„Geht nur Ihr Turteltauben. Ich trinke in Ruhe meinen Wein aus. Ich will über deine Arbeit bei „Ärzte für Menschen in Not“ nachdenken.“
Esmeralda hatte Feuer gefangen.
Das Gespräch mit dem Professor war für Esmeralda nicht einfach. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, ihm ihr Vorhaben zu erklären. Doch nach jedem gesprochenen Satz wurde es für sie einfacher.
„Das ist bewundernswert liebe Esmeralda. Ich freue mich, dass Sie sich für diese schwierige Arbeit entschieden haben. Gleichzeitig bedauere ich, Sie und Schwester Julia gleichzeitig zu verlieren. Ich werde für sie beide ein Spitzenzeugnis ausfertigen lassen.“
Jens war bereits abgereist. Er hatte sich für 6 Monate verpflichtet in der Zentralafrikanischen Republik zu arbeiten.
Gelbfieberimpfungen, ärztliche Versorgung von Verletzten und medizinische Aufklärungsarbeit, sowie die Betreuung von Kriegsgeschädigte hatte man ihm als seine Aufgaben aufgetragen. Esmeralda und Julia durften als Krankenschwestern in den Ostkongo reisen. Im Vertrag für `Ärzte für Menschen in Not` waren alle finanziellen Angelegenheiten geklärt. Ihr erster Einsatz sollte 3 Monate dauern. Es wurde ein kleines monatliches Gehalt auf ein deutsches Konto überwiesen. Die Reisekosten, Unterkunft, Verpflegung, Versicherungen und notwendige Impfungen wurden von der Organisation getragen. Auch sagte man in dem Vertrag zu, falls nach einem Einsatz in Krisengebieten, es zu physischen oder psychischen Störungen kommen sollte, dass diese von Fachärzten der Organisation behandelt werden würden. Denn die Erfahrungen zeigten, dass viele von den freiwilligen Einsatzkräften dem Druck der begangenen Unmenschlichkeiten nicht immer gewachsen waren. Julia konnte nicht mit Jens gehen, da sie verlobt waren. Doch man hatte nichts dagegen einzuwenden, sie in verschiedenen Regionen einzusetzen.
Peter hatte nach anfänglicher Skepsis Esmeraldas Entscheidung akzeptiert. Auch er hatte sich nach dem Tod von Sanira wieder als freier Krisenreporter engagiert und plante nach Afghanistan zu reisen.
Der Abschied war schwer. Er und Julias Eltern brachten die beiden Freundinnen nach Frankfurt zum Flughafen.
„Wenn du oder deine Freundin in Gefahr seid, egal wo ich mich in der Welt aufhalten werde, rufe mich. Ich krieche aus jeder Ecke der Welt, um dir zu helfen. Versprichst du mir das mein Engel? Ich werde dich, sooft wie ich kann, informieren, wo ich mich aufhalten werde. Passe gut auf dein Handy auf.“
„Ja Papa, das werde ich tun. Wir bleiben stets in Verbindung, egal wo wir sind, das ist doch klar.“
Dann ertönte der Aufruf für die abfliegenden Passagiere nach Kinshasa durch die Lautsprecher der Abflughalle. Es galt aufzubrechen, zum Flug in die Demokratische Republik Kongo. Julia stand noch bei ihren Eltern. Weinend verabschiedete sich ihre Mutter von ihr. Ihr Vater drückte Julia fest an sich und nahm seine traurige Frau in den Arm, als Julia zu Esmeralda ging.
„So Papa, es geht los. Ich liebe dich sehr und werde dich vermissen. Passe gut auf dich auf!“
„Das verspreche ich dir, passe auch gut auf dich auf. Und lasse nicht alle die schrecklichen Dinge, die du sehen wirst, zu dicht an dich heran. Ich weiß, dass du sehr sensibel bist.“
Esmeralda gab ihrem Vater einen herzhaften Kuss und wandte sich Julia zu.
„Komm meine Freundin. Unsere Zeit ist gekommen. Zeit den armen Menschen in einer anderen Welt zu helfen.“
Arm in Arm, mit dem Rucksack auf dem Rücken, den Reisetickets in der Hand, verschwanden sie hinter der gläsernen Wand der Absperrung zu der Gepäckkontrolle für Fluggäste.
