»Numba ist ganz friedlich«, wollte Nox Lars beruhigen, doch als er dann sagte: »Obwohl Numba ein Schwarzdrache ist, wird er euch nichts antun«, zitterten Lars' Storchbeine.
Lars fragte nervös: »Was heißt hier ›obwohl‹?«
Nox zwinkerte ihm zu und antwortete lässig: »Na ja, Lars, du musst wissen, ein Schwarzdrache ist eigentlich launisch und kämpferisch. Sie brennen schon mal Dörfer nieder und jagen Königsarmeen in die Flucht. Sie vernichten Festungen, wenn ihnen danach ist, und sie ...«
»Hör auf, Nox! Lars hat schon genug Angst«, ermahnte Balthasar ihn mit erhobenem Zeigefinger.
Aus dem Gewand des Erdgeistes, das aus sich ständig erneuernden Wurzeln bestand, wuchs aus dem rechten Ärmel eine neue Wurzel.
»Er hat mich gefragt«, entgegnete Nox und zeigte mit seinem Wurzelzeigefinger auf Lars.
»Numba ist ein friedlicher Drache«, erklärte Balthasar in einem sanften Ton. »Du brauchst wirklich keine Angst vor ihm zu haben«, ergänzte er.
Balthasar rührte mit einem großen Holzlöffel im Kessel.
»Ich bin gleich fertig«, sagte Balthasar. »Du kannst dann das Abendessen vorbereiten, Nox.«
Nox schwebte ein Stück empor und lugte über Balthasars Schultern und fragte ihn dann: »Warum bereitest du eigentlich einen ganzen Kessel zu, wenn wir nur wenig davon brauchen?«
»Wenn dieser Trank richtig wirken soll, muss er in dieser Menge zubereiten werden«, antwortete Balthasar, »ansonsten geht seine Wirkung verloren, und er ist nicht mehr als eine Suppe«, erklärte Balthasar.
»Ja, eine sehr schmackhafte Froschkotzstinksuppe«, flüsterte Niko an Lars gewandt und fing sich dabei einen zornigen Blick von Juana ein.
Balthasar zog seinen Zauberstab aus einem Lederköcher hervor, den er an einem Stoffgürtel trug und sprach: »Tempore!«
Es blitzte im Kessel, dann sagte er freudig: »So, der Trank ist nun fertig.«
»Soll ich den Kessel von der Feuerstelle nehmen?«, fragte Nox schnell.
Balthasar nickte ihm zu und sagte: »Du kannst ihn dort in die Ecke stellen und nachher wie auch den ersten Zaubertrank in einen kleinen Lederbeutel füllen.«
Geschwind wuchsen Nox Wurzeln an den Ärmeln heraus, die seine kleinen Wurzelhände verstärkten, und schwuppdiwupp stand der Kessel in der Ecke.
»Wieso zauberst du ihn nicht dorthin?«, fragte Lars.
»Er könnte dabei umkippen, und das wollen wir doch nicht, oder?«, entgegnete Nox.
»Warum brauchst du denn die Feuerstelle?«, fragte Niko neugierig. »Reicht der Herd nicht aus?«
»Auf dem Herd will ich eine Suppe zubereiten, und über der Feuerstelle will ich grillen«, antwortete Nox.
Kaspar sah, wie Nikos Augen vor Freude ganz groß wurden, und Niko fragte prompt: »Was willst du denn grillen?«
Juana runzelte die Stirn, und Kaspar konnte ihr ansehen, dass Niko ihr mit seiner Fragerei nach dem Abendessen auf die Nerven ging.
»Lass dich überraschen«, antwortete Nox und zwinkerte Niko zu.
Kaspar warf einen flüchtigen Blick durch das kleine Fenster, neben der Tür. Das Drachenauge war verschwunden.
»Numba ist eben zu seinem Schlafplatz gegangen«, klärte Nox Kaspar auf und deutete mit dem Wurzelfinger auf das etwas größere Fenster, durch das Kaspar einen Blick auf Numba werfen konnte.
Nox eilte zum kleinen Tisch, der mitten im Raum stand, wandte sich dann Niko und Lars zu und sagte: »Ihr beiden könnt schon mal die Stühle holen.«
Das ließ sich Niko kein zweites Mal sagen und stand schon bei den Stühlen, die Nox neben der Tür gestapelt hatte, damit er die Hütte besser säubern konnte. Lars folgte seinem Freund gemächlich.
Nox wandte sich wieder dem kleinen Tisch zu und sprach einen Vergrößerungszauber aus, und der kleine, runde Tisch dehnte sich schnell aus.
»Ein toller Zauber«, schwärmte Niko, als er den ersten Stuhl an den Tisch stellte.
Nox eilte zum Herd und zündete das Holz mit einem Feuerzauber an.
»Kann ich dir helfen, Nox?«, fragte Juana.
