Copyright: © Karin Firlus / Dezember 2018
Verlag: epubli GmbH, Berlin / www.epubli.de
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Karin Firlus
SMARTPHONE, SORGEN und SALBEI
Kapitel
1) Der Schock
2) Schwerer Gang
3) Bestandsaufnahme
4) Beautyprogramm
5) Ein bisschen von allem
6) Advent, Advent, es brennt, es brennt!
7) Es fühlt sich so gar nicht wie Urlaub an!
8) Bin ich wirklich so blöd?
9) Neues Jahr, neue Strategie
10) Krankheit ist auch ein Weg –
11) – aber ein sehr beschwerlicher
12) Liebe – das ist was für die anderen
13) Bleibt mir bloß alle vom Leib!
14) Auf dem Weg nach unten
15) Ein erster Hoffnungsschimmer
16) Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer
17) Sich erholen – wie ging das nochmal?
18) Der Knoten platzt
19) Mutter und Tochter
20) Alles hat seine Zeit …
21) Neue Chancen
22) Und mit einem Mal ist die Welt bunt!
23) Kräuter, ein bisschen Mut und Chuzpe – was braucht es mehr?
24) Vielleicht einen Mann?
Anmerkung der Autorin
Leseprobe
Weitere Romane von Karin Firlus
Mitte Oktober
Mir war nicht klar, dass Älterwerden bereits diesseits der sechzig anfängt. Natürlich geschieht das nicht mit einem Paukenschlag. Ich wachte nicht eines Morgens mit schmerzenden Gelenken auf und dachte: Jetzt werde ich alt. Es sind vielmehr die subtilen Details, die sich fast unbemerkt einschleichen und in meinem Leben festsetzen wie die Kalkablagerungen in meinen Venen.
Ich sitze in einem Café und warte auf mein bestelltes Frühstück. Es ist ein gewöhnlicher Arbeitstag im Oktober, ich habe meinen jährlichen Routinetermin beim Zahnarzt hinter mich gebracht und nun das Gefühl, mich für diese Heldentat belohnen zu dürfen. In einem Anfall von leichtsinniger Erleichterung habe ich beschlossen, nicht gleich ins Büro zu hetzen und den täglichen Wettlauf mit der nicht enden wollenden Arbeit aufzunehmen, sondern in einem Café gemütlich zu frühstücken. Schließlich habe ich mir vorsichtshalber bis elf Uhr freigenommen und jetzt ist es erst kurz vor neun. Noch während ich forsch meine Schritte in Richtung Café lenkte, debattierten mein Kopf und mein Bauch miteinander.
Mein Kopf sagte: „Du weißt doch genau, wie viele unerwünschte Kalorien du dir damit einverleibst! Ein Spaziergang an der frischen Luft täte dir jetzt besser.“ Mein Bauch sagte: „Tu’s einfach und genieß‘ es!“
Ich ignorierte die Stimmen und setzte mich an den letzten freien Fensterplatz, so als sei dies selbstverständlich, mitten unter der Woche einfach frühstücken zu gehen. Aber schließlich war gestern mein Geburtstag, ein halbrunder sozusagen, und ich habe nichts besonders Schönes oder Außergewöhnliches unternommen. Das hole ich jetzt nach.
Ich sehe mich in dem Raum um und stelle fest, dass ich mitnichten die Einzige bin, die an diesem Vormittag im Café sitzt, um sich eine Auszeit zu gönnen. Ich scanne die Männer und Frauen an den anderen Tischen und stelle fest, dass sie sehr zufrieden dort sitzen und mir den Eindruck vermitteln, als täten sie das öfter oder zumindest, als müsse man kein schlechtes Gewissen haben, wenn man mitten am Morgen da sitzt und nichts arbeitet. Oder haben die alle Urlaub?
Ich entspanne mich nur zögerlich; irgendwie habe ich doch ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht sofort ins Büro geeilt bin. Aber da kommen mein Croissant, ein doppelter Espresso und ein stilles Wasser. Ich rühre einen Kaffeelöffel voll Zucker in mein schwarzes Heißgetränk, trinke einen Schluck Wasser und beiße genüsslich in das noch warme, knusprige Blätterteigteilchen. Ah – lecker!