2012 Demokratische Republik Kongo
Nachdem 1960 der Kongo ein unabhängiger Staat wurde und die Belgier ihre Herrschaft in ihrer Kolonie beendet hatte, herrschte auch danach Leid und Elend für die Bevölkerung. Es entstand Chaos und Gewalt der Volksgruppen. Kriminelle Banden und Rebellenführer kämpfen immer noch um die reichen Bodenschätze des Landes. Der grausame Diktator der Demokratischen Republik Kongo, Präsident Mobuto kam 1965 an die Macht. Das Wohl des Volkes interessierte ihn wenig, er war nur an seiner persönlichen Bereicherung interessiert, bis man ihn 1997 aus seinem Amt als Präsident gejagt hatte. Wieder entstanden Unruhen und Kriege, an denen sich auch die Nachbarstaaten beteiligten. 2006 wurde wieder demokratisch gewählt. Andele Kabila ist jetziger Präsident der Demokratischen Republik Kongo. Jedoch haben immer noch in vielen Landesteilen die Rebellenführer und Banden Macht und politischen Einfluss, ohne dass von der restlichen Welt etwas dagegen getan wird.
Der Flug über Brüssel nach Kinshasa – D`Djili-Inernational dauerte 10 ruhige Stunden. Julia und Esmeralda waren viel zu aufgekratzt, um während des Nachtfluges schlafen zu können. Um sich etwas abzulenken spielte Esmeralda Computerspiele auf ihrem im Vordersitz eingebauten Bildschirm. Julia schaute sich ein Video über das Zielland an. Endlich, früh am Morgen, leuchtete die aufgehende Sonne in herrlichen Orangetönen durch das Fenster. Das Lichtzeichen begleitet von einem diskreten Klang an der Deckenbeleuchtung blinkte und die Aufforderung der Stewardess ertönte durch die Lautsprecher, sich für die bevorstehende Landung anzuschnallen. Das Flugzeug senkte sich über eine teils satte grüne und teils karge Landschaft langsam hinab. Seit ihrer Flucht aus Eritrea war Esmeralda nicht mehr in Afrika gewesen. Da sie damals mit dem Auto bis Tobruk gefahren waren, hatte sie die großzügige afrikanische, sanft hügelige, Landschaft von oben noch nie gesehen. Sie schaute auf den dichten immergrünen Regenwald hinunter, bis rostrote Lehmstraßen auftauchten, die sich durch die Landschaft schlängelten. Sie blickte auf große Seen und dann und wann tauchten kleine Flüsse zwischen dem dichtem Grün des Regenwaldes auf. Dann erhoben sich Hochhäuser an mehrspurige Straßen neben dem üppigen Grün und eine große Anzahl von kleinen Wohnhäusern waren zu erkennen. Von oben erschien die Stadt Kinshasa modern und das Leben quirlig zu sein. Dann blickte sie auf ein relativ modernes, großzügiges Gebäude des Flughafens hinab. Im Gegensatz zum Regenwald wirkte die Landschaft um den Flughafen der Hauptstadt Kinshasa karg, ausgetrocknet und unpersönlich. Sie setzten zur Landung an.
Die Passkontrolle wurde zügig durchgeführt und die Koffer lagen schon auf dem Laufband, als die beiden Frauen die Gepäckausgabe erreichten, um ihre Koffer abzuholen. Bepackt mit ihren Rücksäcken auf dem Rücken und ihren Koffern im Schlepptau betraten sie erwartungsvoll die Ankunftshalle. Es hatte geheißen, dass ein Mitarbeiter der Organisation sie abholen würde. Neugierig schauten sich die Frauen in der Wartehalle um. Einige Passagiere wurden nach dem Gang durch den Zoll von Wartenden freudig begrüßt und zum Ausgang begleitet.
„Das muss unser Fahrer sein. Schau, der Mann hält ein Schild mit unseren Namen vor sich!“
Esmeralda war voller Erwartung. Sie gingen auf den jungen Mann zu. In Englisch sprach Julia ihn an und reichte ihm die Hand. Er antwortete auf Deutsch:
„Hallo Mädels, schön, dass Ihr hier seid. Herzlich willkommen im Kongo!“
Er nahm ihnen die Koffer ab und führte sie aus dem Gebäude. „Ich heiße Karsten. Und wer von Euch ist Julia und wer ist Esmeralda?“
Karsten sah sehr gut aus. So, wie man sich einen Abenteurer im wilden Busch vorstellen würde. Er trug ein schwarzes T-Shirt, ausgewaschene Jeans und rustikale Wanderschuhe. Er hatte sein braunes, mit blonden Strähnen durchzogenes halblanges Haar zu einem Zopf am Hinterkopf zusammen gebunden. Die Rasur hatte er sicher seit Tagen vergessen. Doch die kurzen Barthaare standen ihm gut. Er war schlank und groß, mit gut trainierter Figur. Seine Sonnenbrille hatte er sich an den Kragen seines Halsausschnittes am T-Shirt eingehängt. Esmeralda schätzte ihn auf Mitte 20. Als sie aus dem klimatisierten Gebäude traten, schlug ihnen die feuchte Hitze der Tropen entgegen. In Sekunden trat der Schweiß der Frauen aus ihrem Körper.
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