Lisa Winter
Die ungewöhnliche und schicksalhafte Lebensreise von Anastasia
Roman
Rosarote Ringelsöckchen
Lisa Winter
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.deCopyright: © 2015 Lisa Winter ISBN 978-3-7375-5347-6 Konvertierung: Sabine Abels / www.e-book-erstellung.deCovergestaltung: Erik Kinting / www.buchlektorat.net
„Die Sonne wirft Schatten, es wird finster und kalt, doch Wärme und Frieden finde auch ich sehr bald.”
Angekommen – endlich! Mein Lebenstraum wurde Wirklichkeit.
In Südafrika, dem Ziel meiner mühsamen Suche nach Glück und Erfüllung.
Schon früh in meiner Jugend erwuchs in mir die Sehnsucht auf ein Leben am blauen Meer mit viel Sonnenschein und angenehmen Temperaturen. Abseits von der Hektik der lärmenden Städte, der verschmutzten Umwelt und der ewigen Suche nach Ruhm, Geld und dem Drang nach Selbstdarstellung über Luxusgüter.
Nun sitze ich auf meiner Terrasse an einem der wunderschönsten Plätze der Welt. Ich blicke auf die tropische immergrüne Vegetation. Der Himmel ist strahlend blau und klar. Zahlreiche Vögel, in meist schillernden leuchtenden bunten Federkleidern, sitzen auf unseren prachtvollen Bäumen im Garten und singen lautstark um die Wette. Meine süße Labradorhündin Cora und Ritchie, ein imposanter Rhodesien-Ridgeback-Rüde, warten ungeduldig auf ihren täglichen Gang zum Strand. In wenigen Minuten erreiche ich den endlos langen menschenleeren goldenen Sandstrand. Während des Spazierganges übersteigen wir mühelos bizarre Felsformationen, die durch Ebbe und Flut immer wieder anders gezeichnet sind. Wieder brilliert das Meer in atemberaubenden Blautönen. Von strahlend klaren Türkistönen bis zur farblichen Verschmelzung ins satte Tintenblau. Die sanften Wellen laden über das ganze Jahr zum Baden ein, da die Wassertemperaturen nie unter neunzehn Grad sinken. Ich spüre den warmen weichen Sand unter meinen nackten Füßen, und während ich über die Unendlichkeit des Meeres blicke, erreicht mich tief in meiner Seele ein beruhigendes und warmes Glücksgefühl, das mir sagt:
„Ja, ich habe es richtig gemacht, auch wenn mein Lebensweg zur Erfüllung meiner Träume oft steinig und mühsam war. Ich folgte dem Ruf meines Schicksals.”
Anastasia, genannt Stasia, war gerade elf Jahre alt und stand kurz vor ihrem großen Ereignis. Nur noch eine Nacht. Dann war es soweit. Mama Frauke hatte ihr langes, goldblondes Haar sorgfältig in lauwarmem Bier gespült, damit es herrlich glänzte, bevor sie es auf Lockenwickler aufdrehte.
„Ich muss morgen besonders schön sein, denn ich bin als Frühlingsprinzessin ausgewählt worden“, dachte sie stolz.
„Ich bin das hübscheste Mädchen im Dorf! Das hat Herr Munster gesagt. Nur das hübscheste und freundlichste Mädchen hier im Ort darf als Frühlingsprinzessin in der mit Rosen geschmückten Kutsche durch das ganze Dorf fahren.”
Dieses Ereignis war der jährlich stattfindende„Sommertagsumzug”.
Am ersten Sonntag im kalendarischen Frühlingsanfang war es Brauch, den Frühling, symbolisch dargestellt durch eine Frühlingsprinzessin, feierlich zu begrüßen, um dann den Winter zu verabschieden, der als Strohmann dargestellt wurde. Nach dem Zug durch das Dorf wurde er dann am Marktplatz angezündet und verbrannt. Fast alle Bürger des Dorfes waren beteiligt, aktiv oder als Zuschauer des festlichen Umzugs. Die Dorfkapelle des Gesangvereins begleitete mit Pauken und Trompeten die phantasievoll gestalteten Umzugswagen, die dann stolz jedes Jahr präsentiert wurden.
An Schlaf war für Stasia nicht zu denken. Die Ungewissheit, was am nächsten Tag auf sie zukommen würde, machte sie ruhelos, dazu die pieksenden Lockenwickler auf ihrer Kopfhaut. Sie ertrug dieses unangenehme Gefühl tapfer, denn morgen musste sie einfach perfekt aussehen!
