Hermann Christen
Die Endzeitpropheten
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hermann Christen Die Endzeitpropheten Dieses ebook wurde erstellt bei
Becker
Steve
Hirsch
Prähistorik
Das verschollene Evangelium
Der Auftrag
Transfer
An Bord
Mannini
Die Abtei
Valencia
Entwischt
Auf See
Spurensuche
Heiliges Land
Verhöre
Roland
Der Vatikan
Sondierungen
Die Archive
Bruderstreit
die Ewige Stadt
in den Ruinen
Das Ziel
Der Fund
Zugriff
Entscheid
Epilog
Impressum neobooks
Der gute, alte Al.
Becker hatte ihn nie zu den großen Endzeitpropheten gezählt. Eher zu den emsigen Mitläufern, die geschickt die Welle mitritten. Einer wie Al konnte der ersten Garde nicht das Wasser reichen. Den Vordenkern wie Buckminster Forrester, Aurelio Peccei, Norbert Wiener oder dem Ehepaar Meadows, die alle vor der Apokalypse gewarnt hatten. Heldenhaft ertrugen sie die Schmach, verspottet statt verehrt zu werden. Doch Gott war barmherzig und ließ sie allesamt vor der Großen Säuberung eines natürlichen Todes zu sterben.
Al dagegen spielte in der regionalen Liga. Zusammen mit Erich von Däniken, Jared Diamond, Ulrich Beck oder Enriquo Quarantelli. Becker nannte ihn und seine Kumpane liebevoll 'die kleinen Prediger'. Nett aber trotzdem nur schmückendes Beiwerk, welches die Größe der Großen betonte. Die Geschichte war voll mit Figuren wie den kleinen Predigern. Oder wer erinnert sich an Thaddäus, wenn man nach Jesus' Apostel gefragt wurde? Auf Typen wie Thaddäus kommt man erst, wenn man in den Unterlagen nachblättert oder ein Experte ist, der sonst nichts Gescheiteres zu tun hat.
Und doch war es Al vergönnt, das verschollene Evangelium zu offenbaren. Ihm war es vergönnt, das Tor aufzustoßen. Das Tor, das zu knacken Becker beinahe zur Verzweiflung getrieben hatte.
"Al, du alter Fuchs", murmelte Becker, fuhr mit der Zungenspitze gedankenverloren über die trockenen Lippen und betrachtete die historische Aufnahme, die Al Gore während einer Rede zeigte. Darauf hielt er das verschollene Evangelium hoch und tippte mit dem Zeigefinger der linken Hand auf den Umschlag des Buches.
Erst vor ein paar Wochen hatte Becker neues Material von der Erde erhalten, welches ein frommer Prospektor geborgen hatte. Unter hunderten von Bücherscans, Fotos und Videos verbarg sich der Beweis, dass das verschollene Evangelium kein Mythos war. Endlich hatte er den Beleg, dass der Heilige Kevin und seine Nachfolger ihre Lehre nicht auf Treibsand, sondern auf soliden Fels gebaut hatten. Das Bild bewies, dass er sein Leben und Forschen nicht an ein Phantom verschwendet hatte.
"Dem Mann gebührt ein Kardinalstitel", flüsterte Becker ergriffen.
Blieb nur der Wermutstropfen, dass der Beweis nicht aufgrund seiner wissenschaftlichen Arbeit, sondern durch einen Zufall zu Tage trat. Doch Becker war in gönnerischer Stimmung und bereit, nebensächliche Kleinigkeiten zu ignorieren. Nur Idioten stellten die eigenen Triumphe selbst in Frage. Und das hier war ein Triumph, sein Triumph, der den Kleingeistern der Kirche, die ihm vorwarfen, Zeit zu verschwenden und nicht an der Lösung der Probleme mitzuarbeiten, den hämischen Spott im Hals stecken ließ. Das verschollene Evangelium WAR die Lösung.
Glück flutete durch die Adern seines Körpers. Er lehnte sich zurück. Alle Endzeitpropheten zitierten aus dem verschollenen Evangelium, doch es schien unfassbar wie Nebel. Eine verführerische Melodie, von der man nicht mehr wusste, wo man sie gehört hatte, aber nicht aus dem Kopf kriegte.
