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Evelyn zwischen 55 und 60
Stippvisiten in einem Kölner Leben
Karin E. Bell
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2014 Karin E. Bell
ISBN 978-3-8442-9333-3
Die Lebensjahre einer Frau zwischen 55 und 60 bringen naturgemäß eine Menge Veränderungen mit sich. Nicht nur, dass, abgesehen von körperlichen Misslichkeiten, die Energien ein wenig nachlassen. Es schwindet auch allmählich der Antrieb, neue Ideen zu entwickeln oder lang gehegte Pläne endlich zu verwirklichen.
Die Kinder sind erwachsen und haben ihr Leben ganz gut im Griff, was aber dennoch bedeutet, dass man sich als Mutter zuweilen Sorgen um das Wohlergehen des Nachwuchses macht.
Und die eigenen Eltern? Wie geht man mit den Kümmernissen und Problemen einer kranken Mutter um, wenn man selbst nicht immer richtig fit ist?
Schließlich das Berufsleben. Nicht viel Neues wird vermutlich mehr den Arbeitsalltag auflockern, was einerseits beruhigend ist. So können sich keine diffusen Ängste entwickeln vor Aufgaben, denen man sich vielleicht nicht mehr gewachsen fühlt. Andererseits ist damit wiederum der Berufsalltag überschaubar und wenig spannend.
Auch die Freundschaften wollen gepflegt werden. Je älter man wird, desto klarer erkennt man, wie wichtig wirkliche Freunde sind. Nicht zuletzt sollen Reisen und Ausflüge in die Natur, Hobbies und viele Dinge mehr weiterhin genügend Platz im Leben haben.
All das erfordert Energie, die zuweilen nur mühsam aufgebracht werden kann. Doch immer wieder zeigt sich, dass es lohnenswert ist, sich aufzurappeln und die Trägheit zu überwinden. Auf Menschen zuzugehen, etwas zu unternehmen, am Leben teilzuhaben, um anschließend festzustellen, dass aus positiven Erlebnissen und Kontakten frische Kräfte erwachsen können.
So jedenfalls sieht es die Kölnerin Evelyn. Sie lässt die Leserinnen (und Leser?) an ihren Erlebnissen und Gedanken rund um Familie, Beruf und den Alltag in einem eher unspektakulären Leben teilhaben – in ihren Jahren zwischen 55 und 60.
Die Aufzeichnungen beginnen mit einem Silvesterabend und guten Vorsätzen.
Zur Silvesterfeier an diesem klirrend kalten Abend sind mein Mann Hannes und ich bei unseren Freunden Anita und Ralf eingeladen. Ralfs Vater Paul wird auch dabei sein. Auf ihn freue ich mich ganz besonders, denn der 80-Jährige überrascht immer wieder mit spontanen und lustigen Ideen. Mal gespannt, was ihm heute einfallen wird. Hannes und Ralf waren gestern einkaufen und wollen im Laufe des Abends ein Menü zubereiten. Doch schon nach der Vorspeise, einem bunten Salat mit viel Brot und herrlich duftender Kräuterbutter, sind wir alle ziemlich satt. Das erweist sich letztlich aber auch als gut, denn das Hauptgericht, ein Hummer, der von unseren Köchen nun eben erst nach Mitternacht serviert werden soll, erreicht unsere Teller gar nicht. Während wir nämlich draußen das neue Jahr begrüßen, buntes Feuerwerk in den Himmel schicken und Böller auf die Straße werfen, und uns nicht nur aufs neue Jahr, sondern auch auf den nächsten Gang des Menüs freuen, macht sich Paul, dem es draußen zu ungemütlich ist, in der Küche über den Hummer her. Eigentlich hatte er, wie er anschließend zerknirscht erklärt, nur vorgehabt, uns nach unserer Neujahrsknallerei zu zeigen, wie man so ein Schalentier zerteilt. Als ehemaliger Oberkellner kennt er sich da aus.
„Ich wollte nur schon mal anfangen. Aber dann sah der Hummer so lecker aus und duftete dermaßen gut, dass ich nicht widerstehen konnte und ihn nach und nach aufgegessen hab.“
Diese Überraschung ist ihm wirklich gelungen. Wir sind baff und machen gleich in der ersten halben Stunde des neuen Jahres ein dummes Gesicht. Ralf und Hannes sind leicht ungehalten, aber Anita und ich ärgern uns nicht lange über die entgangene Kost. Schließlich waren wir uns noch vor wenigen Minuten draußen vor der Tür beim Anblick des funkelnden Geglitzers am Himmel einig, dass wir uns im kommenden Jahr nicht mehr über jeden Mist aufregen wollten. Immerhin werden wir bald 55. In dem Alter zeigt man doch, wenn man anderen „Älteren“ glauben darf, immer größere Gelassenheit gegenüber den Unbilden des Lebens. Und sonst? Was bringt die Zukunft? Das weiß natürlich keiner. Ich jedenfalls möchte einfach nur abwarten, wie es weitergeht. Mit der Familie, mit dem Job, mit dem Leben.
