Hermann Christen
Das Montags-Manifest
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Titel Hermann Christen Das Montags-Manifest Dieses ebook wurde erstellt bei
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PROLOG PROLOG "Wirf", zischte Mirko. Boxer blickte zögernd auf die züngelnde Flamme des Tuches, welches in der benzingefüllten Flasche steckte. "Wirf!", drängte Mirko. Boxer warf.
STUFE EINS:
STUFE ZWEI
STUFE DREI
STUFE VIER
INTERMEZZO
STUFE FÜNF
STUFE SECHS
EPILOG
Impressum neobooks
Das Montags-Manifest
Hermann Christen
"Wirf", zischte Mirko.
Boxer blickte zögernd auf die züngelnde Flamme des Tuches, welches in der benzingefüllten Flasche steckte.
"Wirf!", drängte Mirko.
Boxer warf.
STUFE EINS:
DAS MONTAGSMANIFEST
Mirko drückte sich näher an den Stamm, tiefer ins undurchdringliche Dunkel, als Gerda in seine Richtung blickte. Er vermutete, dass sie etwas ahnte. Anfangs hielt er sie für die Quotenfrau im Vorstand. Die Staffage, die bei allen sozial-grün-roten Vereinen unumgänglich war. Aber Gerda war clever und er lernte, sie zu respektierten.
Aber vielleicht überschätzte er sie. Schließlich war er umsichtig vorgegangen, hatte auf seine Worte geachtet, kontrollierte seine Gestik. Sie drehte sich ab.
Sein Auftritt heute Abend musste präzise getaktet ablaufen, um die volle Wirkung zu erzielen. Timing. Timing war alles. Es musste als Letzter im Versammlungsraum auftauchen. Früh genug, bevor sie den Disput auf der improvisierten Bühne starteten, spät genug, um den leeren Begrüßungsfloskeln zu entgehen.
Im Montags-Manifest war er der geheimnisvolle Intellektuelle der weiß, wo's lang ging. Sein Äußeres verstärkte den Effekt: halblanges schwarzes Haar, mit ersten grauen Strähnen, die einen geheimnisvollen Hauch von Unnahbarkeit, Überlegenheit und Autorität vermittelten, Dreitagbart, tiefliegende Augen, 1.85m, schlank.
Er überließ nichts dem Zufall. Dunkle Kleidung. Keine Farben! Farben waren Plappermäuler wie jene Typen, die einen Witz schon kennen, zu früh loslachen und so die Pointe zunichtemachen. Fred mit seinen karierten Business-Hemden war so ein Typ. Violett, wenn er sich unsicher fühlte, ins Gelb spielend, wenn ihm alles egal war. Gedecktes Blau, wenn er auf seriös machte.
Fred hatte keine Ahnung vom Zusammenspiel zwischen Erscheinungsbild und dessen Aussage. Er baute auf seine schöngeistige Eitelkeit und seine unangefochtene Position als Leader des Montags-Manifests. Keine Ahnung von Strategie oder taktischen Winkelzügen. Er behauptete dass vorbildlicher Einsatz, Arbeit und Überzeugungskraft genügten, um politische Ideen umzusetzen.
Mirko lachte heiser auf. 'Arbeit und Überzeugungskraft' hatten in der Politik, der Plattform des professionellen Manipulierens, nichts zu suchen. So wenig, wie verschnupftes Pflegepersonal in der Intensivabteilung oder ein Veganer in der Metzgerlehre. Politiker, die nur auf 'Arbeit und Überzeugungskraft' bauen und erfolgreich sind, waren statistische Ausreißer. Meistens zeichnete sich das Scheitern der 'Arbeit und Überzeugungskraft' Fraktion schon auf dem Wahlzettel ab, wo sie die untersten Plätze belegten. Genau dort, wo der Durchschnittswähler ausprobiert, ob der Kugelschreiber funktioniert und versehentlich den Namen durchstreicht.
Mirko wusste es besser: erfolgreiche Politik beruht auf kaltem Kalkül, dediziert gesetzten Verleumdungen, sprachlich ausgefeilten Dementi. Erfolgreiche Politik balanciert gekonnt zwischen Meinungsströmungen und jongliert mit mehrheitsfähigen Statements. Erfolgreiche Politik benötigt keine Botschaft, kein Heilsversprechen. Wohl formulierte Reflektion der gängigen Volksmeinung reichte vollauf. Statt als Vorbild operierte der erfolgreiche Politiker mit einfachen Ritualen und sturem Beharren auf seiner Position.
