Thomas Christen
Die verstörenden Auslassungen eines erhabenen Fremden
Novelle
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Inhaltsverzeichnis
Titel Thomas Christen Die verstörenden Auslassungen eines erhabenen Fremden Novelle Dieses ebook wurde erstellt bei
Über dieses Buch Über dieses Buch Die verstörenden Auslassungen eines erhabenen Fremden Von Bernd Unger Drinnen, durch den Dom, braust Beethovens Neunte, gleißt Schillers Ode an die Freude, während draußen die Welt gleichsam in einem Unwetter apokalyptischer Fluten zu versinken droht. Bereits im Konzert war er ihm aufgefallen, "der Fremde". Ein komischer Kauz, der ihn überdies noch ansprach, um anschließend über Lüge und Wahrhaftigkeit zu dozieren. Ausgerechnet ihm, dem Werbetexter, einem Wortschmied aus der krassen Gegenwelt der haltlosen Versprechungen und des schnöden Scheins . . . Und doch beginnt ein merkwürdiges Gift in ihn zu sickern. Thomas Christen jagt den Leser durch ein seltsam ortloses, Schnitzler'sches Traumspiel. Für den namenlosen Werbemenschen und Ich-Erzähler beginnt ein Taumel durch die Nacht, in der immer wieder der geisterhafte Fremde mahnend auftaucht - und Schiller, Zarathustra und Friedrichs Mönch am Meer sich als verlässliche Fremdenführer erweisen. Unser Held durchmisst einen illustren nächtlichen Personenkreis und wird am Ende seiner Selbsterfahrung, in einer Art Katharsis, jenen "tanzenden Schritt" wagen, den schon Nietzsches Zarathustra zur geistigen Reifung so dringend empfiehlt. Tanzen wir also mit ihm. Schritt für Schritt. The book of love is long and boring, No one can lift the damned thing. It’s full of charts and facts and figures And instructions for dancing. Stephin Merritt (Peter Gabriel)
Erster Teil - 20.30 Uhr
22.45 Uhr
23.25 Uhr
00.15 Uhr
01.00 Uhr
01.00 Uhr
04.30 Uhr
Letzter Teil – 2014
2015
2016
Anmerkungen
Impressum neobooks
Die verstörenden Auslassungen eines erhabenen Fremden
Von Bernd Unger
Drinnen, durch den Dom, braust Beethovens Neunte, gleißt Schillers Ode an die Freude, während draußen die Welt gleichsam in einem Unwetter apokalyptischer Fluten zu versinken droht.
Bereits im Konzert war er ihm aufgefallen, "der Fremde". Ein komischer Kauz, der ihn überdies noch ansprach, um anschließend über Lüge und Wahrhaftigkeit zu dozieren. Ausgerechnet ihm, dem Werbetexter, einem Wortschmied aus der krassen Gegenwelt der haltlosen Versprechungen und des schnöden Scheins . . . Und doch beginnt ein merkwürdiges Gift in ihn zu sickern.
Thomas Christen jagt den Leser durch ein seltsam ortloses, Schnitzler'sches Traumspiel. Für den namenlosen Werbemenschen und Ich-Erzähler beginnt ein Taumel durch die Nacht, in der immer wieder der geisterhafte Fremde mahnend auftaucht - und Schiller, Zarathustra und Friedrichs Mönch am Meer sich als verlässliche Fremdenführer erweisen.
Unser Held durchmisst einen illustren nächtlichen Personenkreis und wird am Ende seiner Selbsterfahrung, in einer Art Katharsis, jenen "tanzenden Schritt" wagen, den schon Nietzsches Zarathustra zur geistigen Reifung so dringend empfiehlt.
Tanzen wir also mit ihm.
Schritt für Schritt.
The book of love is long and boring,
No one can lift the damned thing.
It’s full of charts and facts and figures
And instructions for dancing.
Stephin Merritt
(Peter Gabriel)
Und Dein Herz wird Dir beben, wenn Du in meines blicken wirst, das verspreche ich Dir.
Heinrich von Kleist, 1800
Ich sah ihn das erste Mal Mitte April 2012. Es war an einem Freitag, dem 13. und meine Erinnerung an diesen Abend ist noch so lebendig, als sei es erst gestern gewesen. Es schüttete in Strömen. Abertausende, wild um sich schlagende, von den Lichtern der Straßenbeleuchtung zerteilte Wasserfäden, von Windböen gejagte Schwaden, die aus einem schwarzen Himmel fielen.
