Katharina Gato - Bittere Erdbeeren

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Die kleine charmante Katharina wächst in der Großstadt Hamburg im typischen Wandsbeker Milieu der sechziger Jahre auf. Geprägt von Misshandlungen und Vernachlässigung durchlebt sie offenen Herzens und mit Resilienz ihre Kindheit und Jugend. Warum sie ein weißes Krankenhausbett mehr liebte als ihr Zuhause und trotzdem daran festhielt, wird eindrücklich in diesem autobiografischen Roman geschildert. Ein langsamer und stiller Weg zu einer «Systemsprengerin mit Prinzipien».

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Katharina Gato

Bittere Erdbeeren

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Inhaltsverzeichnis

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PROLOG PROLOG Mit tränenverhangenen Augen schaut Katharina in dem voll besetzten Kino auf die Leinwand. Gedanken stürmen auf sie ein. Gibt es hier Menschen, die so etwas auch erlebt haben? Der Film „Systemsprenger“ ist emotional kaum auszuhalten. Katharinas Atem stockt. Schluss. Im Raum herrscht für einen Moment absolute Stille. Dann folgt hier ein Aufschluchzen, da ein Schnäuzen, dort ein Räuspern. Langsam geht das Licht an. Der Psychologe und Kinder-/Jugendpsychiater vom Balintinstitut Hamburg steht auf. Sichtlich betroffen steht er da, um sich den Fragen zu stellen. Diese kommen nur zögerlich. Katharinas Mund ist trocken. Ihr brennen so viele Fragen in der Seele, auf der Haut, in der Brust. Aber nur eine Frage, die noch nicht gestellt wurde, drängt sich vor alle anderen. Sie braucht darauf eine Antwort. Einen Trost. Ihre Hand hebt sich und sie stellt nur diese eine Frage in die Stille hinein: „Gibt es eine Statistik, wie viele dieser Systemsprenger es in die Gesellschaft zurückgeschafft haben?“ Die Antwort ist eindeutig – sie lautet: „Leider nein.“ In Katharina schreit es auf: „Doch, hier, hier bin ich! Ich lebe noch. Ich habe überlebt. Psychisch und körperlich. Habe 60 Jahre Leben geschafft!“ Sie möchte helfen, aufzeigen wie ein Mensch, ein Kind oder Jugendlicher psychisch überleben kann. Was wichtig ist in so einer Kindheit. In einer Jugend ohne Halt und Vertrauen. Zwischen Sehnsucht und Zerstörung. Der Nachhauseweg wird lang. Jeder Schritt ist schwer. Und dann trifft Katharina die Entscheidung. „Ich werde meine Geschichte aufschreiben. Ehrlich und schonungslos.“

HUNGRIG 1966

DIE VERSCHICKUNG 1963

DIE MUTTER

DER VATER

DIE LÜGE

AUẞENWELT

PURE FREUDE

TROTZ UND MISSTRAUEN 1967

FÜNFZIG PFENNIG

MICHAEL 1969

SCHEIDUNG 1970

DÄNEMARK

MINKA

DER SCHULAUSFLUG

DIE SCHULE BRENNT

FRAU SCHNEIDER

VATERSUCHE

ÜNAL

EDDY DER UNTERMIETER

ABSCHIED

NEUES ZUHAUSE

BEN UND JESS

JESS

SKIURLAUB MIT FOLGEN

ANGENOMMEN

WOHIN?

HEIMATLOS IM HEIM

AUẞERHALB DER SPUR

KIEZ

DIE ERSTE ECHTE LIEBE

ANGIE

UNGEWÖHNLICHE LÖSUNGEN

ANHANG

HILFSORGANISATIONEN

DANKE

Impressum neobooks

PROLOG

Mit tränenverhangenen Augen schaut Katharina in dem voll besetzten Kino auf die Leinwand. Gedanken stürmen auf sie ein. Gibt es hier Menschen, die so etwas auch erlebt haben? Der Film „Systemsprenger“ ist emotional kaum auszuhalten. Katharinas Atem stockt. Schluss. Im Raum herrscht für einen Moment absolute Stille. Dann folgt hier ein Aufschluchzen, da ein Schnäuzen, dort ein Räuspern. Langsam geht das Licht an. Der Psychologe und Kinder-/Jugendpsychiater vom Balintinstitut Hamburg steht auf. Sichtlich betroffen steht er da, um sich den Fragen zu stellen. Diese kommen nur zögerlich.

Katharinas Mund ist trocken. Ihr brennen so viele Fragen in der Seele, auf der Haut, in der Brust. Aber nur eine Frage, die noch nicht gestellt wurde, drängt sich vor alle anderen. Sie braucht darauf eine Antwort. Einen Trost. Ihre Hand hebt sich und sie stellt nur diese eine Frage in die Stille hinein: „Gibt es eine Statistik, wie viele dieser Systemsprenger es in die Gesellschaft zurückgeschafft haben?“

Die Antwort ist eindeutig – sie lautet: „Leider nein.“

In Katharina schreit es auf: „Doch, hier, hier bin ich! Ich lebe noch. Ich habe überlebt. Psychisch und körperlich. Habe 60 Jahre Leben geschafft!“

Sie möchte helfen, aufzeigen wie ein Mensch, ein Kind oder Jugendlicher psychisch überleben kann. Was wichtig ist in so einer Kindheit. In einer Jugend ohne Halt und Vertrauen. Zwischen Sehnsucht und Zerstörung.

