Stefan Eckhard
Zeichen und Geist
Eine semiotisch-exegetische Untersuchung zum Geistbegriff im Markusevangelium
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-7720-0083-6
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Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2017 vom Fachbereichsrat der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Habilitationsschrift angenommen. Für den Druck wurde sie an nur wenigen Stellen geringfügig verändert.
Herzlich bedanken möchte ich mich bei meinen drei Gutachtern, die die Entstehung der Arbeit über die Jahre hinweg fachkundig begleitet haben – bei dem Erstgutachter, Herrn Prof. Dr. Wilfried Eisele (Tübingen), dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Dr. habil. Klaus Müller (Münster), und bei Herrn Prof. Dr. Rainer Schwindt (Koblenz), der sich bereit erklärt hat, das Drittgutachten zu übernehmen.
Dem Herausgeberkreis der Reihe „Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie“ – namentlich Frau Prof. Dr. Eve-Marie Becker – danke ich für die Aufnahme meiner Habilitationsschrift in diese wissenschaftliche Reihe. Für die Publikation danke ich der Narr-Francke-Attempto-Verlagsgruppe und insbesondere Frau Dr. Valeska Lembke und Frau Vanessa Weihgold.
Tübingen, im April 2018 Stefan Eckhard
1. Zeichen und Erkenntnis
Der Name der Rose – Das ist der deutsche Titel eines der wohl berühmtesten Historienromane der jüngeren europäischen Gegenwartsliteratur. Verfasst von einem damals noch unbekannten Autor – dem Professor für Semiotik an der Universität Bologna, Umberto Eco (05.01.1932–19.02.2016), – und 1980 erstmalig im italienischen Original veröffentlicht ( Il nome della rosa ), zeichnet der Roman eine vielgestaltige und bildgewaltige Kulturgeschichte des Mittelalters. Sie ist ge kleidet – oder besser gesagt: ver kleidet – in die Rahmenhandlung einer Detektiv- und Kriminalgeschichte – einer Geschichte um die Aufklärung einer rätselhaften Mordserie in einem Benediktinerkloster im Apennin. Der Roman spielt während einer Woche des Jahres 1327; ein Pro- und ein Epilog des Erzählers ergänzen die Handlung.
Dass es aber in diesem Roman nur vorder gründig um die besagte Kriminalgeschichte geht, sondern es sich hinter- und unter gründig um ein kulturhistorisches Panorama der mittelalterlichen Welt handelt, erschließt sich erst bei aufmerksamer Lektüre. Die geschlossen wirkende Erzählstruktur, die bewusst entsprechend der biblischen Schöpfungserzählung (vgl. Gen 1,1–2,4a) den Zeitraum von sieben Tagen umfasst und zusätzlich durch den Tagesablauf der monastischen Tagzeitenliturgie bestimmt wird, löst sich unter der Hand nämlich in eine Vielzahl an Erzählfragmenten auf. Die Beschreibungen über die weltliche und geistliche Machtpolitik des Mittelalters, die Erläuterungen zu den Entwicklungen der Profan- und der Kirchengeschichte, die Betrachtungen der philosophischen und der theologischen Strömungen, die Schilderungen des Alltags der mittelalterlichen Welt und nicht zuletzt die Darstellungen des vielfach gebrochen wirkenden Denkens, Sprechens und Handelns der Romanfiguren fügen sich wie die Glassteinchen in einem Kaleidoskop zu einem bunt schillernden, aber zugleich durchaus verwirrenden Ganzen zusammen. Eco zitiert und paraphrasiert historische, philosophische, theologische und literarische Quellen, er erfindet und erweitert dabei Figuren, Motive, Themen und Stoffe, und er mischt fremde Gedanken unter eigene und eigene unter fremde. Der gesamte Roman ist also ein einziges großes Rätsel, das dem Leser vom Autor aufgegeben wird, so wie sich den beiden Protagonisten des Romans – den Benediktinermönchen Adson aus dem Stift Melk und William von Baskerville – die Suche nach dem Mörder ihrer Mitbrüder als Rätselspiel erweist. Der Roman war ein weltweiter Erfolg, er wurde in viele Sprachen übersetzt und ist in zahlreichen Auflagen erschienen. Er löste die bis heute anhaltende Welle der Historienromane aus und machte Eco mit einem Schlag berühmt. Zugleich markiert dieses Werk den Anfang von Ecos zweiter Karriere als Schriftsteller einer großen Reihe an ähnlichen historischen Romanen, die er in der Folgezeit publizierte.