Wenn ich heute manchmal daran zurückdenke, frage ich mich, was wohl geschehen wäre, wenn uns an diesem Abend beim Verlassen des Doms nur eine ganz normale kühle Aprilnacht erwartet hätte und kein Weltuntergangsszenario mit seinen über die Gehwege und den Asphalt peitschenden Wassermassen. Ein irdisches Echo dessen, was nach den letzten siebzig, der Welt entrückten Minuten langsam in meinem Körper verhallte.
Manchmal, wenn ich abends in meinem Sessel sitze und meine Gedanken dem leisen Flüstern oder gewaltigen Toben einer Musik überlasse, wenn der Wein zu wirken beginnt und mit süßem diabolischen Lächeln jenes geheimnisvolle Tor öffnet, hinter dem der Verstand und die Seele in einem Nebel aus Größenwahn und Schwermut, aus Euphorie und unerklärlicher Trauer miteinander zu tanzen beginnen, dann bin ich mir sicher, dass dieses wütende Gewitter an jenem Abend ein Menetekel war, ein Omen und ein Mahnruf: Jede Verfehlung, jede Unterlassung und jedes noch so kleine Versäumnis haben Folgen.
Aber so hatten wir unschlüssig nebeneinander im Vorraum des Kirchenraumes gestanden, hatten die herausströmende Menschenmenge beobachtet, das Aufklappen der Regenschirme gehört und den einem Sakralbau eigenen Geruch aus warmem Wachs und lang verwehtem Weihrauch wahrgenommen. Unsichtbare Schwaden von an unzählbaren Festtagen hereingetragener Parfums. Schwere, winterklamme Mantelstoffe, vollgesogen mit den Aromen hunderter von Restaurantbesuchen, Zugfahrten oder der Luft fremder Wohnungen. Für eine kurze Zeit lang weltlicher Odem, dem Ort und dem eben Gehörten für einen Augenblick auf unbeeinflussbare Art und Weise widersprechend. Aber diese Gedanken verwehten im selben Moment, verflüchtigten sich ungreifbar und so schnell wie sie gekommen waren und das leise Gemurmel der menschlichen Stimmen (Nein, der dunkelbraune dort und der Schirm dort drüben ...) begann längst wieder dem zu entsprechen, was man hier erwartete. Flüsternde Zurückhaltung, Orten wie diesem eingemeißelte Gepflogenheiten sich zurücknehmenden demütigen Betragens. Und vor dem Portal hatte ein Wassermonster getobt und mit abertausenden, glitzernden Tentakeln den schwarzen Himmel zerrissen ...
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Ich bin mir seiner neben mir durchaus bewusst. Ich frage mich, warum der Zufall herausströmender Menschen dafür gesorgt hat, dass ausgerechnet er jetzt neben mir steht. Rückblickend war es, glaube ich, ein verstörendes Gefühl. Aber vielleicht übertreibe ich ja auch.
Er hatte in der Reihe vor mir gesessen. Einen Platz nach links versetzt. Und er hatte sich während des gesamten Konzertes nicht ein einziges Mal bewegt. Vielleicht muss ich diesen Gedanken erklären. Vielleicht wirkt es ja schon seltsam genug, dass einem das überhaupt auffällt. Aber der Gedanke, sich in einem klassischen Konzert zu räuspern ist mir zuwider. Seine Sitzposition in einer engen Stuhlreihe zu verändern, gar husten zu müssen, weil eine heraufziehende Erkältung keine Rücksicht zu nehmen bereit ist, bereitet mir eine ziemliche Pein. Im Foyer ausgegebene Hustenpastillen bewirken da gar nichts. In solchen Fällen habe ich mich in der Vergangenheit das ein oder andere Mal entschieden, einfach zu Hause zu bleiben. Erklären kann ich das nicht. Ich weiß nicht, was mich in dieser Weise geprägt hat. Aber wer diese Eigenart an mir kennt, wird verstehen, warum er mir auffiel.
Er bewegte sich nicht, wirkte wie eine sitzende Statue, nicht unähnlich denen, die seit Jahrhunderten versteinert von einigen der Säulen um uns herum herunterblickten. Und während sich vor uns eine Musik entfaltete, der ich – ja, wie sagt man das, ich kann auch das nur schwer erklären – sagen wir habhaft werden, die ich verstehen, erfühlen wollte, weil nicht wenige Menschen dieses Werk als das großartigste Stück Musik überhaupt erachten, ertappte ich mich immer wieder dabei, dass ich den Haarkranz dieses Mannes in der Reihe vor mir betrachtete. Regungslos saß er da und in sich versunken.
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