fragte sie in die Stille hinein.
Er seufzte. „Sie dachten, ich fahre zusammen mit unserem Manager. Aber er ist allein gefahren. Ich habe nur noch gesehen Auto von hinten.“ Teemus tiefe, warme Stimme erfüllte den Innenraum des Mustangs und in Bärbels Bauch wölkten Schmetterlinge auf. Teemu war wirklich hier in ihrem Auto! Das war surreal und fantastisch zugleich.
„Warum hast du ihn nicht gleich angerufen, damit er zurückkommt?“
„Akku leer.“ Er klang leicht genervt. Das Wort ‚Akku’ sprach er auf die finnische Art aus – mit einer Mikropause zwischen den beiden k.
„Oh.“ Sie griff in ihre Jackentasche und hielt ihm ihr Handy hin. „Willst du jetzt telefonieren?“
Teemu sah sie verschreckt an, so, als ob sie ihm gerade ein tiefgefrorenes Brathähnchen hinhielt und kein iPhone. Vielleicht überlegte er ja, ob er ein Telefonat wagen könne, immerhin hätte sie dann die Telefonnummer von dem, den er anrufen würde. Juha vielleicht oder einen der beiden Namenlosen. Vielleicht auch seinen Manager Kristian, den Unsympathen, der immer so einen arroganten Eindruck machte.
Teemu fand sein Lächeln wieder. Sein Fremde-Leute-Lächeln. „Nein, danke, ich habe Ticket und treffe die anderen am Gate. Alles gut.“
„Okay.“ Sie steckte das Telefon wieder weg. „Ich wollte dir nur helfen. Ich habs nicht böse gemeint.“
Er atmete hörbar aus und kratzte sich am Kopf. Wehe, du verteilst mir finnische Schuppen auf den Ledersitzen, mein Freund!
„Nein, nein, alles gut. Ich … wollte nicht unfreundlich sein. Ich bin nur … bisschen gestresst. Danke, dass du mich zum Flughafen bringst.“
„Kein Problem, gern.“
„Schönes Auto.“
„Ja, ich liebe es.“
Er lächelte und sah weiter aus dem Fenster.
Sie kamen jetzt in die Nähe des Flughafens. „Welches Terminal?“, fragte Bärbel.
„Eins.“
Sie fuhr den Schildern nach und hielt vor dem Flughafengebäude an. Einige der dort stehenden Leute starrten zu ihnen herüber, aber der Mustang war eben kein silberner Golf. Da starrte immer irgendjemand.
Teemu nickte erleichtert. Er sah Bärbel an und lächelte. Na also, geht doch.
„Vielen Dank, ähm … wie ist dein Name?“
„Bärbel.“
„Bör-bell?“ Nein, Bärbel, du Witzbold. Sie lächelte und sagte nichts.
„Danke für Rettung.“ Er überlegte kurz und streckte ihr dann seine rechte Hand hin.
Er hatte einen angenehmen Händedruck, nicht zu fest und nicht zu schlaff. Teemu öffnete die Tür und faltete sich aus dem tiefen Auto nach draußen. Er kruschelte im Kofferraum herum und knallte die Klappe ein wenig zu fest zu. Hey, lass mir mein Auto ganz!
Er klopfte zweimal aufs Dach und war einige Sekunden später durch die automatische Glastür im Flughafen verschwunden. Bärbel fuhr wieder auf die Autobahn und weiter nach Hause, der Tag heute war mehr als gerettet. Sie drehte die Countrymusik lauter und zog auf die linke Spur.
Kapitel 2 – Alles muss man selbst machen!
Nach einem Zwischenstopp bei ihrer Lieblingspizzeria fuhr Bärbel nach Hause und sah liebevoll zu dem Essensstapel auf dem Beifahrersitz. Sie musste wieder an Teemu denken und grinsen. Doch was war das da neben dem Pizzakarton? Sie hob ein Haar hoch und betrachtete es im letzten Licht der untergehenden Sonne. Blond, aha. Die Finnen warfen also bereits ihr Winterfell ab. Und das im Februar! Musste ein heißer Sommer werden.
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