Der Name der Rose ist ein buchstäblich „spektakulärer“ Roman. Man kann sich als Leser in ihm mit dem sprichwörtlichen „geistigen Auge“ „umblicken“ und vieles „sehen“. Wenn man sich – um in der Sprache der Kriminalistik zu bleiben – „auf die Spur“ nach den verschiedenen, im Buch verarbeiteten Quellen begibt, wird man so manches entdecken und erfahren können.1 Wer das tatsächlich tut, wird einiges finden, anderes zu seiner Überraschung aber auch nicht. Das sind dann die vom Autor selbst erdachten Quellen – also schlicht Fälschungen. Dazu zählt ausgerechnet das für die Handlung entscheidendste Dokument – nämlich die angebliche zweite poetologische Schrift des Aristoteles über die Komödie und damit über das Lachen.2 Doch auch diese Fälschungen machen nichts, denn schließlich handelt es sich trotz des vorgespiegelten Scheins an Authentizität immer noch um eine fiktive Welt, und der Leser, der sich auf Ecos spielerisch-rätselhafte Erzählweise bewusst einlässt, wird sich daran auch nicht groß stören. Der Reiz des Romans liegt ja gerade in diesem Spiel wechselseitiger sprachlicher Verweisungen und rätselhafter inhaltlicher Verwicklungen. Aber nicht nur ein mit der mittelalterlichen Kultur vertrauter Leser fühlt sich durch diesen Roman angesprochen, auch ein weniger kenntnisreicher, aber dafür umso neugierigerer Leser findet Gefallen an dem Stoff. Selbst wenn man die text externen Verweise nicht nachvollziehen kann, bereitet es doch schon große Freude, die text internen Bezüge zu verfolgen. Ecos Montage- oder Collagetechnik verwebt nämlich die Erzählelemente in ein Netz von Bedeutungsbeziehungen, die sich wechselseitig konstituieren und gegenseitig interpretieren. Diese komplexe Inter textualität3 – die text externen Bezüge – und die dazugehörige Intra textualität – die text internen Bezüge – bilden das wesentliche Strukturprinzip des Romans. Es findet sein erzählerisches Abbild in der als Labyrinth aufgebauten Klosterbibliothek mit ihren zahlreichen Kammern, Räumen, Gängen und Treppen.
Ist die Form des Romans schon ein Rätsel, so ist es der Inhalt noch viel mehr. Das zeigt sich erstmalig beim Romantitel Der Name der Rose und schließlich beim letzten Satz des Romans, der aus zwei Sätzen besteht und lateinisch verfasst ist: „Stat rosa pristina nomine, nomine nuda tenemus.“ 4 Der Titel bildet sozusagen den ersten Satz des Romans und stellt die Rätselfrage, während der Abschlusssatz die Lösung gibt – auch wenn er in der damaligen Wissenschaftssprache Latein steht, die für viele Leser wiederum geheimnisvoll wirkt. In beiden Sätzen ist von einer „Rose“ die Rede. Diese „Rose“ sucht der Leser im gesamten Roman aber vergebens. Was soll das Ganze also? Welche „Rose“ ist gemeint, und was hat es mit dem Begriff „Name“ auf sich? Genau wie die Hintergründe der Mordfälle erst gegen Ende des Romans – im vorletzten und im letzten Kapitel – aufgedeckt werden, so muss sich auch der Leser in großer Geduld üben, wenn er das Rätsel um den „Namen“ der „Rose“ gelüftet haben will.
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