»Gerne«, nickte Nox, »du kannst schon mal den Tisch decken. Aber vorher sollten wir hier mal durchlüften.«
Juana begab sich sofort an die Arbeit.
»Und was soll ich machen?«, fragte Kaspar.
»Wir beide setzen uns dort drüben hin, dann stören wir Nox und deine Freunde nicht bei der Arbeit«, schlug Balthasar vor.
Balthasar setzte sich in den Schaukelstuhl, und Kaspar holte sich einen Holzstuhl vom Stapel neben der Tür und nahm neben dem Zauberer Platz.
»Das gibt wieder ein Festessen«, freute sich Niko und rieb sich die Hände.
***
Ein Springbockschenkel hing an einem Spieß über der Feuerstelle und drehte sich wie von Geisterhand. Ein Kessel mit Suppe stand auf dem Herd. Nox schnitt gerade das Brot, während Kaspar und seine Freunde am Tisch Platz nahmen. Balthasar öffnete die Schranktür und trat mit zwei Flaschen an den Tisch, die er in die Mitte stellte.
»Warum machst du dir eigentlich soviel Arbeit mit dem Essen? Du kannst es doch auch einfach fertig zaubern?«, rief Niko Nox zu.
»Das macht doch keinen Spaß«, winkte Nox ab.
»Der Springbockschenkel dreht sich doch auch durch einen Zauber von dir«, sagte Niko voller Ungeduld.
»Du kannst ihn ja auch drehen, wenn du willst«, sagte Nox.
Niko sah zum Kamin und sagte: »Das ist mir zu langweilig.«
»Na, siehst du, mir auch«, rief Nox und nahm den Suppenkessel vom Herd.
Nox stellte den Kessel auf den Tisch und setzte sich auf den freien Stuhl zwischen Balthasar und Niko. Niko wandte sich nach rechts Lars zu und sagte: »Wenn die Suppe so schmeckt wie sie riecht –«
Niko machte eine Pause, denn Juana, die neben Lars saß, warf Niko einen zornigen Blick zu.
»– dann nehme ich mir zwei oder drei Teller davon«, lächelte Niko sie an.
Kaspar wandte sich nach links Juana zu und sah, wie sich ihr zorniger Blick in ein Lächeln verwandelte.
Dann wandte sich Kaspar nach rechts Balthasar zu, als Balthasar sagte: »Morgen werden wir nach Urta aufbrechen und ...«
»Wer möchte Suppe?«, unterbrach Nox und hielt einen hölzernen Schöpflöffel in seiner Wurzelhand bereit.
» ICH«, rief Niko sofort.
Kaspar lächelte in sich hinein und flüsterte Juana zu: »Niko wird sich in dieser Beziehung wohl nicht mehr ändern.«
»Er ist und bleibt ein Egoist und Vielfraß«, sagte sie zornig, doch Niko ignorierte ihre Bemerkung.
Nox füllte Nikos Holzschale mit zwei Kellen Suppe, dann stand Nox auf und ging zu Juana und füllte ihre Schale.
»Setz dich wieder hin, Nox«, sagte Kaspar. »Wir können das auch selber machen, sonst kannst du ja nicht in Ruhe essen.«
»Ein bisschen Bewegung wird mir guttun«, sagte Nox, und auf seinem Wurzelgesicht zeichnete sich ein kleines Lächeln ab.
»Schmeckt gut«, schwärmte Niko, und seine Holzschale war schon halb leer.
Als Nox an alle Suppe verteilt hatte und wieder neben Niko Platz nahm, fragte Niko vorsichtig: »Kann ich noch etwas Suppe haben?«
»Es ist genug Suppe da«, sagte Nox und deutete auf den Kessel. »Nimm dir, soviel du willst«, ergänzte er.
»Das hätte Nox nicht sagen dürfen«, wandte sich Lars nach rechts Juana zu. »Jetzt bekommen wir keinen Nachschlag mehr.«
Juana nickte.
»Dann nehme ich mir noch schnell einen Löffel, bevor Niko seine zweite Schale Suppe aufgegessen hat«, bemerkte Kaspar.
Juana lobte das Essen, das Nox so liebevoll zubereitet hatte, und schon bald beteiligten sich alle an dem Gespräch. Nur Kaspar kehrte in sich und dachte über seine neue Aufgabe nach. Eigentlich hatte Balthasar ihm ja noch nicht viel darüber gesagt, und was ein Todbringer war, wusste er bis heute noch nicht. Balthasar war ihm auf viele seiner Fragen ausgewichen. Eigentlich waren sie ja auf der Suche nach den goldenen Drachentränen, doch der Zauberer hatte darauf bestanden, dass sie vorher nach Urta reisen mussten, um dieses Dorf von dem Todbringer zu befreien. Kaspar wandte sich Balthasar zu und wollte ihn gerade nach dem Todbringer ausfragen. Als er Juana laut lachen hörte und einen Augenblick später Nikos Lachen wahrnahm, wandte er sich stumm seiner Suppe zu.
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