Am Mittag des 1. Januar sind wir zum Neujahrsessen bei Janni, meiner Schwiegermutter; das ist seit Jahrzehnten Tradition in der Familie. Pünktlich um 13.00 Uhr sind Hannes und ich mit Britta, 23, und Marvin, 18, sowie Hannes‘ Bruder Bert samt Freundin Doro zur Stelle. Janni, der es mit ihren 77 Jahren nicht zu viel war, sich für uns richtig schick zu machen mit weißer Bluse, schwarzer Hose und Lackschuhen, Halskette, Ohrclips und sogar einem kleinen Augen-Make-up bittet uns, kaum dass wir uns auf die Sessel verteilt haben, noch einmal aufzustehen.
„Ich möchte Euch nämlich was Wichtiges sagen, und zwar meine Wünsche für das neue Jahr. Also: Macht auch in diesem Jahr das Beste aus Eurem Leben. Haltet zusammen. Seid guter Dinge, auch wenn die Dinge um Euch rum nicht immer gut sind. Und verliert nicht Euren Humor, auch wenn im Leben nicht immer alles zum Lachen ist. Und achtet auf Eure Gesundheit. Das ist das Allerwichtigste.“
Und dann steht sie da, guckt mit ihren blauen Augen, die von allerhand Lachfältchen umgeben sind, fröhlich in die Runde, wir heben die Sektgläser, stoßen an und trinken auf unser aller Wohl. Anschließend sitzen wir in trauter Runde am gemütlichen runden Esstisch, den Janni wieder mit allerhand Leckereien bestückt hat. Sie muss den ganzen Vormittag in der Küche verbracht haben, aber das Kochen war schon immer ihre große Leidenschaft. Kleine Schnitzel, Kartoffelgratin, Salate und diverse Soßen sowie knusprig gebackenes Brot stehen zur Auswahl. Und Wein. Und dieses Getränk, unsere Gläser werden stets zügig aufgefüllt, sorgt schon bald dafür, dass unsere kleine Familie immer lauter wird. Alle reden durcheinander, jeder kramt seine schönsten und lustigsten Erinnerungen und Episoden der letzten Zeit aus dem Gedächtnis, und es wird viel gelacht. Ein positiver, richtig gut gelaunter Start ins neue Jahr. Die Einzige jedoch, die fehlt, ist meine Mutter, die aber nicht dabei sein kann, weil sie seit Jahren ihre Wohnung nicht mehr verlassen will. Gehbehinderung, kein Schritt ohne ihren Rollator, Wohnung in der 2. Etage und kein Aufzug. Nach dem Essen starte ich einen Neujahrsanruf bei ihr, damit auch die Enkel mal wieder einige Worte mit ihr wechseln können.
„Ich bin gut und zufrieden rein gekommen. Und ohne wehmütige Gedanken.“ teilt sie gut gelaunt mit. Von trüben Gedanken war sie im letzten Jahr stark befallen und hatte mir anschließend davon erzählt. Zweifellos hat sie den aktuellen Jahreswechsel besonders betont, weil sie weiß, dass ich oft über sie und ihr Wohlergehen nachdenke. Während des Gesprächs erwähne ich, dass in wenigen Tagen Marvins und Brittas Geburtstage, die vom Datum her nur fünf Wochen auseinander liegen, gefeiert werden, und frage meine Mutter, ob wir sie aus diesem Anlass nicht ausnahmsweise zu uns holen können. Aber wie fast schon erwartet, bekomme ich eine Abfuhr.
„Du weißt doch, dass ich das nicht will. Die ganzen Umstände.“ Sie wird richtig laut und klingt empört. „Ich fühl mich hier in meiner Wohnung sauwohl. Außerdem das Essen ...“
Ihre größte Sorge ist, dass sie, seit vielen Jahren ein Leichtgewicht, bei uns Mengen verzehren müsste, die wir bestimmen. Als ob wir vorhätten, sie zu mästen. Ich soll sie jedenfalls in Frieden lassen und nicht mehr fragen. Schnell wechsele ich das Thema, und ihr Aufatmen darüber entgeht mir nicht.
„Ich muss jetzt auch in die Küche.“ erklärt sie, und das ist wie stets der klare Hinweis darauf, dass sie genug mit mir telefoniert hat.
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