Das Cottage machte einen hübschen Eindruck. Von einer Rhododendronhecke eingesäumt, weiss gestrichen, gepflegt, mit Geranien auf dem Fensterbrett neben der blau gestrichenen Eingangstür.
McKenzie beorderte Smith auf einen Rundgang rund ums Haus, streifte sich die Latexhandschuhe über und schloss mit Mrs. McKays Schlüssel die Tür auf. Purdy folgte ihr ins Haus.
Vom düsteren Flur ging die Treppe ins Obergeschoss weg. Links befand sich die Tür ins Wohnzimmer und geradeaus ging’s zur Küche. McKenzie konstatierte, dass Mrs. McKay die Küchentür sorgfältig geschlossen hatte, bevor sie das Cottage verlassen hatte. Ein weiteres Element, was sie an diesem Fall merkwürdig berührte. Sie drückte die Klinke herunter und stiess die Tür vorsichtig auf.
Tatsächlich konnte man von der Küchentür nicht direkt zum Herd sehen, der hinter der Frühstückstheke, die den Raum zweiteilte, versteckt war. Über die Theke hin waren nur der Küchentisch mit vier Stühlen und das Fenster, welches zum Fluss hinausging, zu sehen.
„Sie scheint die Wahrheit gesagt zu haben“, brummte Purdy mit sichtlicher Genugtuung. „Sie kann die Leiche unmöglich sofort bemerkt haben.“
„Ja, scheint so.“ McKenzie bog um die Theke herum und hielt erschrocken den Atem an. Eine Leiche war kein schöner Anblick, und das Opfer hier war ein besonders unerfreuliches Beispiel dafür. In ihrer Ausbildung und der kurzen Laufbahn hatte McKenzie zwar schon einige Toten zu begutachten gehabt – in der Mehrheit waren die Betroffenen entweder bei einem Unfall oder eines natürlichen Todes gestorben. Hier aber war klar, dass Ruaridh McDougal brutal umgebracht worden war. „Rühren Sie bloss nichts an, Michèle. Hier muss die SpuSi ran. Offensichtlich war hier enormer Hass und Wut am Werk. Sehen Sie die Waffe irgendwo?“
Aber die Waffe war nirgends zu finden. Ruaridh McDougal war offensichtlich entweder aus dem Bett gekommen oder gerade auf dem Weg dahin gewesen, jedenfalls trug er einen dunkelblauen, getüpfelten Pyjama und am linken Fuss hing noch der Filzpantoffel. Den anderen Hausschuh fand Purdy unter dem Küchentisch.
„Michèle, gehen Sie nach oben und schauen Sie, ob das Bett benutzt worden ist. Ich rufe mal in Inverness an. Die sollen ein Team herschicken. Ich glaube, das ist zu gross für uns.“
McKenzie wartete die Antwort nicht ab, sondern wählte die Nummer ihres Vorgesetzten in der Hauptstadt der Highlands, erstattete Bericht und erhielt die Versicherung, dass sich so rasch als möglich ein Spezialistenteam auf den Weg an die Küste machen würde.
Purdy war verschwunden und statt ihrer tauchte Smith in der Küchentür auf. „Draussen ist nichts zu sehen. Keine Spuren an den Scheiben, einfach nichts, nicht mal ein Zigarettenstummel auf dem Kies, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Vermutlich ist der Täter auf demselben Weg hergekommen wie wir, und entweder hatte er einen Schlüssel oder McDougal hat ihm selber die Tür geöffnet. Jedenfalls deutet nichts auf einen Einbruch hin.“
„Wie sieht’s mit Fussspuren zum Fluss hinunter aus?“
„Nichts zu sehen. Aber es gibt da einen gekiesten Fussweg, der zu einem Bootshaus zu führen scheint. Da hätte der Täter keine Fussabdrücke hinterlassen. Vielleicht könnte ein Spürhund…wenn wir so einen hätten. Denken Sie, der Täter hat die Waffe im Wasser versenkt?“
„Würde jedenfalls naheliegen, nicht? Aber wir haben keine Mittel, den ganzen Fluss abzusuchen. Vielleicht können die Herren in Inverness einige Taucher abstellen, wenn man sie lieb bittet. Den Spürhund bringen sie vielleicht aus eigenem Antrieb mit.“ McKenzie lächelte zynisch. „Wenn sie sich überhaupt für diesen Fall hier interessieren. Sie erschienen mir am Telefon nicht gerade übereifrig. Glauben wohl, was hier oben passiert, interessiert ohnehin keinen im Parlament. – Was wissen wir vom Opfer?“
„Nun, ich habe kurz im Netz und bei der Gemeinde recherchiert. Offensichtlich lebte er allein, hatte keine Familie und nur die Putzfrau kam regelmässig her, um reinezumachen. Ansonsten führte er ein völlig unauffälliges Leben. Er hatte einen Job als Barkeeper in Aultbea.“
