„Tja”, fuhr der andere fort, „Ihr zukünftiger Verein dürfte nicht erfreut sein zu erfahren, dass Sie mit einer solchen finanziellen Bürde behaftet sind. Vom Suchtaspekt ganz zu schweigen.”
Ein weiterer mitleidiger Blick: „Ich habe gehört, der Nationaltrainer hätte Ihnen schon ein Ultimatum gestellt. Ihre Nebenbeschäftigung ist wohl nicht ganz ohne Folgen geblieben. Sie scheinen in Ihrer Leistung bereits nachzulassen. Gegen Irland haben Sie nicht gerade berauschend gespielt.”
McIntyre senkte beschämt den Kopf. Das letzte Spiel hatten sie zwar nicht durch seine Schuld verloren. Was auch der Schleimige glauben mochte, im Spiel hatte er, Robbie, seine Leistung gebracht. Aber der Trainer hatte ihm aufgrund seiner Müdigkeit in den Trainings ins Gewissen geredet. Er hatte in den letzten Tagen einfach zu wenig Schlaf gekriegt, was aber nur teilweise auf sein nächtliches Pokerspiel zurückzuführen war. Einen Grossteil seiner Zeit hatte er im Netz mit Recherchen zu seiner jetzigen Lage verbracht. Leider ohne Erfolg. ,Die Schneckeʼ tauchte auf keinen der einschlägigen Seiten auf. Da er den Namen des Mannes nicht kannte und auch sonst nichts von ihm wusste, war er nicht sehr weit gekommen. Schliesslich hatte er entmutigt aufgegeben und beschlossen, den Mann persönlich zu treffen, um zu erfahren, was dieser wirklich gegen ihn in der Hand hatte.
,Die Schneckeʼ nickte wie zur Bestätigung. „Sie sollten mein Angebot nicht so kategorisch abschmettern. Das ist zwar eine noble, aber unter uns Geschäftspartnern doch wohl unnötige Geste. Eine kleine Dienstleistung ist alles, was von Ihnen verlangt wird. Nichts weiter. Im Gegenzug werden Ihnen einhunderttausend Pfund zukommen, die die ungeduldigsten Ihrer Gläubiger für eine Weile beschwichtigen dürften. Und die Öffentlichkeit und Ihre Mannschaftskollegen erfahren nichts von Ihrem heimlichen Hobby. Andernfalls könnte ich mir vorstellen, dass die Schlagzeilen nicht so positiv für Sie ausfallen wie nach dem Spiel gegen Italien.” Der Blick ging zur Decke. „Held des Spiels! Die grösste Hoffnung im internationalen Rugby! Ein Weltklasse-Verbindungshalb!” Die Ironie troff von den Lippen, und McIntyre wurde rot.
Er versuchte trotzdem einen Widerspruch: „Eine Wanze in unserer Kabine zu installieren! Was haben Sie davon? Geht es Ihnen um die Weltmeisterschaft? Da würde Ihnen doch eine Wanze nichts nützen. Wir Schotten haben, wenn man es realistisch betrachtet, keine Chance auf den Titel. Weshalb erpressen Sie mich also zu einer …”, er suchte krampfhaft nach Worten, um die fürchterliche Situation zu beschreiben, „zu einer solch abscheulichen Spioniererei? Warum suchen Sie sich nicht ein anderes Opfer? Zum Beispiel einen Spieler bei den Engländern oder den Walisern, oder sogar bei den ,All Blacksʼ? Das sind doch die grossen Fische im Becken.”
Der Mann zuckte leicht mit den Schultern. „Vielleicht tun wir das ein nächstes Mal. Das muss für Sie nicht von Belang sein. Gehe ich also recht, dass Sie meinem Vorschlag zustimmen?”
