Am Schluss besuchen Hannes und ich noch ein Café, trinken etwas und denken darüber nach, dass wir sonst um diese Uhrzeit daheim noch beim Frühstück sitzen, dagegen jetzt schon eine Fülle von Eindrücken gewonnen haben. Mir ist jedenfalls klar, dass ich von diesem kleinen Ausflug wieder eine Zeitlang zehren kann; solche Aktionen wirken auf mich stets äußerst belebend.
Ein paar Tage später sitzen Hannes und ich im Gartenlokal an der Ecke; wir wollten einfach mal raus aus der Bude. Irgendwann kommt das Gespräch auf das Segeln, eigentlich kein Thema für uns. Trotzdem versuchen Hannes und ich uns in Leute herein zu denken, deren Traum eine Weltumsegelung ist.
„Finde ich toll, wenn Leute noch Träume haben. Ich habe eigentlich keine mehr.“ erwähne ich eher beiläufig.
Keine Reaktion. Mein Satz hängt mir noch lange im Ohr. Wieso habe ich keine Träume mehr? Und wieso findet mein eigener Mann das nicht seltsam oder zumindest bedauernswert?
Soeben haben wir noch jeder ein frisches Kölsch bekommen, da setzt unvermittelt ein mittlerer Wolkenbruch ein. Wir bleiben dennoch draußen sitzen, warm genug ist es ja, und der große Sonnenschirm schützt uns größtenteils vor dem Regen. Ab und zu weht der Wind zwar ein paar Tropfen zu uns hin, was aber nicht viel ausmacht. Was mir aber vorher, als wir uns beim noch sonnigen und hellen Licht gegenüber saßen, was ausgemacht hat, war eine überraschende Erkenntnis. Gucke ich Hannes sonst nicht so intensiv an oder wieso bemerke ich heute in aller Deutlichkeit: Mein Mann ist alt geworden. Die teilweise grauen, etwas zu langen Haare, und auch der Bart mit seinen diversen Grauschattierungen. Die faltenreiche Haut und die heute etwas müden Augen. Ich bin erschüttert.
Aber möglicherweise wäre ich erst recht erschüttert, wenn Hannes mir ähnliche Betrachtungen aus umgekehrter Sicht schildern würde. Auch ich sitze im gnadenlos hellen Licht, auch ich werde immer grauer. Zwar habe ich noch nicht so viele Falten, das haben die nicht ganz Schlanken sowieso eher selten, aber besonders frisch sehe ich auch nicht mehr aus. Bestimmt gut, dass ich das Thema nicht anspreche, wer weiß, was ich sonst zu hören bekäme. Wir bestellen uns jeder noch ein Bier und hängen weiter unseren Gedanken nach.
Unsere Kinder sind auf der Reise nach Wacken, zum Heavy-Metal-Festival, und ich bin ein bisschen nervös. Ob wohl alles klappen wird mit dem Volvo, dem für Britta ungewohnten Auto? Sie hat den Wagen lediglich einen Tag lang probegefahren, um ein Gefühl für das Fahrzeug zu bekommen. Ihre sonstigen Wegstrecken bewältigt sie mit dem Fiesta. Nach sechs Stunden Fahrtzeit müssten sie längst in Norddeutschland angekommen sein, doch es erfolgt keine Nachricht; mit einer kurzen SMS wäre ich schon zufrieden.
Jetzt kann ich erahnen, wie unruhig vermutlich unsere eigenen Eltern waren, als Hannes und ich uns vor Jahrzehnten auf große Fahrt gemacht hatten. 1972 ging es im alten VW-Käfer nach England, von Calais per Fähre nach Dover. Die anschließende Fahrt entlang der Küste Südenglands dauerte länger als erwartet, und erst als wir zwei oder drei Tage später unser Reiseziel in Cornwall erreicht hatten, riefen wir zuhause an. Beide Eltern wirkten recht aufgeregt. Damals konnten wir kaum glauben, dass sie sich Sorgen gemacht hatten. Uns ging es doch gut. Jetzt begreifen wir es schon.
An einem warmen Freitag Anfang August treffen meine Freundin Anita und ich uns im Eiscafé. Nachdem unsere Eisbecher leer gelöffelt sind, unterhält sie sich ein paar Minuten mit jemandem am Tresen. Ich sitze derweil allein am Tisch und höre der Musik zu. Oh, da läuft gerade „You really got me“ von den Kinks, das höre ich gern. Schnell bin ich dabei, den Takt zu schlagen, ich bearbeite ein imaginäres Schlagzeug. Aber rechtzeitig fällt mir ein, dass man das wohl nicht macht in meinem Alter. Wenn das alle machen würden ...
