1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 »Das ist richtig. Aber weshalb sollten sie sich der griechischen oder lateinischen Schrift bedienen? Mir ist bekannt, dass die Sprache der Kelten eine fast magische Bedeutung hatte und als göttliche Kunst gesehen wurde. Nicht umsonst hatten sie mit Ogma einen eigenen Gott der Beredsamkeit. Und auch das keltische Alphabet der Iren, Ogham, stammt wahrscheinlich, der Bezeichnung nach, von dieser Gottheit.«
»Die Sprache besaß nicht nur eine magische Bedeutung. Sie war vielmehr, gesellschaftlicher Ausdruck. Bei den Kelten wurde lediglich das unmittelbar Gesprochene anerkannt. Es mussten Normen eingehalten werden. Ja, die Sprache wurde sogar codiert«, warf Kyra ein.
»Das ist mir bewusst«, Griet funkelte sie kampflustig an. »Es ist aber doch auch so, dass die Druiden von diesem Tabu ausgenommen wurden. Warum sollten sie fremde Alphabete benutzen? Für Händler gilt dies ebenso.«
»Gut. So könnte die Diskussion jetzt stundenlang weitergehen.« Arget unterbrach selbstbewusst das Gespräch. »Ich denke ebenso wie Griet. Es ist nicht zu glauben, dass ein Volk, mit einer solchen Philosophie, nicht in der Lage gewesen sein soll oder es gar bewusst unterdrückte, Schriftliches zu fixieren.«
»Ja denkst du denn, ich glaube das nicht«, fuhr Kyra Arget an. »Ich finde, Griet vertritt ihren Standpunkt gut.«
»Was sollte das Ganze dann? Ist das ein Test?« Paul folgte erstaunt dem Wortwechsel.
»Nein«, versicherte Kyra eilig. »Aber es ist seltsam, dass du dich an Arget wendest und ihm eine haarsträubende Geschichte von Grabräuberei und dubiosen Gaunern erzählst. Wärest du nicht auch misstrauisch? Wir kennen euch nicht.«
»Wir euch auch nicht. Aber ich verstehe eure Zurückhaltung«, meinte Griet. »Die Geschichte ist schon sehr abenteuerlich. Aber nun zu unserem Fund«, sie nickte zum Tisch, auf dem die silberne Scheibe lag. »Könnt ihr uns dazu etwas sagen? Ich hatte vorhin den Eindruck, als habt ihr euch darüber verständigt. Es ist nur so ein Gefühl.«
»Du beobachtest gut.« Arget grinste. Das Gesicht zog dabei eine fürchterliche Grimasse und sah dennoch liebenswert aus. »Wir stimmten uns wirklich ab. Ein Blick genügte. Nun zu eurer Scheibe. Ich deute die Symbole tatsächlich als Schriftzeichen. Jedoch wird es so gut wie unmöglich sein, sie zu entziffern. Falls diese Zeichen tatsächlich von den Kelten stammen, sind sie verschlüsselt, wie ihre Sprache.«
»Und? Was tun wir jetzt?« Paul stand die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben.
»Falls ihr uns vertraut, lasst uns das Ding hier und wir untersuchen es genauer.« Kyra sprach Griet an, die Paul einen Blick zuwarf, der zustimmend nickte.
»Gut. Bei euch ist der Fund im Moment besser aufgehoben. Wer weiß, was uns noch bevorsteht.«
Kyra und Arget begleiteten die beiden zur Tür. Griet blieb draußen stehen und zeigte auf die Bäume, in deren Mitte eine Quelle entsprang.
»So gewaltige Birken habe ich noch nie gesehen«, stellte sie fest.
»Die haben einige Jahrhunderte auf dem Buckel. Hier ist einer von vielen heiligen Orten der Vergangenheit unserer Gegend.«, bemerkte Kyra.
»Es ist schön hier. Dieses Haus hier ist doch bestimmt auch uralt?«
»Es wurde von einem meiner Vorfahren erbaut. So um 800 unserer Zeitrechnung.«
Das Haus, mehr eine Kate, verschmolz windschief mit dem Hügel, der die Mulde, in der das Dorf lag, abschloss. Es sah tatsächlich so alt aus, wie Kyra sagte.
»Du kannst deinen Stammbaum soweit zurückverfolgen?« Griet sah sie zweifelnd an.
»Noch weiter. Du würdest es nicht glauben.«
»Sollte ich ein anderes Thema wählen? Es erscheint mir interessant, was du sagst. Ein ellenlanger Stammbaum …«, sie ließ den Satz versanden und stockte. »Ich weiß nicht so genau mit euch beiden. Da ist immer noch etwas, was ich nicht begreife.«
»Mach dir keine Gedanken. Die Zeit wird es richten.« Kyra grinste spitzbübisch. »Jetzt muss ich euch leider verabschieden. Wir haben noch zu tun.«
*
sechs
Griet nahm die zweite Flasche Bier und rutschte im Liegestuhl etwas höher. »Soll ich weiter erzählen oder langweile ich dich?« Sie warf ihm einen unergründlichen Blick zu.
