„Was für Filme?“
Christina suchte krampfhaft nach einem Filmtitel, der auch ihrem Sohn bekannt wäre. „ Highlander zum Beispiel.“
„Nie gehört. Um was geht’s da?“
Christina warf Mark einen hilflosen Blick zu und konstatierte, dass dieser breit grinste. Highlander war einer seiner Lieblingsfilme gewesen, einer der wenigen Actionfilme, die sie zusammen im Kino gesehen hatten. Er dachte aber gar nicht daran, am frühen Morgen seinem übelgelaunten Sprössling die komplizierten Gedankengänge Hollywoods zu erklären und tippte sich nur an die Stirn. Wirklich eine tolle Unterstützung, vielen Dank! Christina seufzte erneut. Wenigstens liess Mark sich herbei, Paul aufzuwecken. Der Siebzehnjährige schien seit Ferienbeginn unglaublich viel Schlaf zu brauchen, allerdings durchwegs am Morgen und nie in der Nacht, wo normale Menschen ihre Nachtruhe hielten. Christina hörte, wie sich im Zimmer eine halblaute Diskussion zwischen Vater und Sohn entspann, an deren Ende Paul mit noch düsterer Miene als vorhin sein Bruder und noch im Bademantel in die Küche schlurfte, um die vorfabrizierten Pfannkuchen in den Toaster zu stecken, die er zur Wiederherstellung seiner Kräfte zu verputzen gedachte.
Trotz Protesten der Jungs bestand Christina darauf, dass sich die Familie wenigstens in den Ferien gemeinsam an den Frühstückstisch setzte.
Die Ausflugspläne wurden zur Sprache gebracht. Wider Erwarten konnten sich beide Jungs für den Plan erwärmen. „Dieses Schloss kommt in einem James Bond vor!“, wusste Paul. „Das wird sicher cool. Wenigstens etwas, was ich den Kumpels dann erzählen kann.“ Stefan nickte zustimmend. James Bond war eindeutig was anderes als Highlander, das sicher irgendein Historienschinken war, die ihre Mutter so gerne schaute und von denen keiner in seiner Klasse je etwas gehört hatte.
Christina staunte über die plötzliche Begeisterung ihrer Söhne. Offenbar hatten sie und Mark wider Erwarten einen erfolgsversprechenden Weg gefunden, den Tag zu verbringen. Sie atmete auf. Vielleicht wurden diese Familienferien ja doch noch zu einem Erfolg.
Mittwochnachmittag
Der Anruf ging um 13.40 Uhr bei der Polizeistelle in Gairloch ein. Police Sergeant Dan Gilchrist nahm den Hörer ab und vernahm die aufgeregte Stimme einer älteren Lady, die etwas von einer Leiche in Poolewe faselte.
PS Gilchrist war an Verkehrsunfälle, verlorengegangene Hunde und unangenehme Zwischenfälle, die Touristen und Verstauchungen am Strand involvierten, gewohnt. Leichen fielen nicht in sein Ressort. Da er aber schon fünfundzwanzig Dienstjahre auf dem Buckel hatte, konnte ihn so leicht nichts aus der Fassung bringen. Er beruhigte die aufgeregte Dame, so gut er konnte, und nach zehn Minuten hatte er nicht nur ihren Namen, ihre Adresse und ihre Beschäftigung – Putzfrau -, sondern auch den Fundort der Leiche in Erfahrung gebracht.
Offensichtlich war Penelope McKay wie jeden Mittwochnachmittag, um Punkt ein Uhr im Heather Cottage von Ruaridh McDougal eingetroffen, um dort sauber zu machen. Sie hatte sich noch gewundert, dass die Türe zum Cottage nicht abgeschlossen war, obwohl Mr. Ruaridh doch am Vormittag zur Destillerie gefahren war. Als sie jedoch ins Haus eintrat und wie gewohnt direkt in die Küche ging, stiess sie mit dem Fuss an etwas Weiches, Schweres, das auf dem Küchenfussboden lag. Als sie sich bückte um nachzusehen – sie war etwas kurzsichtig -, erblickte sie den Hausherrn, offensichtlich ohnmächtig zusammengebrochen, vor dem Küchentisch. Nun war Penelope McKay keineswegs eine Zimperlise, sie hatte ihr Leben lang gearbeitet und war sich nicht zu schade anzupacken und sich die Hände schmutzig zu machen. Sie kniete sich also neben Ruaridh McDougal nieder und drehte ihn mit einiger Kraftanstrengung, auf den Rücken, um zu sehen, wie sie ihm helfen konnte. Und da sah sie, dass anstelle seines Gesichts – an dieser Stelle kippte Mrs. McKays Stimme wieder ins Falsett, und Dan Gilchrist beeilte sich, beruhigend auf sie einzureden und sie zu ermahnen, sich nicht so aufzuregen. Schliesslich hatte sie schon gut siebzig Lenze auf dem Buckel, und er wollte nicht, dass ihr Herz Schaden nahm.
