»Er ist leider verstorben«, bedauerte Balthasar.
»Oh, das tut mir leid«, sagte Juana betrübt. »Wann ist er denn gestorben?«, wollte sie wissen.
»Schon vor einigen hundert Jahren. Steinalt ist er geworden – aber kommt jetzt, wir müssen weiter!«
Zwei Männer kamen aus einem Seitenweg. Sie waren gut bewaffnet. Jeder von ihnen trug ein Schwert auf dem Rücken, und am Gürtel einen langen Dolch, der in einer ledernen Scheide hing. Sie waren dem Wetter entsprechend gekleidet – wärmende Jacken mit Fell gefüttert. Der größere Mann sprach Balthasar an, während der kleinere, etwas untersetzte, Mann seine Hand auf den Dolchgriff legte.
»Seid gegrüßt, Fremde«, sagte der größere Mann. »Was führt euch hierher?«
»Mein Name ist Balthasar, und das sind meine Freunde«, antwortete Balthasar.
»Balthasar der Zauberer?«, fragte der kleinere Mann.
Balthasar nickte.
Der kleinere Mann nahm sofort seine Hand vom Dolchgriff und sagte: »Ja, jetzt erkenne ich Sie wieder. Es ist lange her, dass Sie in Urta waren.«
»Ja, eine Ewigkeit«, nickte Balthasar.
»Entschuldigen Sie, Balthasar, aber der Todbringer hat Söldner angeheuert, die Urta vor ein paar Tagen überfallen haben«, sagte der größere Mann. »Mein Name ist Shark«, verneigte er sich leicht vor Balthasar.
»Aber wir haben sie in die Flucht geschlagen«, sagte der kleinere Mann und klopfte dabei auf den Dolch. Er machte eine kurze Atempause. »Ihr könnt mich Thinky nennen«, sagte er beiläufig.
»Kommt ihr von Arasin?«, fragte Shark.
»Nein, wir sind von meiner Hütte in Feuerland aufgebrochen«, antwortete Balthasar.
»Seid ihr zu Fuß gekommen?«, fragte Thinky erstaunt.
»Nein wir sind mit Numba gereist«, antwortete Balthasar.
»Numba?«, fragte Thinky.
»Ja, einem Drachen«, brummte Niko.
Thinky lächelte leicht, als er in Nikos Gesicht blickte.
»Er wartet vor dem Dorf auf uns«, erklärte Balthasar.
»Was wollt ihr in Urta?«, fragte Shark und sagte dann: »Ich frage zu viel. Ihr seid bestimmt hungrig von der langen Reise und möchtet bestimmt ins Wirtshaus«, sagte er.
» JA«, kam es spontan aus Niko heraus.
»Dann wollen wir euch nicht länger aufhalten. Wir müssen unsere Runde drehen«, sagte Thinky.
»Wir sind wegen dem Todbringer hier«, erklärte Balthasar noch.
»Und wenn wir mit ihm fertig sind, braucht ihr euch nicht mehr um ihn zu kümmern«, prahlte Niko.
»Ach so, ja?«, sagte Shark und zog die Augenbrauen hoch, als er Niko ansah.
Niko kratzte sich verlegen am Kopf. Balthasar verabschiedete sich von den Männern und beschloss das Wirtshaus aufzusuchen. Eine Mahlzeit würde ihnen guttun, und außerdem wäre es nicht verkehrt dort zu übernachten. Müde und hungrig sollte man nicht in den Kampf ziehen, sagte der Zauberer zu Kaspar und seinen Freunden.
***
Ausgeschlafen und satt gegessen, verließen sie am frühen Morgen das Wirtshaus, das in der Nähe des Dorfplatzes lag. Kaspar und seine Freunde bekamen noch den Obelisken aus der Nähe zu sehen, der Urta vor dem Todbringer schützte. Natürlich lag Niko wieder eine Bemerkung auf den Lippen, und er fragte, ob Obelix den Hinkelstein dort abgestellt hatte. Lars bekam sich nicht mehr ein vor Lachen. Juana verzog genervt das Gesicht und schimpfte über die Kindereien von Niko und Lars. Niko stellte natürlich wie immer klar, dass sie schließlich noch Kinder waren. Doch Juana machte deutlich, dass nach all den Abenteuern, die sie zusammen durchgestanden hatten, er und Lars sich etwas erwachsener benehmen könnten.
»Komm schon, Juana. Das Leben ist ernst genug, da sollte man ab und zu mal Späße machen dürfen«, fuhr Niko sie an.
»Was weißt du schon vom Leben, Niko?«, zischte Juana.
»Ich denke, ich weiß ...«, fing Niko an, und Kaspar fuhr ihm ins Wort: »Wir sollten uns auf unsere Aufgabe konzentrieren!«
Niko schwieg und schmollte.
