"Soso, ich bekomme das Tagesgericht also erst ab 11:00 Uhr. Na dann..."
"Das habe ich gerade gesagt. Seid Ihr beschränkt oder so?", fragte der Kellner.
"Also ganz ehrlich, diskret ist er nicht gerade.", sagte Marlene zu Julian.
"Was war das gerade?", fragte der Fremde. "Wenn Ihr mich beleidigen wollt, dann habt wenigstens die Eier und seht mir in die Augen."
"Aber ich habe Euch in die Augen gesehen.", rechtfertigte sich der Kellner, der die Wahrheit sprach. Er mochte unhöflich sein, doch nur, wenn ein Gast sich zu sehr auf seinen Status als Gast bezog und das ausnutzte.
"Ach wirklich, Ihr habt mir in die Augen gesehen. Soso. Wirklich interessant."
Der Kellner konnte sich kaum noch halten. Schließlich tat Julian etwas, womit er selbst nicht gerechnet hatte. Er zog das Schwert, das ihm Theodor ausgeliehen hatte. Es besaß eine scharfe, violette Klinge und einen goldenen Griff. Der Fremde hatte das sogleich bemerkt. Julian rief:"Wenn Ihr hier Ärger machen wollt, müsst Ihr erst an mir vorbei."
"Ich will Ärger machen?", fragte der Fremde. "Denkt Ihr das?"
"Das ist doch offensichtlich. Ihr ärgert den Kellner nur so lange, bis er die Beherrschung verliert. Jeder hier hätte Euch an seiner Stelle schon lange einen Schlag in Euer dämliches Gesicht verpasst."
Obgleich er sich zwar etwas dämlich präsentierte, besaß der Fremde ein sehr attraktives Gesicht. Doch zweifellos hatte Julian das nur gesagt, um die volle Aufmerksamkeit des Fremden zu bekommen.
"Ihr wollt also Streit, ja?", fragte der Fremde. "Dann erlaubt mir, mich vorzustellen. Ich bin der Herzritter und meine Feinde können leider keine Geschichten über mich erzählen, da ich sie alle getötet habe. Scheinbar habe ich einen neuen Feind gefunden." Nun zog er sein Schwert mit dem Herzgriff.
"Der Herzritter? Sollte ich Euch kennen?", fragte Julian. Er ließ sich nicht einschüchtern. Dieser Mann wirkte zwar wesentlich muskulöser als der Kellner, aber immerhin besaß Julian ja ein Schwert.
"Es ist sicher hilfreich, seinen Mörder im Gedächtnis zu behalten."
"Noch bin ich nicht tot."
"Aber das seid Ihr bald schon!", rief der Herzritter und schoss plötzlich auf Julian zu. So schnell konnte er gar nicht reagieren, da hatte er sich schon seinen Weg durch den Raum gebahnt und auf Julian eingeschlagen. Doch die Klinge hatte Julian nicht erreicht. Denn der große Mann im grünen Umhang war aufgestanden und hatte den Angriff abgewehrt.
"Verschwindet von hier.", sagte er dem Herzritter bestimmt.
"Wer seid Ihr denn? Ihr seht total bescheuert aus."
Der Mann im grünen Umhang besaß wirklich eine eigene Erscheinung. Seine Handschuhe und Stiefel bestanden beide aus orangem Leder, sein grüner Umhang besaß an der Innenseite eine gelbe Farbe, durch die sich ein Feld von diagonalen, schwarzen Linien in zwei sich kreuzende Richtungen zog. Ansonsten trug er eine Kettenrüstung und hielt nun eine große Doppelaxt in Händen. Sein braunes Haar und seine braunen Augen besaßen dieselbe Farbe. Er musste um die zwei Meter groß sein. Der Herzritter ließ sich dennoch nicht beeindrucken. Er schoss wie ein Windstoß durch das Restaurant und kehrte immer wieder zum Unbekannten und zu Julian zurück. Doch ganz egal, wen von beiden er angriff, der Mann im grünen Umhang wehrte alle Schläge ab. Dann sprach er:"Hört sofort auf, oder ich muss Euch töten."
"Ihr wollt mich töten? Mich töten, soso. Dann versucht es doch."
Der Mann im grünen Umhang steckte seine Axt weg. Dann schien er sich zu konzentrieren. Anschließend sagte er:"Wenn Ihr mich mit Eurem Schwert treffen könnt, habt Ihr gewonnen."
"Das ist doch wohl ein Witz?" Dann schoss der Herzritter vor in Richtung des Unbekannten. Währenddessen rief er:"Verreckt an meiner..." Doch mitten im Satz brach er ab, blieb auf der Stelle stehen und griff sich an die Brust.
"Was zum...das kann nicht...mein Herz..."