Ja, wenn das alle machen würden, wäre die Welt vielleicht insgesamt ein kleines bisschen lustiger. Dann wäre der Anblick eines nicht mehr jungen taktschlagenden Menschen völlig normal, weil es ein häufiger Anblick wäre. Aber so käme, falls mir jemand beim Trommeln zuschauen sollte, wohl nur der Gedanke: Die Alte spinnt. Und schnell sitze ich wieder friedlich und still auf meinem Stuhl und warte darauf, dass Anita zurückkommt.
Meine Freundin Ines und ich treffen uns in der Innenstadt. Wir stöbern zunächst in den Läden auf Schildergasse und Hohe Straße herum und gehen dann bei Campi am Wallrafplatz etwas essen. Während wir da sitzen, wird es immer dunkler, bis schließlich ein starker Platzregen niedergeht. Doch wir sitzen gut unter einem der Riesensonnenschirme und können, während wir unsere Baguettes essen, den Leuten zusehen, wie sie versuchen, schnell vor dem Regen davon zu laufen. Es nützt aber nichts, die meisten werden nass, was wir nicht ohne gewisse Schadenfreude feststellen.
Ines hatte vorübergehend aushilfsweise in der Firma ihres Mannes gearbeitet, doch das ist nun vorbei. Jetzt plant sie wieder ihre Freizeit, mit Tennisspielen und sonstigen Aktivitäten, und ich ertappe mich beim zweifelhaften Gefühl von Neid. Nicht aufs Tennisspielen, das kann ich sowieso nicht, aber auf die viele freie Zeit. Überhaupt hat Ines so viel Tolles zu berichten, denn in ihrer Familie läuft es gut. Alle sind gesund und fit, freuen sich auf den bevorstehenden Urlaub, und bei den studierenden Söhnen ist auch alles im Lot.
Ines ist eine Freundin, die gut zuhören kann, für alles Verständnis zeigt und so manchen Rat geben kann. Sie wäre diejenige, der ich mal was von der ständigen Müdigkeit und sonstigen Schwierigkeiten oder Ärgernissen in meinem Leben erzählen könnte. Aber wie sollte das gehen? Meine privaten Misslichkeiten passen doch gar nicht zu ihren positiven Nachrichten. Wie käme ich mir vor, wenn ich jetzt zugeben würde, dass bei uns nicht alles gut läuft. Also behaupte ich, dass auch bei uns alles in Ordnung ist.
Aber das ist es ja bei weitem nicht. Mit meiner Unzufriedenheit über den ganzen Alltagskram weiß ich manchmal nicht, wohin. Augenblicklich missfällt mir daheim so vieles, obwohl Hannes diverse Hausarbeiten übernimmt. Wenn ich zuhause ankomme, vom Büro oder von meiner Mutter, geht für eine Weile gar nichts mehr. Erstmal hinlegen, etwas lesen, manchmal sogar kurz einschlafen, und anschließend mit Mühe wieder aufrappeln, um noch etwas im Haushalt zu erledigen. Mir fehlt schlicht die Energie. Die ganze Situation macht mich täglich unglücklicher, und ich weiß nicht, wie ich daran etwas ändern kann.
Zwei Wochen später. Meine Unzufriedenheit der letzten Zeit hat endlich was bewegt. Mit der Folge, dass ich nicht nur Hannes, sondern auch mich selbst überrumpelt habe. Nur kurz hatte ich Anfang der Woche erwähnt, dass es dringend nötig sei, endlich mal wieder im Wohnzimmer die Wände zu streichen.
„Ja, das stimmt aber auch.“ antwortete Hannes.
„Am Wochenende?“ fragte ich ganz nebenbei.
„Ja, warum nicht. Könnten wir machen.“
Für ihn war damit das Thema erledigt und er wandte sich anderen Dingen zu. Ich nicht. Ich plante. Drei Tage lang redete ich mir selbst Mut zu, denn es musste ja sein. In diesem Zustand, acht Jahre war nicht gestrichen worden, konnte der Raum unmöglich bleiben. Dann verließ Hannes für einige Stunden das Haus, und meine Stunde war gekommen.
Ich begann unmittelbar, nachdem die Haustür ins Schloss gefallen war, mit dem Ausräumen des Zimmers. Ein bisschen planlos erst, denn ich hatte mir vorher nicht viele Gedanken über den genauen Ablauf gemacht, aber schnell nahm es Formen an. Die Aktion war jedoch zeitraubender und anstrengender als ich erwartet habe; Kartons für den vielen Kleinkram hatte ich auch noch keine, die würde mir der zweifellos überraschte Hannes geben können, wenn er wieder daheim wäre. Anschließend nahm ich die Bilder von den Wänden. Unter allen Umständen wollte ich erreichen, dass schon so viel Zeug weg- und abgeräumt war, dass ein Zurückräumen schlicht blödsinnig sein würde. Mir war nämlich schon klar, dass sich die Begeisterung meines Ehegatten für die ganze Aktion sehr in Grenzen halten würde.
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