„Ich dachte, er hätte in einer Whiskydestillerie gearbeitet? Jedenfalls hat Gilchrist das gesagt.“
„Ja, wenn man da von Destillerie sprechen will. Es ist der komische Kerl, Amerikaner, ha!, da oben in Drumchork. Der destilliert selber Whisky, angeblich basierend auf alten Geheimrezepten von der Küstenregion. Bietet für Ausländer Kurse an. Ich kann nicht verstehen, wie man von so etwas leben kann, aber Amerikaner haben die merkwürdigsten Ideen, und die Kunden vom Kontinent – na ja. Jedenfalls hat Bothwell, so heisst der Besitzer, noch ein anderes Standbein – er betreibt ein Hotel mit einer Bar, in der er Whiskydegustationen anbietet. Und McDougal scheint da hinter der Bar gestanden zu haben.“ Und mit düsterer Stimme fügte er hinzu: „Vermutlich hat er nebenbei auch noch was gepanscht.“
„Na, Bothwell nehmen wir dann mal unter die Lupe.“ McKenzie blickte sich aufmerksam um. „Jedenfalls scheint sein Angestellter ziemlich pedantisch gewesen zu sein. Bis auf die schrecklichen Spritzer da an der Wand ist alles sauber aufgeräumt hier, sogar die Küchenzeile ist blitzblank. Ich nehme nicht an, dass Mrs. McKay noch geputzt hat, bevor sie uns angerufen hat.“
„Wer weiss? Ich würde der alles zutrauen.“ Smith mochte keine forschen alten Damen, und Mrs. McKay hatte nicht den besten Eindruck auf ihn gemacht.
Purdy erschien wieder in der Küche. „Das Bett ist benutzt worden, ein Glas Wasser steht auf dem Nachttisch. Der Wecker ist auf halb Neun gestellt, aber ich kann nicht sehen, ob er geläutet hat oder nicht. Im Bad ist alles sauber, die Zahnbürste steht im Zahnglas, und die Badetücher sind am Trockner aufgehängt. Scheint, als ob er schon im Bett gewesen wäre, als der Mörder eintraf.“
„Hm, das würde auf eine Todeszeit mitten in der Nacht bis zum frühen Morgen hindeuten. Hat Gilchrist den Arzt schon verständigt?“
„Ja, aber der ist irgendwo zu einem Notfall unterwegs und kann erst in einer Stunde eintreffen. Bis dahin ist schon fast die Spurensicherung mit dem Pathologen hier.“
„Nun gut, wir sperren hier alles ab. Sie können beide zurück nach Gairloch. Brian, Sie können meinen Wagen nehmen. Ich warte hier auf das Eintreffen der Spezialisten. Überprüfen Sie McDougal, jeden seiner Schritte seit dem letzten Monat. Ich lass mich dann auf dem Rückweg in Poolewe absetzen und nehme mir noch einmal Mrs. McKay vor.“ Mit diesen Worten griff McKenzie zu ihrer Tasche und nahm das Absperrband heraus. „Ich vermisse übrigens die Presse? Ist es möglich, dass noch nichts durchgesickert ist?“
Smith verzog das Gesicht. „Ich tippe darauf, dass sich die Pressefritzen schnellstens im Pub versammelt haben. Aber Sie haben recht, vermutlich dauert’s nicht lange, bis sie hier aufkreuzen. Wir sollten uns lieber beeilen.“
„Na, dann los.“ McKenzie scheuchte die andern hinaus. Zusammen sperrten sie die Zufahrt zum Cottage ab. Sie waren gerade fertig, als der erste Pressefritze eintraf.
Mittwochmorgen
Christina erwachte. Etwas war anders als sonst. Durch die zugezogenen Vorhänge schimmerte das erste Morgenlicht, und es war vollkommen still im Cottage. Christina drehte sich zu ihrem Mann um, der noch ganz ruhig schlief. Wieder hatte sie das Gefühl, es sei etwas nicht wie sonst. Und plötzlich fiel ihr auf: es regnete nicht mehr!
Nichts hielt sie mehr im Bett. Leise, um Mark nicht aufzuwecken, schlug sie die Bettdecke auf ihrer Seite zurück und stand auf.
Mit blossen Füssen tappte sie die Treppe hinunter und ging ins Wohnzimmer. Da waren alle Vorhänge noch zugezogen und verbreiteten ein diffuses blaues Licht. Energisch zog Christina eine der schweren Stoffbahnen zurück und liess das Licht herein. Der Himmel über dem Fluss und den Hügeln war rosa gefärbt. Es musste noch ganz früh am Morgen sein, die Sonne war noch nicht aufgegangen.
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