„Da komme ich doch genau richtig!“
Karsten stand in der Tür, ohne angeklopft zu haben.
„Ich hoffe, dass ich nicht störe und Ihr gut geschlafen habt.“ Esmeralda fand es peinlich, da sie noch ihr leichtes Nachthemdchen trug, welches knapp ihren Po bedeckte. Da es ziemlich heiß und schwül geworden war, hatte sie sich nichts drüber gezogen.
„Ich soll Euch fragen, was Ihr so alles braucht. Ich meine, was fehlt. Fürs Essen wird gesorgt, aber wenn Ihr etwas außer der Reihe braucht, wie Zigaretten, Kosmetik oder Bares, dann bringe ich es mit. Ich fahre gleich in die Stadt Fizi, um einzukaufen.
„Was machst du denn hauptsächlich? Für was bist du denn hier zuständig?“ fragte Julia, die mittlerweile frisch geduscht, duftend, in leichter Tropenbekleidung perfekt angezogen war, dastand. Esmeralda ging wortlos ins Badezimmer. Er bediente sich mit dem Kaffee. Er kannte sich gut aus, fand gleich die Tasse, Milch und Zucker.
„Ich bin hier der Fahrer und Dschungelführer. Ich lebe hier schon seit 10 Jahren. Kam mit meinen Eltern aus Amerika in den Kongo. Mein Vater hatte sich als Goldjunge ein bisschen reich gemacht. Er ist dann wieder in die Staaten zurück gegangen, nachdem meine Mutter gestorben war. Sie starb am Tropenfieber. Wäre zu viel los hier. Zu viel Unruhen und Gefahren, meinte er, als er das Land verließ. Doch ich bestand darauf hier zu bleiben und ich habe in diesem Land das gefunden, was ich brauche.“
Julia war begeistert. „Was ein Held“, dachte sie bewundernd. „Also, braucht Ihr etwas? Habt Ihr Bargeld? Manchmal brauchen wir ein bisschen Knete.“
„Nein, daran haben wir noch nicht gedacht. Wie heißt den hier die Währung? Das haben wir ganz vergessen in all den Aufregungen.“
„Das sind Kongo-Francs. Ich bringe Euch mal für 50 Euro Kleingeld mit. Etwa 50.000 Francs. Die Euros könnt Ihr mir dann geben, wenn ich zurück bin. 50.000 ist hier ein Vermögen. Wird erst mal für Euch beiden reichen. Braucht Ihr sonst nichts?“
„Nein danke, erst mal nicht, scheint ja alles hier zu sein. Verhungern werden wir wohl nicht, dafür sorgt ja die Köchin“, meinte Julia.
Karsten verschwand ohne Verabschiedung, so wie er ohne Begrüßung gekommen war. Mittlerweile kam auch Esmeralda angezogen und frisch gemacht aus dem Badezimmer zurück.
„Na ist dein Goldjunge wieder weg?“, dabei lächelte Esmeralda wissend.
Julia: „Was denkst du denn? Ich finde ihn sehr nett und attraktiv, mehr nicht.“
„Ja, ich weiß, du bist schließlich verlobt“, klang Esmeraldas Stimme etwas spitz.
Nach einem kleinen Imbiss gingen die Frauen auf Entdeckung ihrer neuen Umgebung. Wieder standen in dem kleinen Dorf viele Einheimische in der Warteschlange vor dem Behandlungsraum des kleinen Krankenhauses. Sie betraten die Rezeption. Hinter einem Schreibtisch saß eine Kongolesin, die ein Telefongespräch führte. Da in diesem Land Französisch gesprochen wird, verstanden die beiden kaum etwas. Aaliya war etwas rundlich und große schwarze Augen blitzten in ihrem prallen Gesicht und fast schwarzem Teint. Wach und aufmerksam betrachtete sie die „Neuen“, während sie dabei telefonierte. Als sie das Telefonat beendet hatte, stand sie auf, um die beiden Krankenschwestern zu begrüßen. Nun sprach sie in fließendem Englisch:
„Hallo, das ist schön, dass Ihr mich besuchen kommt. Ich bin Aaliya. Alle Patienten werden von mir registriert, bevor sie zum Doktor gehen können.“ Dann in gebrochenem Deutsch: „Ordnung muss sein!“
„Ich weiß, dass Ihr morgen Eure Arbeit antretet. Ich bin sehr dankbar, dass Ihr uns helfen werdet. Heute hat Dr. Braun, auch ein Deutscher, Dienst. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr ihn gleich sprechen. Er ist gleich mit einer Patientin fertig.“
Esmeralda und Julia warteten gerne.
„Wir haben gestern beim Abendessen alle gesehen, aber wer Dr. Braun war, habe ich vergessen“, sagte Julia.
Esmeralda zuckte mit den Schultern. Dann ging die Tür des Behandlungsraumes auf.