„Immer mit der Ruhe, immer mit der Ruhe! Ich schlage vor, Sie rühren im Haus nichts mehr an, setzen sich draussen irgendwo hin an einen ruhigen Ort und warten, bis die Polizei eintrifft. Das kann etwa eine Viertelstunde dauern, sie rückt von Gairloch aus an. Ich rate Ihnen, den Toten, äh, ich meine Mr. McDougal, nicht mehr anzusehen, vor allem nichts zu berühren – Sie können ihm sowieso nicht mehr helfen. Seien Sie vorsichtig, vielleicht ist der Mörder noch in der Nähe…“
Im Hörer quietschte es. Penelope McKay war nicht auf den Kopf gefallen und protestierte, sie werde sich keinesfalls auf eine Bank vor dem Cottage setzen, sichtbar für alle Mörder und Verbrecher, die noch in der Nähe herumlungerten. Sie würde sich jetzt ins Pub ins Dorf begeben und sich dort einen Whisky genehmigen. Die Polizei wüsste ja, wo sie zu finden sei, und im Übrigen schliesse sie die Türe zum Cottage ab. Die Einsatztruppe könne den Schlüssel bei ihr im Pub abholen.
Gilchrist kratzte sich am Kopf. Dieser Vorschlag stimmte nicht mit dem vorgeschriebenen Prozedere überein, wie es der Leitfaden zur Polizeiarbeit in so einem Fall vorsah, und der Gedanke, sich anschliessend mit einer heillos betrunkenen Zeugin herumschlagen zu müssen, war auch nicht gerade berauschend. Aber er sah nicht, wie er Mrs. McKay an der Ausführung ihres Vorhabens hindern konnte, ohne selbst vor Ort zu sein. Also musste es halt das Pub sein.
Er legte den Hörer auf und wählte die interne Nummer von Charlotte McKenzie. Die Polizeiwache war zurzeit unterbesetzt – schliesslich waren es Sommerferien, und die Hälfte der Besatzung war dem tristen schottischen Wetter entflohen und sonnte sich irgendwo an der Costa del Sol oder sonstwo, wo nichts an keltische Mystik und kalte Füsse erinnerte. Aber er hatte Glück, seine Chefin war in ihrem Büro. Sie war erst seit einem halben Jahr auf ihrer neuen Position, nach der Beförderung zum Detective Inspector, die sie der Tatsache zu verdanken hatte, dass sie an der Küste einige illegale Whiskybrennereien ausgehoben und den Kollegen von Lochalsh einen Tipp zur Festnahme zweier prominenter Mitglieder eines Mafia-Spielclubs gegeben hatte.
DI McKenzie war klein, blond, mit einem lustigen Pferdeschwanz, sie war immer sehr höflich zu ihren Untergebenen und hatte meist ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Die beiden letzten Merkmale hatten zur Folge, dass einige der Uniformen sie unterschätzt hatten. Einer hatte sich sogar zu einer anzüglichen Bemerkung hinreissen lassen, für die er postwendend die Quittung in Form einer Versetzung nach Thurso erhalten hatte. Noch weiter ins Niemandsland ging’s nun wirklich nicht, dachte Gilchrist mit nicht geringer Schadenfreude, ausser man rechnete noch die Shetlands dazu. Aber die Polizeiwache in Lerwick wurde meist mit Einheimischen besetzt, denen das Inselleben im Blut lag. Die Episode hatte aber allen klar gemacht, dass Inspector McKenzie nicht lange fackelte, wenn es um die Umsetzung von Gleichstellungsmassnahmen und die Ahndung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ging. Seither hatte keiner der Truppe sie jemals wieder blöd angemacht.
Ein Mord war aber ebenfalls etwas Neues für sie.
„Ok, ich gehe mit zweien vom Team hin und fordere die Spurensicherung an. Vermutlich müssen wir die Special Unit in Inverness alarmieren, aber ich werde mir zuerst mal selber ein Bild machen. Wahrscheinlich gibt es eine ganz einfache Erklärung für den Mord, ein schiefgelaufener Einbruch oder so. Kennen Sie diesen McDougal-Typen, Dan?“
„Nein, das ist ein unbeschriebenes Blatt. Am besten hören Sie sich an Ort und Stelle einfach mal um. Die Putzfrau, diese Mrs. McKay, scheint nicht auf den Mund gefallen zu sein. Vermutlich weiss sie einiges über ihren Arbeitgeber. Der scheint da ganz allein in diesem abgelegenen Cottage gehaust zu haben. Offenbar hatte er eine Stelle in der Lochewe Distillery, das ist da oben bei Aultbea – bei diesem komischen Kauz, der die Kunst des Whiskymachens neu erfindet, für die Touristen! Grauenhaftes Gesöff.“
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