Während meine Geschmacksnerven mit Glücksbotschaften um sich werfen, hat mein Kopf Denkpause. Aber sobald Teller und Tasse leer sind, wartet noch immer das fast volle Glas mit dem zu kalten Wasser darauf, geleert zu werden. Schnell hinuntertrinken kann ich es nicht, das tut im Magen weh. Und plötzlich fällt mir ein, dass meine Mutter seit Jahren über das eiskalte Wasser klagt, das man in Restaurants serviert bekommt. ‚Oh nein‘, denke ich, ‚jetzt werde ich schon wie sie‘!
Ich habe vergessen, die Tageszeitung einzustecken. So sitze ich vor meinem zu kalten Wasser und kann nichts lesen. Rauchen darf man ja heutzutage auch nicht mehr in geschlossenen Räumen, das hätte zumindest meine Finger und meine Lunge beschäftigt. In Ermangelung einer sinnvollen Tätigkeit und innerlich nun doch ziemlich gehetzt, lasse ich meinen Blick also wieder durch den Raum schweifen.
Die ältere Dame mit den rosa lackierten Fingernägeln am Nachbartisch ist voll und ganz darauf konzentriert, ihr Stück Schwarzwälder so in ihren Mund zu verfrachten, dass möglichst wenig Sahne auf ihrem Teller verbleibt.
Das Paar am Tisch daneben schiebt diverse Teller mit Rührei, Wurst-und Käsevariation mit halber Kirschtomate und einer dünnen Scheibe Salatgurke so auf dem kleinen runden Tisch umher, dass weder Salz-und Pfefferstreuer noch Brotkorb herunterfallen sollen. Schließlich stellt sie die übergroße Speisekarte und er das Teelicht in dem Keramikhalter mit bunten Dekosteinchen auf den leeren Nachbartisch.
Die vier Alten am Tisch vor meinem sitzen stumm mit versteinerten
Gesichtern vor sich hin und stieren immer wieder zum Fenster hinaus. Sie wirken, als seien sie aus dem Altersheim ausgebüchst und warteten darauf, früher oder später wieder eingesammelt zu werden.
Im hinteren Bereich entdecke ich einige jüngere Leute, die einzeln an ihrem jeweiligen Tisch sitzen. Mir fällt auf, dass einer von ihnen ein Handy ans Ohr hält und seine Lippen sich zwischendurch bewegen. Die anderen blicken konzentriert auf ihren Tisch vor sich. Dort liegt ein kleines Teil und als Mensch des 21. Jahrhunderts erkenne ich mühelos, dass die eine oder andere Hand, die von oben nach unten oder von rechts nach links über das Teil fährt, es nicht etwa von Staub befreien oder streicheln will. Nein! Dort wird gearbeitet oder zumindest der Anschein von sinnvoller Beschäftigung kolportiert.
Die kleinen Teile sind nämlich schlaue Sprechapparate, die neudeutsch Smartphones heißen. Sie sind internetfähig, damit der jeweilige User – zu Deutsch derjenige, der sich das elektronische Teil für nicht wenig Geld in sein Must-Have-Eigentum einverleibt hat – sekündlich mit dem gesamten Rest der Welt in Verbindung steht, sofern er dies will. Und er oder sie will! Das ist das für mich Erstaunliche.
Ich denke daran zurück, als die einfachen Vorläufer, schlichte Handys, den ersten Telefonierboom auf Deutschlands Straßen auslösten. Das ist noch gar nicht so lange her. Ich war damals erstaunt, wie viele Arbeitnehmer tagsüber mit diesen Wundertelefonen unterwegs statt an ihrem Arbeitsplatz waren.
Bis ich im Supermarkt in der Schlange an der Kasse stand und aus meiner Wartebrüterei von einem hellen, perlenden Signalton aufgeschreckt wurde: Die lippengepiercte junge Frau vor mir zog mit einer geschmeidigen Geste, die ich früher nur von John Wayne beim Revolverziehen kannte, ihr Handy aus der Jeanstasche und bellte: „Ja?“ Es klang durchaus professionell und ich hoffte, dass sie in ihrer vermeintlichen Frühstückspause keine Firmengeheimnisse ausplaudern würde, da ja jeder Umstehende das Gespräch würde mitanhören können bzw. müssen.
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