„Cola ist ungesund“ , sagte er mir mit einem strengen Blick frei in mein Gesicht, als wäre er mein Lehrer.
„Besser als Kaffee“ , deutete ich auf seinen Becher hin.
„Uuund ein wenig Aufmunterung erscheint mir an unserem Tisch nötig, richtig?“ , verdammt, ärgerte ich mich über meinen frechen Spruch, während ich die letzten Worte sprach.
Daraufhin erfolgte eine Reaktion. Er sah mich mit riesigen Augen entgeistert an. Besser, ich versuchte, das zu glätten, bevor ich alleine an diesem Tisch ende, dachte ich mir. Nein, heute ist schlechte Laune ausverkauft! Schon, weil ich keine blöden Mails von faulen oder dummen Kollegen beantworten musste oder meinen Chef erdulden.
„Findest du nicht auch, dass es an der Zeit ist, sich zu entspannen? Ich habe mir Mühe gegeben, mein Monster in mir zu füttern“ , fügte ich meiner kleinen Frechheit mit einem charmanten Lächeln eine weitere hinzu.
Moment mal, bin ich eigentlich völlig irre? Ich flirte hier am ersten Urlaubstag mit einem wildfremden, traurigen oder gar depressiven Briten in einem Sandwichladen. Bin ich denn wahnsinnig oder ist das der Irrsinn, der mich meinen Frust abbauen lässt? Da will ich einmal Ruhe haben und dann fange ich hier an, Männer, Schlipsträger auch noch, anzubaggern. Warum drehten sich meine Gedanken um unser beider Beisammensein am Tisch? Hormontwister vielleicht? Nein, diese Periode war gerade vor vier Tagen vorbei. All diese überheblichen Geschäftsmenschen, die vorgaukelten, wahnsinnig beschäftigt zu sein, mochte ich persönlich nicht leiden. Aber der hier war einfach anders. Eine Nuss, die es zu knacken galt.
Mein Magen wird warm. Uuubsi? Nein, ich habe keinen Tee getrunken und auch sonst nichts Warmes zu mir genommen. Oh man, der grünäugige Typ macht mich schwach, oder wie verstehe ich mich da jetzt? Großhirn fragt Kleinhirn, ob alles Roger ist. Ein seltsames Geräusch drang in meine Ohren, zwischen denen in diesem Moment zwei Konzerte stattfanden, ein klassisches und eins mit echtem Rock. Verwirrung stellte sich prompt ein. Das Geräusch hörte sich wie ich unterdrücktes Kichern an. Unwillkürlich sah ich meinen Tischpartner an.
Er lächelte.
Er lächelte?
Meine Güte, beeindruckte mich sein Ausdruck. Schiere warme und niedliche Geste. Das musste doch belohnt werden. Von seiner Suppe fand nicht mal die Hälfte den Weg in seinen Mund. Mittlerweile hatte ich mein Baguette restlos vertilgt, ohne auch nur annähernd satt zu werden. Mein Baguette erwählte ich perfekt, denn es mundete mir hervorragend. Schinken, Parmesan und Rucola zwischen zwei frisch gebackenen Hälften passten einfach gut zusammen.
So, was nun? Ach ja, wenn ich mich schon frech geäußert hatte und mich auch noch danebenbenommen hatte, konnte ich dem Ganzen gleich noch die Krone aufsetzen. Schauen wir mal, wie das ankommt. Nun ordnete ich ein wenig mein Tablett um, weil ich meinen Hauptgang vertilgt hatte. Mir wurde besser, also eigentlich meinem Magen, welcher nun wieder ein wenig Arbeit zu erledigen hatte. Prompt beruhigte sich auch mein Gemüt.
Abstrus empfand ich meine Konversation bis zu diesem Moment. Trotzdem wollte ich, aus welchen Gründen auch immer, ein kleines Happyend erleben. Kurz betrachtete ich meinen Unrat auf dem Tablett und den frischen Blaubeermuffin. Mittlerweile stellte sich bei mir ein lang ersehntes Sättigungsgefühl ein, so dass ich gar keine Pflicht mehr darin sah, den Muffin aufzuessen. Ich teilte meinen Blaubeermuffin mit einem sehr unglücklichen Gesicht, als hörte ich den Muffin laut aufschreien. Einen Teil kippte ich auf mein Tablett und den anderen und größeren Teil bot ich diesem lächelnden, grünäugigen, schwarzhaarigen und echt hübschen Mann an. Inspirativ eine gute Methode, wie mit Kindern und Haustieren auch. Belohnen, wenn etwas gut gemacht wurde. Er, der Lehrer – ich nun seine Lehrerin – bedeutet Remis.
