Mir stellte sich nun die Frage: Duschen oder Baden? Als ich wieder einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr warf, entschied ich mich für das Duschen. Also, raus aus den Klamotten und ab unter die Dusche.
Langsam drehte ich das Wasser auf und stellte es auf eine angenehme Temperatur ein. Das tat gut – verdammt gut. Ich schloss die Augen und ließ mir das Wasser über mein Gesicht laufen.
ZISCH!
»Andor ist tot.«
Es war kaum mehr als ein Flüstern, das an meine Ohren drang. Ich wandte mich schnell nach links der männlichen Stimme zu, doch niemand war da.
»Ja, er ist tot«, flüsterte eine Frauenstimme.
Ich wandte mich nach rechts, aber auch dort war niemand.
Wurde ich langsam verrückt oder war ich es schon?
»Äh, na ja, dann bin ich eben tot«, sagte ich leise.
Eine Welle kam direkt von der Seite auf mich zu und überschwemmte mich. Ich wurde unter Wasser gedrückt, mein Mund füllte sich, ich strampelte verzweifelt mit den Beinen und tauchte wieder auf. Hastig spie ich das Wasser aus, schwamm auf der Stelle und hustete.
Mist!
Wie kam ich hierher? Ich überlegte. Vorhin stand ich noch unter der Dusche, und nun war ich irgendwo in einem tosenden Meer. Ich träume mal wieder , ging es mir durch den Kopf.
Die nächste Welle rollte auf mich zu. Es war nur eine Frage der Zeit, bis meine Kräfte versagen und ich ertrinken würde. Ertrinken? So ein Quatsch. Wie sollte ich in einem Traum ertrinken? Ich musste nur warten, bis ich wieder wach wurde. Die Woge kam und trug mich in die Höhe. Ich hustete abermals, als ich Wasser schluckte. Es fühlte sich verdammt lebensecht an. Als ich wieder Wasser schluckte, war ich mir nicht mehr sicher, ob es ein Traum war.
Was sollte ich tun? Wohin sollte ich schwimmen? Die nächste Welle trug mich wieder in die Höhe. Ich hoffte Land oder ein rettendes Schiff zu entdecken, doch ich sah nur unendliche Wassermassen.
Ich war verloren.
Was war das? Dort vor mir schwamm etwas im Wasser. Ein Hai? Das hätte mir zu all meinem Unglück noch gefehlt. Ich versuchte Ruhe zu bewahren. Vielleicht würde mich der Fisch auch gar nicht bemerken.
Die Weite des Meeres, die Einsamkeit, die langsam in meinen Körper kriechende Kälte, die schwindenden Kräfte und das Wissen keine Menschenseele anzutreffen, machten mir Angst. Aufgeben wollte ich aber lange noch nicht. Ich kämpfte ums nackte Überleben. Das Meer sollte mich nicht als Opfer bekommen. Vermutlich waren es diese Vorsätze und Gedanken, die meine Kräfte beflügelten und mich vorantrieben.
Ich schwamm – zügig, gleichmäßig. Der Hai war noch nicht ganz vergessen. Was wäre, wenn diese Bestie mich entdeckt hätte und abgetaucht wäre, um mich unter Wasser anzugreifen? Er könnte mit Leichtigkeit zubeißen und mich mit in die Tiefe ziehen. Ich schwamm weiter und betete, dass der Hai mir nicht folgen würde. Ich hielt wieder Ausschau nach Rettung.
Land sah ich immer noch nicht.
Und auch kein Schiff.
Also war ich weiterhin auf mich allein gestellt. Allein mit dem unendlichen Meer, den Wellen, der aufkommenden Dämmerung – und einem Hai.
Scheiße! Ich war verloren. Dem Tod geweiht. Doch mein Leben kampflos aufgeben wollte ich auf gar keinen Fall.
Rechts von mir sah ich kurz eine Flosse auftauchen. Der Hai war wieder da und lauerte seiner Beute auf. Ich legte eine Pause ein und bewegte die Beine dabei unter Wasser. Ein Fehler, wie mir etwas später bewusst wurde, denn für den Hai gab es nun keinen Halt mehr. Blitzschnell schoss er dicht unter der Wasseroberfläche heran. Er sah mich und meine strampelnden Beine.
Komm nur her du doofer Fisch! Ich mache aus dir eine Haifischflossensuppe , fluchte ich im Stillen.
Ich versuchte mich mit wenigen Bewegungen über Wasser zu halten. Nur nicht die Nerven verlieren, sagte ich mir vor. Etwas schwamm dicht unter mir vorbei – vermutlich der Hai. Ich verharrte und ließ mich von den Wellen treiben.