McIntyre liess die Schultern hängen. Wie oft hatte er sich in den letzten Tagen schon verflucht dafür, dass er dem Verlangen nach dem nächsten Online-Kick nicht hatte widerstehen können. Als er begonnen hatte, auf dieser Plattform Poker zu spielen, hatte er zuerst nur kleine Einsätze gewagt. Ein harmloser Zeitvertreib, der niemandem wehtat und ihn von seinen Alltagssorgen und dem grossen Druck, ständig seine Leistung zu bringen, ablenkte. Ein kleines Spielchen mit Gleichgesinnten, die ihn ohne Vorbehalt in ihren Kreis aufnahmen. So war aus dem einen kleinen Einsatz immer noch einer und noch ein weiterer geworden. Er hatte zwar jedes Mal vorgehabt, nur kurz ins Internet zu blicken, höchstens zehn Minuten, nur mal mitzuspielen, nur eine winzige Runde. Aus der winzigen Runde waren regelmässig weitere winzige Runden geworden. Am Morgen waren seine Augen von der Schlaflosigkeit rotgerändert, und er brauchte starken Kaffee und eine kalte Dusche, um es überhaupt ins Training zu schaffen. Robert McIntyre war nicht dumm. Er wusste, dass einen die Spielsucht über kurz oder lang in den finanziellen und persönlichen Ruin treiben konnte, und er erkannte die Anzeichen bei sich. Wenn er nicht aufpasste, würde er immer mehr in die Fänge des Spiels geraten. Aber obwohl er sich selber ganz rational analysieren konnte, erlag er doch immer wieder der Anziehungskraft des Pokerspiels. Es war, als ob eine höhere Macht von ihm Besitz ergriffe, sobald er den ersten Klick tat. Danach hatte er nur noch diesen Tunnelblick, alles andere, sogar die Mannschaft und seine Kollegen, verschwand völlig aus seinem Bewusstsein, bis er plötzlich wie aus einem langen Albtraum erwachte und sich verwirrt eingestehen musste, schon wieder Unsummen verloren zu haben. Und trotzdem gab es da stets noch die Hoffnung, beim nächsten Mal den Verlust auf einen Schlag wettzumachen. Schliesslich musste ihm irgendwann das Glück hold sein. Er hatte es doch auch entgegen jeglicher Wahrscheinlichkeit von Skye nach Glasgow und in die Nationalmannschaft geschafft.
Die Anfrage des Klubs in Mailand war eine grosse Versuchung für ihn. Nicht, weil er sich damit einer neuen sportlichen Herausforderung stellte, sondern aufgrund des finanziellen Angebots. Es würde für ihn die Rettung aus all seinen Schwierigkeiten bedeuten. Die Summe übertraf alles bisher Dagewesene im Rugbysport, obwohl er sich noch nicht zu den ganz berühmten Spielern zählen durfte. Es gab natürlich auch nicht die mehrstelligen Millionenbeträge wie im Fussball. Aber der Klub in Italien, der ihn angefragt hatte, hatte eine Offensive zur Stärkung des Rugbysports im Land gestartet. Als aufstrebender junger Star war er als geeignet befunden worden, junge Nachwuchsleute für den Sport zu werben und zu motivieren. Daneben hatte McIntyre für sich selbst noch einen Grund für den Wechsel nach Italien gefunden: War er erst einmal in Italien, könnte er sicher mit dem Online-Spiel aufhören und beginnen, seine Schulden abzubauen. Und er hätte die Chance, seinen Gläubigern in Schottland zu entkommen, die ihr Opfer wohl nicht über den Kanal hinweg auf den Kontinent verfolgen würden. Oder waren diese Leute möglicherweise international tätig? Er hatte keine Ahnung. Die Plattform hatte einen durchaus britischen Eindruck gemacht.
Nachdenklich blickte er auf den Tisch. Der Handel mit dem Klub in Italien war zwar auf guten Wegen, aber noch nicht abgeschlossen. Einen Skandal konnte er sich jetzt nicht leisten. Wer weiss, ob die andere Seite dann nicht einen Rückzieher machte? Dies galt es unbedingt zu verhindern. Er schluckte. Wenn man es unvoreingenommen anschaute, bot ihm ,die Schneckeʼ einen einfachen Ausweg aus seinem Dilemma. Mit dem kleinen Gefallen, den er dem Schleimer tun müsste, gewann er Zeit. Und was wäre schon dabei? Er hatte nicht gelogen - Schottland hatte keine Chance auf den Weltmeistertitel. Was konnte es da schaden, wenn der Mann und seine Hintermänner Zugang zu ein paar internen Informationen über Taktik und Mannschaftsaufstellung erhielten? Das Konzept des Trainers war sowieso kein grosses Geheimnis. Es wäre auch nicht so, dass er den Spielausgang kompromittieren würde. Und falls diese Verbrecher darauf spekulierten, vielleicht irgendwelche obskuren Wetten zu manipulieren, würden sie rasch merken, dass ihnen die erschlichenen Informationen nichts nützten. Wie auch in anderen Mannschaftssportarten hatten die Matchs jeweils ihr eigenes Momentum, und die Form der Spieler auf dem Papier sagte überhaupt nichts über den möglichen Spielverlauf aus. Sogar wenn es zum Schlimmsten käme, tröstete er sich, und tatsächlich Wetten in irgendeiner mysteriösen Weise beeinflusst werden könnten, rechneten schliesslich Leute, die sich auf solche Spielchen einliessen, von vornherein mit einem gewissen Verlust. Sein Anteil an der Schuld wäre, so gesehen, sehr gering. Eigentlich vernachlässigbar. Und das Team würde nie etwas davon erfahren. Er könnte sein Gesicht wahren. Schliesslich hatte Rugby einen sehr sauberen Ruf, und er hatte sich tatsächlich bisher nichts zuschulden kommen lassen.
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