Für diesen Anlass hatte eine Freundin von Frauke für Stasia ein langes rosafarbenes Kleid in seidenähnlicher Spitze genäht. Passend dazu lagen lange rosa Handschuhe bereit, rosa Schuhe und ein aus duftiger Seide hergestellter Rosenkranz, der auf ihrem Haar drapiert werden sollte.
„Stolz und würdig wirst du den Frühling als Frühlingsprinzessin darstellen“, meinte Frauke, als sie Stasia frisch gebadet ins Bett schickte und ihr einen Gute-Nacht-Kuss gab.
Badewasser wurde sonst nur an Samstagen für die ganze Familie im Heizkessel des Kohleofens erhitzt.
„Wieso hat Herr Munster mich ausgesucht und nicht noch mal Bea? Sie war doch letztes Jahr eine wunderschöne Prinzessin. Wir alle im Dorf haben sie beneidet. Sie war wunderschön und hat nichts falsch gemacht.”
Bea war ihre beste Freundin und wohnte wie sie und das Ehepaar Munster im selben Wohnhaus.
„Bestimmt wird jedes Jahr ein anderes Mädchen ausgewählt.”
Frauke zuckte mit den Schultern, bevor sie das Zimmer verließ.
Da Stasia absolut nicht einschlafen konnte, sang sie leise ihr Lieblingslied vor sich hin:
„Rosarote Ringelsöckchen, und zwei rosa Pucki-Pucki-Schuhe, und dazu ein Sommerkleidchen, das gehört dazu. Wenn ich in den Spiegel schaue, seh ich eine Zauberfee, wenn ich auf die Straße gehe, sehn mir alle nach …”
Genau so fühlte sie sich, und endlich schlief sie unruhig, doch selig, ein.
Bevor auch Frauke einschlafen konnte, dachte sie an die schwierigen Jahre zurück, wo ihr armes Mädchen schon früh ums Überleben hatte kämpfen müssen. Als Zweijährige ging es um Leben oder Tod, als plötzlich und völlig unerwartet eines Nachts Stasia mit gequälter und schwacher Stimme zu schreien versuchte. Die bis ins Mark erschütterten Eltern eilten in das Kinderzimmer. Henry, ihr drei Jahre älterer Bruder schaute entsetzt auf seine kleine Schwester.
„Schau Stefan, Stasia kriegt keine Luft. Sie kann kaum noch atmen“, schrie Frauke verzweifelt und hilflos.
„Tu etwas!”
Stasia zeigte mit ihren kleinen Fingerchen auf ihren Hals und röchelte mit weit aufgerissenen Augen und flackerndem Blick.
„Wasser, sie braucht Wasser, vielleicht hat sie sich an irgendetwas verschluckt“, rief Stefan.
Eilig brachte Frauke einen Becher Wasser. Stasia nahm den gefüllten Becher und schleuderte ihn gegen die Wand. Immer wieder zeigte sie auf ihren Hals. Stefan zog sich eilig an und packte das Kind auf seinen Arm. Er rannte in dem Mehrfamilienhaus einen Stock nach unten zum Nachbarn, der ein Motorrad besaß. Dieser erkannte sofort die Gefahr und war eiligst bereit, das um Luft ringende, erstickende Kind zum Dorfarzt zu fahren.
„Leider kann ich für Stasia nichts tun, sie muss schnellstens ins nächste Krankenhaus gebracht werden“, erkannte der noch etwas verschlafene Arzt voller Mitgefühl. Mittlerweile war auch Frauke in der Praxis angekommen. So saßen sie dann zu viert, Stasia zwischen ihren Eltern eingeklemmt, auf dem Motorrad und rasten in die nahe Stadt Mannheim ins städtische Krankenhaus. Mittlerweile war das Gesicht von Stasia blau angelaufen, sie atmete kaum noch, ihre Augen waren geschlossen. Nur noch ein leises Röcheln kam über ihre Lippen.
„Halte durch mein liebes Baby, halte noch eine Weile durch, bald wird alles wieder gut“, betete Frauke zum Himmel. Dabei drückte sie Stasia fest an sich. In ihrer Panik hatte sie ganz vergessen, sich etwas anderes anzuziehen. Noch immer trug sie ihr Nachthemd. Doch der Schock und die Sorgen um Stasia ließen sie den kalten Fahrtwind kaum spüren. Der Notarzt, den zuvor der Dorfarzt alarmiert hatte, erwartete die Familie an der Krankenhauspforte.
„Sie muss sofort in die Notaufnahme, wir müssen dringend und schnellstens operieren, jede Minute ist kostbar. Unterschreiben sie mir die Genehmigung für einen Luftröhrenschnitt. Ansonsten ist ihr Kind in kurzer Zeit tot.”
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