Ich begriff überhaupt nicht, was geschah. Mit einem Angriff durch einen Hai hatte ich gerechnet, aber nicht damit, dass etwas meinen linken Knöchel umgreifen und mich mit einem kräftigen Ruck mit in die Tiefe zerren würde. Die Augen hatte ich vor Schreck weit aufgerissen, schloss aber zum Glück rechtzeitig den Mund, als das Wasser über mir zusammenschlug. Verzweifelt versuchte ich wieder an die Wasseroberfläche zu gelangen, doch wer immer mich gepackt hielt, hatte die Kraft eines Bären. Meine Arme und Hände schlugen nur durch das Wasser ohne jeglichen Erfolg, denn ich wurde immer weiter in die Tiefe gezogen.
Als die erste Panik vorbei war, reagierte ich wieder besonnener. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren und entschloss sich, meinen Körper zusammenzukrümmen. Meine Augen waren weiterhin geöffnet, deshalb glaubte ich zu erkennen, wer mich am Knöchel gepackt hielt.
Es war HORYET.
Wie kam dieser Schurke hierher? Er verfolgte mich immer noch und war hinter einem Kopfgeld her, das angeblich auf mich ausgesetzt war. Der Typ trug immer noch den altmodischen braunen Anzug. Und das hier im Meer, im Wasser. Der hatte ja nicht mehr alle Tassen beieinander.
Spinner!
Scheißkerl!
Scheiß Situation!
Verdammt, Bill, reiß dich zusammen! Es ist ein Traum , sagte ich mir vor.
Ich konnte es immer noch nicht fassen, vor wenigen Minuten stand ich doch noch unter der Dusche, und nun schwamm ich im Meer und kämpfte ums nackte Überleben. Es war ein Traum! Ich stutzte und der Schreck fuhr durch meine Glieder. Ich war nackt. Dann schluckte ich Wasser. Mit diesem Kerl hatte ich schon einige seltsame Begegnungen gehabt. Das hier war kein Traum, schoss es mir durch den Kopf.
Du kriegst mich nicht. Du nicht! Scheißkerl!
Ich war mir sicher: Horyet wollte mich in die Tiefe zerren, um mich zu töten.
Die Gedanken strömten mir in Sekundenschnelle durch mein Gehirn. Sollte ich etwa aufgeben? Doch mein Lebenswille war wie eine lodernde Flamme, die nicht erlöschen wollte. Horyet durfte nicht siegen.
Ich krümmte meinen Körper zusammen und streckte meine Händen aus, um Horyets Finger zu greifen und sie auseinander zu biegen.
Biegen oder brechen? Das war hier die Frage, die mir durch mein Gehirn schoss.
Brechen , jubelte ich im Stillen. Ja, ich wollte ihm jeden einzelnen Finger brechen und ihm in sein dämliches Gesicht blicken, wenn es sich vor Schmerzen verzog. Ich musste mich beeilen, denn jedes weitere Zögern bedeutete den sichern Tod für mich.
Verdammt! Ich kam nicht an seine Hand heran. Langsam wurde es kritisch. Der Luftmangel machte mir zu schaffen. Bei einem erneuten Versuch an die Hand von Horyet zu gelangen, hätte ich mir fast den Rücken verrenkt.
Scheiße! Ich war verloren. Ersoffen im offenen Meer ...
Ein Jubel durchbrach meine düsteren Gedanken, als ich Horyets Handgelenk zu fassen bekam. Ich riss und zerrte mit beiden Händen daran.
Verdammt noch mal! Es tat sich absolut nichts. Wie eine Schraubzwinge blieb Horyets Hand an meinem Knöchel kleben. Ich hatte nicht mehr lange Zeit, um lebendig an die Oberfläche zu kommen.
Was konnte ich tun? Horyets Griff bekam ich nicht gelöst. Dieser verdammte Hurensohn war stark wie ein Bär.
Dick und Doof , schoss es mir durch den Kopf.
Warum mir gerade diese beiden Komiker in meiner Situation durch den Geist schwirrten, wusste ich nicht, doch eine Sekunde später war es mir klar geworden. Ich liebte diese Figuren über alles, und nun konnten sie mir das Leben retten. Ich löste meine Hände von Horyets Handgelenk, spreizte die Finger, zielte damit auf die Augen meines Feindes und stieß zu.
Volltreffer!
Das tat bestimmt weh, denn Horyets eiserner Griff an meinem Fußgelenk löste sich etwas. Mit aller Kraft riss ich mein Bein aus der jetzt lockeren Umklammerung heraus.
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