»Auf jeden Fall … weitererzählen. Du bringst die Geschichte gut rüber und ich schwärme für Märchen.« Er nickte auffordernd.
»Ich hoffe nicht, dass ich Märchen erzähle. Schließlich ist das Leben Kendrics für meine Berufswahl verantwortlich.« Ihr Blick schweifte durch den Garten und blieb auf einer Katze hängen, die bewegungslos den Maulwurfshügel auf dem Rasen beobachtete, der in einem Zusammenhang mit ihrer Geschichte stand. Wie? … wusste sie nicht. »Also, dann weiter …«
*
Kendric und Bronwyn wanderten seit Tagen auf dem Weg zu ihrer neuen, unbekannten Heimat. Entsprechend dem ungeschriebenen Gesetz, dass nicht zwei Druiden an einem Ort wirken durften, suchten sie eine neue Bleibe. Normalerweise ging der Ältere. Doch Kendric zog es fort. Tiefes Sehnen trieb ihn in die Ferne. Er konnte und wollte nicht mehr in seiner bisherigen Siedlung bleiben. So sehr der Stamm bettelte, aber als Druide und Besucher der Anderwelt hatte er das Sagen. Die heimliche Angst, Bronwyn würde sich ihm verweigern, stellte sich als grundlos heraus. Sie sagte sofort zu, mit ihm zu ziehen.
An Beltane, dem Frühlingsfest, wurden die reinigenden Feuer entzündet. Kendric bekam erstmals die Gelegenheit mit Labhruinn die Holzstämme zu reiben, bis die Funken in das aufgeschichtete Reisigmaterial sprangen und die Flammen tanzen ließen. Die Verwendung von Feuerstein entsprach nicht dem Brauch. Die beiden Druiden unterhielten sich bei dieser Tätigkeit so vertraut, als hätten sie ihre gemeinsame Zeit schon immer gleichrangig verbracht. Sie versuchten, voneinander zu lernen.
»Kendric darf ich dir eine Frage stellen?«
»Sicherlich, Labhruinn.«
»Die Anderwelt, wie ist sie?«
»Anders, ganz anders, als wir sie uns vorstellen. Zumindest der Teil, den ich kenne. Ich finde schwerlich Worte, es auszudrücken. Sie ist voller Kraft und Geheimnisse. Was wir richtig festgestellt haben, ist, das Gleichgewicht des Ganzen. Alles muss im gleichen Rhythmus schwingen – sonst geraten die Kräfte durcheinander und zerstören sich gegenseitig«, sinnend blickte er auf, während die Hände weiter das Holz rieben.
»Wie soll ich das verstehen? Hast du es gesehen oder durch die Kraft deiner Gedanken herausgefunden?«
»Die Macht, die unsere Welt zusammenhält, ist in der Anderwelt sichtbar und wird durch viele Farben dargestellt. Die Sterne, die unsere Sonne umrunden, ziehen einen Kreis der Kräfte. Aber dahinter, in weiter Ferne, lauert das Böse in einem Nebel. Davor müssen wir uns in acht nehmen.«
Unwillkürlich hielt Labhruinn inne und setzte an, etwas zu sagen. Doch Kendrics Gedanken weilten in solcher Ferne, sodass er es unterließ. Ihm wurde nicht bewusst, welchen Prozess er in Gang setzte.
Zum Beltanefest versammelten sich die Stämme mit den Druiden, um Mutter Erde das Erwachen zu erleichtern.
Beltane bedeutete nicht nur Willkommensgruß, sondern auch der Beginn des neuen Jahres. Wer an diesem Tag besonderes Glück hatte, dem begegnete ein Elf. Aber das geschah schon seit Menschengedenken nicht mehr. Sie trieben an diesem Tag das Vieh zwischen zwei Feuern, die Labhruinn und Kendric entzündeten, hindurch, um Krankheiten zu verhindern. Ebenso verbrannten sie den Kopf des Pferdes, das zu Samhain geopfert wurde.
Am diesjährigen Beltane wirkte Kendric erstmals öffentlich als Druide. Als das letzte Tageslicht verblasste, nahm Bronwyn Kendric bei der Hand und zog ihn in den Wald. Obwohl er damit rechnete, zog ein flaues Gefühl in der Magengegend auf. An Beltane suchten sich die Frauen den Mann aus, mit dem sie die Nacht verbrachten. An diesem einzigen Tag des Jahres schliefen die Menschen ungestraft mit beliebigen Partnern.
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