Ein Essen mit Dessert
George Haggerthon, London, September 2015, Freitag
Da saß mir eine Frau gegenüber, der vorhin dermaßen laut der Magen knurrte, dass ich meinte, sie wäre ein Flüchtling oder es wäre gerade eine Neuverfilmung von Alien im Gange. Doch meine Gedanken und eigenen familiären Sorgen umkreisten mich, bis diese Frau sich, trotz all der freien Plätze am Fenster, zu mir setzte. Mich interessierte ihr Beweggrund nicht, bis zu dem Augenblick, als erst ihr Magen ein weiteres Mal furchtbar laut knurrte, ja beinahe sang, und sie einfach begann, zu reden. Und dann auf eine unverblümte und freche Art, die ich nur von Barbara kannte. Hinzukam dieser Akzent, leichtes Deutsch vermutete ich, der nicht richtig zu ihr passte. Eigentlich verlieh dieser Akzent dieser leicht verrückten Frau etwas mehr Seriosität. Auch ein bisschen Amerika hörte ich heraus.
Sie war keines dieser verkannten Models, trotzdem überzeugte sie mit einer wirklich natürlichen, schönen Ausstrahlung. Diese graublauen Augen fixierten mich immer mal wieder. Damit fesselte sie mich, denn eigentlich spielte ich mit dem naheliegenden Gedanken, sie einfach alleine sitzen zu lassen. Hinzukam meine Neugier, warum sie so einen Hunger hatte und weshalb sie sich zu mir Trauerkloß setzte. Engländern traut man Unhöflichkeiten zu. Wenn ich sie jetzt einfach ohne ein Wort sitzen ließe, würde das nicht groß auffallen. In mir hallte immer noch ihre schöne weibliche Stimme nach. Verneinung pur entschied ich bei der Überlegung, ob das eine Masche von Anmache war. Vermutlich ist sie nur eine normale Touristin, mit dem Willen, heute einen guten Tag erleben zu wollen.
Aber ein Monster in ihr? Ein Krümelmonster womöglich, ließ ein wenig Humor aufkeimen. Innerlich sah ich Jason vor mir, fernsehend als kleiner Junge. Schwer vorstellbar als ein futterndes Felltier. Eher nervend, wie ein Tribble. Ich musste immer mehr grinsen. Sie schaffte es, mich abzulenken. Also auf gar keinen Fall ist diese Frau eine normale Touristin. Normale Touristen setzen sich nur in Notfällen zu einem solchen Griesgram, wie ich es bin. Dieser Dialekt, Verhalten und Wortwahl passten nicht so recht in mein Weltbild. Ihre Mimik gefiel mir und ich konnte mein beginnendes Grinsen nicht mehr aufhalten.
Verdammt, was passierte gerade mit mir? Unschlüssig aber froh blickend, sah ich schon wieder fasziniert in ihr Gesicht mit den feinen Linien und tollen Augenbrauen. Diese Augen faszinierten mich immer mehr. Reagierte sie auf mich? Ja. Vermutlich ängstigte sie meine schlechte Laune. Aber jetzt wurde ich ihr immer mehr gewahr. Diese Hände, mit denen sie mir eine Hälfte ihres Muffins anbot, waren schlank und gepflegt. Manikürt. Aber nicht diese auffälligen Nägel, sondern stilvoll zu ihr passend. Ohne großartig nachzudenken, griff ich nach ihrem angebotenen halben Muffin. War das eine Belohnung für mein Einlenken gerade eben? Nun schaute ich sie an, ihre Ohren waren rot angelaufen. Dieses Gesicht fragte ganz offenbar eine Frage, die sie sich nicht traute, an mich zu richten. Nein, diese Frage zu ihrer Erscheinung für mich lautete, schön oder vertraut?
Die Frisur, sofern es eine war, nein, war es wohl nicht, sah natürlich aus. Ihre dunkelbraunen Haare fielen hinab bis auf ihre elegant wirkenden Schultern, in leichten Wellen. Einfach so weich von der Wirkung, dass ich hineingreifen wollte. Beeindruckender Teint und ihre Oberweite passte perfekt, nicht zu groß und nicht zu klein. Durch den Ausschnitt deutete sie sich an, was mich einen Wimpernschlag verunsicherte. Langsam reckte ich meine Hand nach dem halben Muffin aus. Ich berührte ihre Hand.
Kawumm.
Als fuhr ich aus einem ewigen Tunnel in gleißendes Licht. Geblendet, vollkommen verwirrt, aufgeweckt. Was war das denn? Sie sah unsicher auf meine Hand, die ich nicht fortbewegte. Ein Blitz hatte mich getroffen und in mir erstarrte alles für eine oder zwei Sekunden. Diese Berührungsempfindung übernahm die ganze Kontrolle in mir. Ihre weiche Haut kribbelte in meinem Nervensystem und legte es lahm. Wie ein Virus. Auf meinem Rücken spürte ich etwas Kaltes? Nein, nass war es. Schweißperlen rannen mir den Rücken hinunter, dabei waren es gerade mal neunzehn Grad.
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