Heerscharen von Gelehrten und Abenteurern hatten es gesucht und waren gescheitert. Es war, als ob Gott die Beharrlichkeit und den Glauben seiner Gemeinden auf die Probe stellte. Viele zerbrachen an dieser Prüfung. Sie fielen von der Hoffnung ab und quiekten im grösser werdenden Chor der Ehrlosen mit, welcher die Existenz des Evangeliums leugnete. Sie vergaßen, dass die Botschaft des verschollenen Evangeliums die Basis für die Lehre des Heiligen Kevin, dem Retter der Kirche, war. Sie waren blind für ihre eigene, doppelzüngige Ketzerei: das verschollene Evangelium in Frage zu stellen hieß, Kevin in Frage zu stellen.
Sie hielten das verschollene Evangelium für eine Sage, einen zauberhaften, verlockend riechenden Hauch aus der Vergangenheit. Ein Märchen, um den Kindern die Ziele der Kirche zu beschreiben.
Allmählich ebbte Beckers Euphorie ab. Die Wände seines Arbeitszimmers nahmen wieder die langweilige, triste Farbe an, mit der alle Räume der lunaren Universität gestrichen waren. Die Farbe des Schöpferkraftzerfalls, die Farbe der bürokratischen Strangulation, welcher die Kolonie aushöhlte und die Lebenskraft aus den Kolonisten saugte.
Mit dem verschollenen Evangelium würde diese Entwicklung gestoppt werden. Ihm war bewusst, dass seine Aufgabe nicht beendet war, sondern eben erst begann. Der Beweis der Existenz war nichts wert, solange das verschollene Evangelium nicht wieder im Besitz der Kirche war und das Alte Wissen vervollständigte.
Er atmete tief durch. Die Kirche war seit der Großen Säuberung noch nie so nahe dran gewesen, die alte Stärke zurück zu gewinnen. Näher dran als zu den glorreichen Zeiten, als Kevin unter den Kuppeln predigte. Er war sich der Brisanz seiner Entdeckung bewusst. Von einem Augenblick zum anderen katapultierte sie seine Forschung vom Status 'harmloses Hobby eines weltverlorenen Intellektuellen' direkt auf die schwarze Liste der ÜKo.
Sein Blick blieb an den Bohrlöchern in der Rückwand hängen. Als Katholik stand ihm das Privileg zu, privat nicht überwacht zu werden. Ein Gedanke hochachtungsvoller Dankbarkeit an die Brüder, die das den Vätern vor Jahrzehnten abgetrotzt hatten, durchschoss ihn. Er war sicher, dass wenn die Väter erkannten, was er plante, sämtliche Privilegien fallen würden. Das Regime der Kolonie duldete keine Kraft neben sich.
Er streckte seine verspannten Glieder. Für einen Kolonisten war er gedrungen gebaut. Er verstärkte den Eindruck eines körperlich Zurückgebliebenen dadurch, dass er rauchte und Bart trug. Doch bald war die Maskerade nicht mehr notwendig.
Er seufzte erneut vor Wollust. Seine Entdeckung kam genau zur richtigen Zeit. Die Kirche stand vor der Spaltung. Die Zweifler an der Existenz des verschollenen Evangeliums wurden lauter. Wie feige Hunde, die erst aus ihren Löchern krochen, wenn die Gefahr vorüber war. Die Ohnmacht der Kurie beförderte die Ketzerei und provozierte Irrlehren. Zu viele Kardinäle, Bischöfe und Priester gefielen sich in der Rolle des Philosophierens und überboten sich in der Kunst des zielfreien Disputierens. Er verachtete sie und mied die langatmigen, mäandernden Konzile seit Langem.
Bald jedoch würden die Zweifler mundtot und die Gräben in der Kirche geschlossen sein. Er musste mit Bedacht vorgehen. Jahrhundertelanges Verstecken und Ducken vor der Macht der Väter und der ÜKo hatten die Gemeinden zögerlich gemacht. Verrat an der Lehre aus Schwäche oder Dummheit war absehbar. Es lag an ihm und seinen mutigen Erzengeln, die Kirche zu reinigen und die Gläubigen wieder um den Altar zu vereinigen.
Mit wenigen Schritten ging er um das Stehpult herum und setzte sich in den hochlehnigen, hölzernen Stuhl. Er zog die e-Pipe aus der Jackentasche und inhalierte. Er verzog das Gesicht, stellte die Nikotinzufuhr auf die höchste Stufe und dosierte Feinstaub dazu. Husten befreit verstopfte Denkkanäle.
Der Papst musste informiert, eine Expedition organisiert, Zeitpläne und Materiallisten übermittelt werden. Das würde einer seiner Erzengel übernehmen, den er während der Beichte in zwei Tagen instruieren würde.
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