Der Nachhauseweg wird lang. Jeder Schritt ist schwer.

Und dann trifft Katharina die Entscheidung.

„Ich werde meine Geschichte aufschreiben.

Ehrlich und schonungslos.“

HUNGRIG 1966

„Mama, Mama!“, aufgeregt klingelte Katharina Sturm, „ich habe dir Erdbeeren mitgebracht, die magst du doch so gern!“

Die Mutter war sichtlich gerührt. Sie wusste, dass ihre Tochter alles, auch ihr letztes Hemd für sie geben würde.

Katharina strahlte. Das Leuchten ihrer blauen Augen, das Lächeln und dieses unbändige Glück, wenn sie Freude bereiten konnte, rührte die Mutter immer wieder sehr. Mit ihren fünf Jahren verstand Katharina es, mit viel Charme und Liebe im Herzen, Menschen zu erfreuen. Sie spielte selten mit anderen Kindern oder mit Puppen. Sie war anders.

Katharina bot zum Beispiel alten Damen an, deren Tasche nach Hause tragen zu dürfen. Das Schönste, was dann meist folgte, war, dort im Wohnzimmer noch sitzen zu dürfen, einen Keks oder Kakao zu bekommen und die Stille zu genießen. Die ruhige Atmosphäre, die Vornehmheit und Freundlichkeit dieser älteren Nachbarinnen waren Balsam für ihre kleine, zarte Seele.

Inzwischen hatte sie drei dieser Damen für sich gewonnen: Frau Star, Frau Voigt und Frau Schlichting. Sie baten Kathi, wie sie von einigen liebevoll genannt wurde, sehr gern hinein. Wie oft hatte sich Kathi schon mit etwas schlechtem Gewissen, aber von Herzen gewünscht, eine Mama zu haben, die ähnlich war. So still und ruhig und freundlich. Nicht wie ihre Mutter tatsächlich meistens war: Laut keifend, strafend, überfordert, ungerecht und unberechenbar.

Doch mit diesem Schälchen Erdbeeren von Frau Voigt konnte sie die Mama für einen Moment freundlich stimmen. So freundlich, dass Mama sie auch Kathi nannte und auf den Schoß nahm. Dieses Gefühl, dass sie es aus Dankbarkeit und Liebe tat, spürte Kathi sehr genau und genoss den Moment.

Frau Voigt wusste nicht, dass Kathi Süßes über alles liebte und oft hungrig war. Kathi und ihre Schwester wurden so erzogen, dass sie bei Besuchen trotz reichlichen Angebotes nur ein Stück Kuchen, nur einen Bonbon oder ein Stück Zucker nehmen durften. Egal wie hungrig sie waren oder wie viel auf dem Tisch stand.

Das war für die Kinder jedes Mal aufs Neue eine große Herausforderung. Wenn sie dieses leere Bauchgefühl nicht mehr aushielt, ging Kathi mit ihrer drei Jahre älteren Schwester Britta in Drogerien, um nach sogenannten „Proben“ zu betteln. Es war Glücksache, ob es etwas gab. Mal war es etwas Babynahrungspulver in einer Dose, mal zwei Bonbons in kleinen Tütchen.

Der Hunger quälte sie manchmal so sehr, dass sie, vorsichtig und unbemerkt, ausgekaute, ausgespuckte und ausgetretene Kaugummis vor dem Krämerladen Wischer mit den kleinen Fingern mühsam vom Pflaster pulten. Zu Hause wurden diese flachen, sandigen, harten Stücke, mit fremden Zahnabdrücken, in Kleinstarbeit unter fließendem Wasserhahn abgewaschen und der Sand so gut es ging entfernt. Sie tunkten das Kaugummi in Zucker und kauten darauf so lange herum, bis es sich weich anfühlte. Nur der Sand zwischen den Zähnen knirschte entsetzlich. Dieses Knirschgefühl hielt lange an. Nach dem Zähneputzen und tief im Gedächtnis. Die Schwestern versprachen sich, dass es ihr ewiges Geheimnis bleiben sollte, denn sie schämten sich.

Britta versuchte, das Wenige, was ihr allein gehörte, zu Hause zu horten wie große Schätze: Dauerlutscher, Schokoladengeschenke von Besuchern, Abendbrotschnitten, anderes Essbares. Selbst wenn es in ihrem kleinen Schrank Schimmel ansetzte.

Kathi hingegen stopfte alles in sich hinein. Das trockene Babypulver staubte aus ihrem Mund, denn schon vor der Drogerie musste es ohne Wasser gierig einverleibt werden. Das Gefühl im Magen war wie ein Schrei, ein Krampf. Dass sich Hunger so anfühlte, lernten die Schwestern früh.

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