Kapitel 3 – 20 Jahre später
Ich richte mich auf, fahre mit den Händen durch meine Haare und greife nach meinem Hemd.
„Musst du schon gehen?“ Sie streicht über meinen Rücken.
„Ja. Muss ich“, sage ich ohne sie anzusehen. Es ist der Punkt erreicht an dem ich sie einfach nicht mehr ansehen kann. Ich schließe kurz meine Augen, dann drehe ich mich zu ihr. „Ich kann das nicht mehr…“
„Was?“ Sie richtet sich auf und verschränkt dabei ihr Arme vor der nackten Brust. „Was kannst du nicht?“
„Das hier“, entgegne ich schulterzuckend, mein Ton ist fast etwas zu lässig für diese Worte.
Sie zieht ihre Augenbrauen hoch und schüttelt den Kopf. „Du kannst mich nicht mehr vögeln? Aha. Das fällt dir also danach ein. Das ist dir in den letzten Wochen aber nicht schwergefallen, oder bilde ich mir das ein? Ein Fick im Auto, einer auf der Toilette vom Restaurant, einer zwischen den Mülltonnen der Brauerei und nicht zu vergessen fast jeden Freitag hier im Hotel. Und jetzt kannst du nicht mehr? Toll. Ganz toll. Lord Tavis.“
Das Lord Tavis betont sie außerordentlich. Ihre Ausdrucksweise ist in manchen Situationen zwar reizvoll, besonders wenn ich auf ihr liege, doch gerade widert es mich an. Ich atme durch. „Jess. Bitte. Mach kein Drama. Du wusstest, dass es nicht ewig so gehen wird. Wir vögeln nur, weiter nichts.“
Sie springt aus dem Bett und schnappt sich den Bademantel vom Sofa gegenüber. „Drama? Vor einer Stunde konnte es dir nicht schnell genug gehen mich flach zu legen und jetzt servierst du mich ab? Und nenn mich nicht Jess! Schon gar nicht, wenn du gerade Schluss machst“, keift sie.
„Bitte, dann eben Jessica. Reg dich nicht auf. Du bist doch sonst nicht so zimperlich. Zumindest war es ein ordentlicher Abschluss, war es doch, oder?“
Sie stemmt ihre Hände in die Hüften und stellt sich vor mich. „Du bist so ein mieses kleines Arschloch Stewart. Du machst gerade einen großen Fehler.“
„Fehler? Ich bin nicht sicher wo der Fehler liegt? Dass wir uns seit ein paar Monaten zum Vögeln treffen, oder daran, dass wir beide verheiratet sind und zwar nicht miteinander. Also ist es meiner Meinung nach gerade richtig unsere Aktivitäten zu beenden.“
Ihr Gesicht wird hochrot. „Ja…Weil Carter dir zu einem riesigen geschäftlichen Coup verholfen hat. Dank meiner Interventionen. Und jetzt wo du alles hast lässt du mich fallen.“
„Tja. So läuft das Geschäftsleben Baby. Dafür hatten wir doch ein paar tolle Stunden zusammen und ich müsste mich schon sehr täuschen, wenn es dir nicht auch gefallen hat.“ Ich schlüpfe in meine Hose, als sie wutentbrannt mit meinen Sachen nach mir zu werfen beginnt.
„Raus! RAUS! Das wirst du noch bereuen! Verschwinde!“, schreit sie so laut, dass sich ihre Stimme fast überschlägt. Keine Ahnung warum sie so durchdreht, es war vorhersehbar.
„Jess…Komm schon…Du wusstest, dass es nicht ewig so geht, ich habe dir keine Hoffnungen gemacht“, versuche ich sie etwas zu beruhigen. „Vögeln. Es ging nur ums vögeln.“
Sie hält inne, aber ihr Blick ist verengt und ihre Atmung geht stoßweise. „Glaubst du ich wollte mehr von dir?“ Sie schüttelt langsam den Kopf. „Du träumst wohl. Geh doch zu deiner Kendra so lange du sie noch hast. Du wirst sehen, eines Tages ist sie weg. Sieh dich doch an. Ja…Im Bett bist du vielleicht gut, aber sonst…Welche Frau außer sie will schon bei dir bleiben? Und sie bleibt auch nur aus einem Grund.“
Ich sehe sie angewidert an. „Halt die Klappe Jessica. Halt einfach deine Klappe.“
Ihr Mund verzieht sich zu einem gemeinen Grinser. „Mitleid. Sie hat Mitleid.“ Sie stößt einen höhnischen Lacher aus, dann verschwindet sie im Badezimmer und schlägt die Tür hinter sich zu. Ich ziehe mich an und verlasse das Hotelzimmer. Meine Stirn reibend warte ich auf den Aufzug. Ich bin froh, dass es vorbei ist. Die Affäre mit Jessica Slater hat sich eine Richtung entwickelt, die mir nicht mehr gefiel. Ja. Sex. Gelegentlich. Wenn es passte. Als Gegenleistung für ein gutes Geschäft. Ok. Mehr interessiert mich nicht. Ich bin verheiratet. Meine Frau ist mir wichtig. Alles andere ist nebensächlich. Ich steige in den Lift und sehe mich im Spiegel an. „Sieh dich doch an“, murmle ich und streiche meine Narbe halsabwärts. „Sieh dich doch an du blödes Arschloch...“
Es ist schon fast Mitternacht als ich zurück zum Castle komme. Ich will einfach nur unter die Dusche und dieses Miststück Slater hinter mir lassen. Im Salon ist wie nicht anders zu erwarten bereits alles dunkel. Ich gehe nach oben als plötzlich mein Bruder vor mir steht.