Mirko war überzeugt, dass Planung und Unbeirrbarkeit in diesem Geschäft zielführender waren, als Ideologie, logische Überzeugungskraft und Visionen. Die große Mehrheit der reflexgesteuerten Wähler fieberte ohnehin nur nach Verlängerung des Status quo und riskierte keine Veränderungen.
Unbewusst fuhr er mit der linken Hand am kühlen, lackierten Holz seines Stockes mit Silberknauf entlang. Veränderung war mit nur schnell ausgeführten Handstreichen zu erreichen. So schnell, so überwältigend, dass für Gegendarstellungen keine Zeit blieb.
Wolfi erreichte die Tür und begrüßte Gerda. Sie trat die Kippe aus, blickte nochmals in seine Richtung, wie um sich zu vergewissern, dass da nichts war. Wolfi schwatzte auf sie ein und sie nickte. Er hielt ihr die Tür auf und beide verschwanden im Gebäude.
Eilige Schritte. Noch ein Spätankömmling. Mirko erkannte nicht, wer durch die Tür huschte. Irgendein Mitläufer, von denen es hier genug gab. Mitläufer, die wie ausgehungerte Vampire frisches Blut das bisschen Adrenalin aus den Zusammenkünften aufsogen. Die nach scheinheiliger Anerkennung lechzten, um die Löcher im angeknackten Selbstbewusstsein zu stopfen. Mitläufer, die sich vor dem Wenigen, was die Gruppe unternahm, drückten. Dann waren plötzlich Flötenstunden, Elternabende oder basale Stimulation wichtiger. Was das Montags-Manifest zustande brachte, war keine Notiz in den umfassenden Archiven der Staatsicherheit wert. Das hatte Mirko schon vor vier Monaten erkannt, als er sich überreden ließ, mal rein zu schnuppern.
Vier Monate hatte er vergeudet, bevor er sich eingestand, dass das Montags-Manifest trotz Potential nichts bewegte – nie bewegen würde. Fred und seine hohlen Reden ekelten ihn an. Fred hatte ein potemkinsches Dorf gebastelt. Ein erstarrter Ort, wo sogar der Wind festgeklebt war.
Fred erinnerte Mirko an einen Studentenführer in der Uni, der sich mit kämpferischen Reden gegen den Kommerz, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und den menschenverachtenden Duktus des Neoliberalismus einen Namen machte. Der Junge hatte was drauf und Mirko bewunderte ihn. Dann bot ihm eine Investmentbank einen Job und kurz darauf fuhr sein Idol einen 7,5-Liter Offroader.
"Aus Freude am Tanken", wie er später einmal lachend erklärte.
Das Montags-Manifest hatte in der aktuellen Form keine Zukunft. Hatte keine Zukunft verdient, um genau zu sein. Für ihn war nach heute Schluss. Vorher wollte er die Runde gründlich aufmischen. Sehen, ob er die Leute gegen Fred aufbringen konnte und ob dieser genug Eier hatte, sich gegen Widerstand zu behaupten. Es würde ein nettes Spiel werden und er sah es als Schuldbegleichung für die Zeit, die ihm hier gestohlen worden war.
Er war sorgfältig vorbereitet. Er führte verbale Falltüren, rhetorische Stolperseile, argumentative Schlingen im leichten Handgepäck. Fred würde fallen wie eine zweihundertjährige Eiche, die einer neuen Autobahn im Weg stand.
Angefangen hatte es beim Bürgermarsch im Frühling. Irgendein Gedenktag an eine Schlacht. Mirko verstand nicht, warum man das Töten von Menschen feierte. Alleine diese Tatsache belegte, dass es um die Gesundheit des menschlichen Geistes schlecht stand. Anlässe wie dieser waren nicht Ausdruck von Tradition und historischer Verwurzelung, sondern Indiz für die unverzügliche Einweisung in die geschlossene Anstalt.
Linke Chaoten formierten sich gegen den populistischen Aufhetzer, der als Redner eingeladen war. Einer dieser bösartigen Ausgrenzer, die überall, mit Lügengespinsten und Hatzreden ausgerüstet, aus dem Sumpf der Bedeutungslosigkeit krochen. Einer dieser Scharfmacher, die wie Metastasen eines Krebsgeschwürs ausschwärmten und den Körper der Gesellschaft von innen heraus vergifteten. Sein unheilvolles Gerede würde wie reife Samen auf gut gedüngte, fruchtbare Erde fallen. Seine Zuhörer würden seine widerwärtigen Anschuldigungen schlucken, wie der Krebspatient die Pille, die der Arzt verschrieb. Und wie diese würden sie sich einen Dreck um die Nebenwirkungen der Medizin scheren.
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