„Einen wunderschönen guten Morgen meine Damen. Ich freue mich, Euch persönlich sprechen zu können. Kommt in mein Reich.“
Beim Betreten der Praxis drang der typische Geruch von Desinfektionsmittel zu ihnen. Neben der Behandlungsliege lagen blutige Mullbinden auf einem Beistelltisch in einer Schale. Der behandelte Patient verließ schüchtern das Zimmer, während er noch sein Hemd zuknöpfte.
„Ich bin Clemens“, er hatte noch die Gummihandschuhe an und warf die Mullbinden in einen Eimer. Dann zog er die Handschuhe aus, wusch sich die Hände und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.
Clemens erzählte von seiner Arbeit. Er war nach seinem abgeschlossenen Studium als Arzt und nach zweijähriger Erfahrung als Assistenzarzt im Krankenhaus Hamburg schon 2 Jahre in der Truppe.
„Eigentlich wollte ich nur für ein Jahr hier arbeiten. Ich dachte, dass es für mich karrieregünstig sei, wenn ich danach zurück nach Hamburg gehen würde. Doch nachdem ich erlebt habe, wie dringend wir hier gebraucht werden, habe ich noch mal verlängert. Zwischendurch war ich auf Urlaub in Hamburg. Den hatte ich auch dringend gebraucht. Doch schon nach 3 Wochen wollte ich wieder zurück nach Sud Kivu. Die Situation für die Bevölkerung ist grauenhaft. Neben Schlangenbissen, Skorpionstichen, Durchfall, Kinderlähmung kommen noch mehrere Krankheiten auf diese geplagten Menschen zu. Cholera, Gelbsucht, Malaria und auch Aidskranke müssen behandelt werden. Aber das werdet Ihr bald selbst sehen. Eines ist ganz klar: Wir sind hier, um zu helfen!“
Clemens Überzeugung imponierte Esmeralda. Sie dachte an Dr. Fontane in Lampedusa. Er war sicher auch aus Überzeugung Arzt und war länger in Lampedusa geblieben, als er vorhatte. Nach diesem Besuch schauten sie sich im Lager weiter um.
Neben dem Krankenhaus befanden sich zwei Nebengebäude. Eins war das Verwaltungsgebäude und im anderen Gebäude befand sich der Speiseraum mit der Küche und den dahinterliegenden Lagerräumen. Hinter dem Krankenhaus, welches den Mittelpunkt des Lagers bildete, lagen die kleinen Häuser der Helfer. Die Häuser waren alle gleich konstruiert, ein Aufenthaltsraum, eine Küche, ein Schlafzimmer mit Badezimmer. Vor jedem der Häuser befand sich eine kleine Veranda.
Die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit der Tropen ergriff das Land mit jeder weiteren Stunde des Tages. Die Luftfeuchtigkeit stieg rapide weit über 100 Prozent an, schwerlastig und stickig.
Esmeralda hatte, nachdem Julia sich zurückgezogen hatte, einen Entdeckungsgang außerhalb des Camps unternommen. Neugierig entfernte sie sich vom Lager. Bedingt durch ihre Geburt und ihrer Herkunft empfand sie Hitze nicht so unangenehm, wie Julia es empfand. Ohne es zu bemerken entfernte sie sich immer weiter. Die Vegetation erinnerte sie an ihre Kindheit an ihre Heimat Eritrea. Bunte Vögel in schillernden Farben hatten sich im dichten Geäst der Bäume versammelt. Dann entdeckte sie einen kleinen See, der in einer Waldlichtung lag. Das Wasser schien klar und sauber zu sein. Die goldenen Strahlen der Sonne spiegelten sich im Wasser des Sees. Einladend für ein kühles Bad.
Esmeralda überfiel der Wunsch, ihre vom Schweiß feucht gewordenen Kleider abzulegen und nackt ins erfrischende Wasser zu steigen, so wie sie es damals mit ihrem kleinen Bruder Jonas in ihrer Kindheit oft getan hatte. Auch dort war ein Teich am Rande des kleinen Ortes gelegen. Bei dem Gedanken an Jonas zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Sehnsüchtig dachte sie an ihre Familie. An die Zeit, die sie mit ihrer geliebten Familie in Eritrea verbracht hatte. Von politischen Problemen hatte sie als Kind nie etwas gespürt und ihres Erachtens keine Nachteile empfunden. Es war für alles geregelt. Bis ihr Vater mit der gesamten Familie fliehen musste und sich dadurch drastisch ihr ganzes Leben veränderte.
Sie fand eine Stelle am Ufer des Teiches, um bequem ins Wasser gehen und schwimmen zu können. Schnell zog sie sich aus, warf ihre Kleidung auf einen Busch und tauchte nackt in das kühlende Wasser ein. Auf dem Rücken liegend, gleitete sie mit leichten Schwimmzügen auf der Wasseroberfläche. Sie blickte hinauf zum strahlend blauen Himmel, lauschte den zwitschernden Vögeln, die auf den überhängenden Ästen saßen. Plötzlich hörte sie ein Rascheln vom Ufer her kommend. Erschrocken drehte sie sich auf den Bauch im Wasser. Sie sah, wie sich das hochgewachsene Schilf am Teich bewegte. Dann hörte sie ihren Namen rufen:
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