Sie verließen Urta westwärts auf dem Hauptweg und folgten dann einem schmalen Pfad.
»Schützt uns der Obelisk hier auch noch?«, fragte Lars.
Balthasar schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er nur und ging voraus.
Kaspar und Juana folgten ihm.
»Nein? Das war alles, was er uns zu sagen hatte?«, schimpfte Niko.
Niko und Lars folgten schnell.
Wasser gab es in dem bewaldeten Gelände genug. Überall flossen kleine Bäche an ihnen vorbei oder kreuzten ihren Weg. Kaspar sah zum Himmel. Ein Bergadler kreiste hoch über ihnen und begleitete sie. Der schmale Pfad führte den bewaldeten Hügel hinauf.
»Bergauf«, stöhnte Niko.
»Ein bisschen Bewegung tut deiner Figur ganz gut«, fuhr Juana ihn an.
»Wir wollten uns doch nicht streiten, Juana«, sagte Kaspar mit Nachdruck.
Juana schwieg einen Moment, bevor sie zaghaft sagte: »Entschuldigung, Niko.«
Kaspar lächelte zufrieden, als Niko die Entschuldigung annahm.
Rechts, wo die Berge nicht so bewaldet waren, sahen sie eine Herde Bergziegen. Kaspar schaute nach links. Fast senkrecht wuchs dort eine Steilwand hoch, aus ihr schäumte ein kleiner Wasserfall. Nach der zweiten Biegung verließen sie den schmalen Pfad und wanderten durch hohes Gras.
»Es ist verzaubert, deswegen richtet es sich von selbst wieder auf«, erklärte Balthasar und beantwortete die Frage, die Kaspar gerade stellen wollte. »Dort oben auf dem Hügel befindet sich ein alter Kultplatz. In den dahinter liegenden Höhlen hat sich Gohr eingenistet.«
Schritt für Schritt näherten sie sich ihrem Ziel. Sie gingen auf einen Pfad zu, der steil aufwärts führte. Balthasar wollte eine kurze Rast einlegen, bevor sie die letzte Strecke zurücklegten. Auf einem Steinfeld, neben dem Pfad, fanden sie Platz.
»Puh, endlich sitzen«, schnaufte Niko und wandte sich dem steilen Weg zu. »Scheiße! Müssen wir da wirklich rauf?«, stöhnte er laut.
»Also, meine Freunde«, fing Balthasar an, »wenn wir die Kultstätte erreicht haben, ist höchste Vorsicht geboten. Gohr ist sehr gefährlich, tückisch und listig.«
»Wir haben schon gegen dämonische Hexen gekämpft«, protzte Niko, »und sie besiegt.«
Daran konnte sich Kaspar nur zu gut erinnern. Unendlich viele blaue Flecken hatte er bei diesem Kampf davongetragen. Haarscharf waren er und seine Freunde dem Tod entkommen. Sie hatten eine große Portion Glück gehabt, dass sie heute noch am Leben waren und hier beisammen sitzen konnten.
»Du solltest auf Balthasar hören«, ermahnte Kaspar seinen Freund Niko.
»Ach, komm schon, Kaspar. Da oben erwartet uns ein Gegner, und wir sind zu fünft. Was soll da schon schiefgehen?«, sagte Niko. »Was sagst du dazu, Lars?«, sprach Niko seinen Freund an.
Lars bohrte in der Nase, während Niko auf Antwort wartete.
»Ich sehe, du denkst über meine Frage scharf nach«, zischte Niko, während er immer noch auf Antwort wartete. »Du übst wohl schon für die Beamtenprüfung? Oder willst du mal Politiker werden?«, fragte Niko scharf.
»Was?«, flüsterte Lars abwesend.
»Kennst du die Beamtenprüfung nicht, Lars?«
»Nein.«
»Die ist ganz einfach.«
»Ach ja? Und wie ist die Politikerprüfung?«, fragte Lars interessiert.
»Ist gehopst wie gesprungen.«
»Sag schon! Wie ist sie!«
»Du schaust zwei Stunden aus dem offenen Fenster und denkst an nichts und bohrst dabei ab und zu in der Nase.«
»Hast schon mal bessere Witze gemacht«, schimpfte Lars.
Balthasar reichte ein Brot herum, von dem sich jeder ein Stück abbrach – Niko nahm natürlich das Größte. Als Balthasar den Lederbeutel Wasser herumgereicht hatte, brachen sie auf. Der steile Bergpfad führte durch kahles Gelände, und sie hatten einen tollen Blick auf die Berge ringsum. Während des Aufstiegs sprachen sie nicht miteinander, sondern wanderten durch die geheimnisvolle Stille der grandiosen Bergwelt.
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