„Wo kommst du denn her?“, fragt er und sieht mich dabei musternd an.
„Lass mich zufrieden Peter“, murmle ich genervt.
Er schüttelt schmunzelnd den Kopf. „Zieh das Hemd aus, da ist Lippenstift am Kragen, sieht nicht nach Kendras Farbton aus. Sieht mehr nach schlampenrot aus.“
„Halts Maul“, fahre ich ihn an und gehe an ihm vorbei.
„Ich will dir nur Ärger ersparen“, sagt er noch, geht aber auch zu seinem Zimmer. Ich mache die Tür hinter mir zu. Ich drehe schon einmal die Dusche auf, während ich mich aus meinen Klamotten schäle. Auf den Lippenstiftfleck blickend zucke ich zusammen.
„Hi…Ich habe dich beim Abendessen vermisst…Ich dachte du kommst heute früher?“ Kendra steht in der halb geöffneten Tür und lächelt mich an. Dabei legt sie ihren Kopf fragend zu Seite, so als erwarte sie eine Erklärung von mir. Ich werfe das Hemd schnell zur Seite.
„Hi…Ja…Es ist etwas dazwischengekommen. Ein Termin.“ Etwas dazwischengekommen. Es ist eher so, dass ich zwischen die Beine einer anderen gekommen bin. Genau genommen eine Blondine mit fake Brüsten, die eigentlich so gar nicht mein Typ ist.
„Ach so…Sicher…Also dann…Gute Nacht.“ Sie lächelt immer noch. Es ist echt schäbig wie plausibel ich sie belügen kann und das mache ich heute nicht zum ersten Mal. Nein, ich mache es seit Jahren. Immer wieder. Jedes einzelne Mal, wenn ich eine andere gevögelt habe. Ich werde dabei weder rot, noch stockt meine Stimme. Meine Lügen sind Standard geworden. Sie gehen mir ganz einfach von den Lippen und doch fühle ich mich tief in meinem Innersten mies. Ich lächle sie an und diese Geste meine ich ganz und gar ehrlich, auch wenn sie sich schon umdreht um mein Zimmer zu verlassen.
„Gute Nacht. Aber wir frühstücken morgen gemeinsam, ich muss erst gegen zehn weg“, rufe ich ihr noch nach, was sie nickend zur Kenntnis nimmt. Ich steige unter die Dusche und lasse das heiße Wasser über meinen Kopf hinunterlaufen. Bis vor ein paar Stunden war Jess noch reizvoll. Ziemlich reizvoll sogar. Sie ist offensiv im Bett und dabei auch noch ganz schön einfallsreich. Keine Ahnung, aber heute war plötzlich alles anders. Kurz vor dem Höhepunkt fühlte es sich nicht mehr richtig an. Meine Hände auf ihrem unechten Busen und der Blick in ihre von der üppigen Schminke verschmierten Augen. Nein. Es fühlte sich scheiße an. Falsch. Ich stemme meine Hände an die kalte Fliesenwand und atme mit geschlossenen Augen durch. Nachdem ich mir endlos lange die Zähne geputzt habe, lasse ich mich ins Bett fallen. Wieder einmal bin ich froh, dass Kendra ihr eigenes Zimmer hat. Auch wenn es mir anfänglich falsch vorkam, jetzt macht es Sinn. Als sie vor ein paar Jahren aus dem Schlafzimmer auszog war ich gekränkt, aber sie meinte es hat nichts mit mir zu tun. Sie braucht einfach Ruhe, besondere Laken und es darf nicht zu kalt oder gar zu hell im Raum sein. Mir ist es fast immer zu warm, die Laken sind mir egal, Hauptsache nicht zu dick und ich lasse Vorhänge und Fenster lieber offen. Inzwischen bin ich froh darüber. Ich kann einfach nicht neben ihr liegen und ihr etwas vorheucheln. Es ist gut so wie es ist. Ich bin für sie da, wenn sie mich braucht. Ich werde immer für sie da sein. Erschöpft schließe ich meine Augen.
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