Dann fiel der Herzritter auf die Knie und bald darauf küsste sein Gesicht den Fußboden. Der Herzritter war offenbar an einem Herzinfarkt gestorben. Alle im Restaurant, auch der Unbekannte, blickten erstaunt auf den toten Mann am Boden.
"Was zur Hölle war das denn?", fragte Julian, der als erster Worte fand.
"Er hatte eine Herzattacke?", fragte Marlene.
"Das geschieht ihm recht.", gab der Kellner von sich.
"Habt...habt Ihr das getan?", fragte Julian den Fremden.
"Nein, ich wollte ihn mit meiner Faust bewusstlos schlagen. Das war wohl wirklich er selbst. Erstaunlich, dass er gerade in einer solchen Situation einen Herzanfall bekam. Unpassender hätte es nun wirklich nicht sein können. Ich bin nur froh, dass niemand verletzt wurde. Es geht doch allen gut, oder?"
Alle im "Zum Goldhaus" gaben ein lautes "Ja" von sich.
"Sehr schön, dann habe ich meine Aufgabe hier wohl erfüllt."
"Wer seid Ihr eigentlich?", fragte Marlene den Unbekannten schließlich.
"Mein Name ist Beatron. Ich bin mit meinem Gefährten auf der Durchreise."
"Aber Ihr seid doch ganz alleine?", fragte Marlene sofort.
"Das stimmt, aber mein Gefährte sollte bald hierher nachkommen."
"Ihr seid der Beatron? Der Held des Westens, von dem ich schon so viel gehört habe?", fragte Julian fasziniert.
"Ja, so nennen mich die Leute für gewöhnlich. Ich versuche, diesem Titel gerecht zu werden."
"Es ist mir eine große Ehre, Euch persönlich zu begegnen. Mein Name ist Julian. Wer hätte gedacht, dass ich einmal dem größten Helden aller Zeiten persönlich gegenüberstehen würde."
"Bitte, das ist wirklich übertrieben. Ich habe nicht ansatzweise so viel Heldenhaftes getan, wie mir nachgesagt wird."
"Ich denke schon, sonst würde sich Euer Ruf nicht über die ganze Welt und darüber hinaus verbreiten. Da fällt mir gerade etwas ein. Habt Ihr in nächster Zeit etwas sehr Dringliches oder Wichtiges zu erledigen?"
"Nein, nicht wirklich. Warum fragt Ihr, Julian?"
"Weil hier vor gar nicht langer Zeit ein Mann, der sich düsterer Magier nennt, gedroht hat, dass er bald mit seiner 75 000 Mann starken Armee die goldene Stadt angreifen wird. Nun versuchen wir, möglichst viel Unterstützung für die bevorstehende Schlacht zu bekommen. Wir wissen leider nicht, wann er angreifen wird, aber es könnte jederzeit passieren. Wenn Ihr uns helfen könntet, Beatron, dann wären wir sicher allein mit Euch bereits im Vorteil. Was sagt Ihr?"
"Ich denke, für genau solche Dinge wurde ich geboren. Es ist gut, dass wir beide uns heute begegnet sind, Julian. Denn ich werde Euch und allen anderen dabei helfen, diesen Angriff aufzuhalten und Erudicor zu verteidigen. Darauf habt Ihr mein Wort. Ich bin sicher, Borthaux wird sich auch freuen, zu helfen."
"Wer ist Borthaux?", fragte Julian.
"Das ist mein Gefährte. Sobald er endlich zu mir stößt, werde ich ihm die Neuigkeiten mitteilen."
"Sehr gut. Ist er genauso stark wie Ihr?"
"Er ist sogar stärker als ich."
"Nicht möglich, Ihr seid doch..."
"Ich bin vielleicht ein großer Held, aber Borthaux ist der stärkere von uns beiden. Glaubt mir."
"Na schön, dann können wir gar nicht verlieren.", gab Julian von sich. Er hatte nun bereits zwei wertvolle Verbündete gewonnen und womöglich würde der Kaiser dafür die mindere Verletzung seiner Erstgeborenen in Kauf nehmen und Julian nicht sofort hinrichten lassen. Mit ein bisschen Glück sagte Marlene auch, dass es ganz allein ihre Schuld war und Julian nichts dagegen tun konnte. Fürs Erste verabschiedeten sie sich von Beatron und kehrten dann so schnell wie möglich zum Kaiserpalast zurück. Dort gab Julian Theodor dessen Schwert und den Geldbeutel zurück. Dann gingen sie zu dritt zum Hofarzt. Dieser hatte sein Behandlungszimmer im ersten Stock des Palastes. Dazu mussten sie in der Eingangshalle am Ende links einem Gang bis zur Treppe nach oben folgen. Der Gang verlief aber noch weiter nach hinten, doch das kümmerte sie nun nicht. Im Moment zählte nur, dass Marlene so schnell wie möglich wieder gesund wurde.
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