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Kapitel III: Der Herzanfall
Marlene hetzte Julian durch die verschiedensten Gassen Erudicors. Es war teilweise wirklich schwer für ihn, ihr zu folgen. Erst gestern hatte er um sein Leben rennen müssen, nun musste er das schon wieder tun, denn wenn er Marlene aus den Augen verlor und ihr etwas zustieß, würde sein Leben ebenso enden. Doch egal, wohin sie gingen oder eher liefen, überall hielt die goldene Stadt ihrem Motto stand. Denn jedes einzelne Dach, und war es noch so klein, bestand aus purem Gold. Das war selbst in den herunter gekommensten Gassen der Stadt noch ein schöner Anblick. So sah Julian einiges aus der Altstadt Erudicors. Diese war selbst so groß, dass man kaum alles an einem Tag erkunden konnte. In die äußeren Bereiche der goldenen Stadt, die sich immer weiter hin zur Mauer erstreckten, hätten sie es nie geschafft. Dafür war die Stadt einfach zu groß. Daher begnügte sich Marlene damit, Julian die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Altstadt zu zeigen. Er wurde von ihr durch den riesigen Marktplatz manövriert, folgte ihr, vorbei am großen, goldenen Theater und durch die wunderschönen Stadtgärten. Dort bestanden die Mauern, die einzelne Teile der Gärten abtrennten, ebenfalls aus Gold. Irgendwann fanden sich die beiden im kulinarischen Viertel der Altstadt wieder, in dem sich besonders viele Tavernen, Restaurants und andere Örtlichkeiten zum Konsum von Speis und Trank befanden. Auch dort lief Marlene zielsicher in eine Richtung. Schließlich betrat sie ein sehr großes Gasthaus mit riesigem Schild. Darauf stand geschrieben "Zum Goldhaus". Julian fragte Marlene, was sie hier wollte.
"Du wolltest doch etwas essen, oder nicht?"
"Ja, das ist schon richtig. Aber seid Ihr sicher, dass das hier der richtige Ort für ein ausgiebiges Frühstück ist?"
"Das Goldhaus ist der richtige Ort für so ziemlich alles. Es ist das älteste Restaurant der Stadt und existiert schon seit Anbeginn Erudicors. Ach, und noch etwas: Wenn wir unter uns sind und keine Wachen zuhören, können wir die Förmlichkeiten weglassen. Alles klar, Julian?"
"Na schön, wenn du das so willst. Aber warum spielst du den Wachen denn etwas vor?"
"Weil ich eines Tages ihre Kaiserin sein werde. Und sie sollen gefälligst machen, was ich sage. Da kann ich nicht allzu offen mit Fremden kommunizieren."
"Du wirst bestimmt mal eine sehr zielstrebige Kaiserin. Hoffentlich dauert es aber noch lange, bis du an der Reihe bist."
"Was soll das heißen?", fauchte ihn Marlene an. "Willst du sagen, dass ich doch keine gute Kaiserin wäre?"
"Nein, aber ich hoffe, dass dein Vater noch lange Kaiser bleibt. Ich mag ihn und er scheint mir ein sehr gerechter und freundlicher Herrscher zu sein."
"Ach, so meinst du das. Ja, da hast du Recht. Vater weiß, wie man ein Kaiserreich regiert. Das kann auch nicht jeder von sich behaupten. Kommst du jetzt rein oder nicht? Hier im Goldhaus gibt es das beste Essen der Stadt, ungelogen."
"Wenn das wirklich wahr ist und sogar die Kaiserstochter das Essen empfiehlt, muss ich es wohl probieren."
"Ja, aber sag das nicht so laut. Sonst kommt noch so ein heller Kopf auf die Idee, dass ich Unmengen an Gold mit mir herumschleppe. Verstanden?"
"Ja, natürlich, entschuldige. Ich habe kurz vergessen, dass ich ja auf dich aufpassen soll."
"Schon gut, komm jetzt."
Dann betraten sie das älteste Restaurant von Erudicor. Im Inneren war es düster, wie in einer Taverne und es gab auch eine Bar wie in einer Taverne. Die meisten Tische und Stühle bestanden aus Holz, welches uralt wirkte. Obgleich es erst früh am Morgen war, saßen schon viele Leute im "Zum Goldhaus" und beinahe das gesamte Etablissement war bereits voll. Doch Julian und Marlene fanden noch einen Tisch an der Wand rechts vom Eingang. Die meisten Tische waren entlang der Wände aufgestellt und in der Mitte befand sich ein riesiger Bereich, der Bar und Küche in einem darstellte. An der Bar war alles offen, doch an der hinteren Seite, wo sich die Küche befand, versperrten Mauern einem die Sicht. Julian und Marlene nahmen am zweiten Tisch rechts vom Eingang Platz. Dahinter war noch ein Tisch frei und ganz in der Ecke saß ein großer Mann mit grünem Umhang für sich. Schließlich erschien der Kellner, händigte beiden hölzerne Speisekarten aus und sprach:"Willkommen im "Zum Goldhaus". Was wünscht Ihr zu trinken? Das heutige Tagesgericht ist ein Wildschweinbraten. Dafür wurden extra Wildschweine aus den hiesigen Wäldern östlich der Stadt gefangen. Ihr Fleisch ist besonders zart. Serviert wird der Braten in einer herzhaften Sauce mit Kartoffelkroketten und Preiselbeeren. Allerdings muss ich Euch sagen, dass es das Tagesgericht erst ab 11:00 Uhr gibt. Ihr könnt es aber gerne vorbestellen."
"Das klingt doch gut, ich möchte den Braten vorbestellen.", sagte Julian.
"Sehr wohl. Für die Dame ebenfalls?"
"Ich bin ein kleines Mädchen, du Speichellecker. Und nein, ich will keinen Wildschweinbraten. Eher würde ich kotzen. Ich möchte den süßesten Kuchen, den Ihr im Moment habt und dazu noch ein Glas voll Kirschmarmelade. Und zu trinken kalte Milch. Verstanden?"
"Du bist ein ganz schön freches, kleines Ding. Aber ja, ich habe verstanden. Was wünscht der Herr?"
"Keine Ahnung, was ist denn hier die Spezialität, wenn's um Frühstück geht?"
"Nun, besonders beliebt ist unsere Frühstückspfanne. Sie beinhaltet vier Spiegeleier, drei Streifen feinsten Bauchspeck und vier Stück Magerschinken. Dazu gibt es noch ein Stück Roggenbrot und als besondere Empfehlung von mir einen Krug frisch gepressten Orangensaft als Getränk."
"Das klingt großartig, genau das möchte ich bitte."
"Sehr wohl, ausgezeichnete Wahl."
Der Kellner entfernte sich. Marlene fing sogleich an, sich über ihn zu beschweren.
"Der hat vielleicht Nerven. Jeder im Goldhaus kennt mich mittlerweile, er muss wohl neu sein."
"Hättest du ihm dann nicht vielleicht sagen sollen, dass du die erstgeborene Tochter des Kaisers bist?"
"Nein, das kann noch lustig werden. Sobald er mich beschimpft, kann ich ihn fertig machen, wenn ich ihm meine wahre Identität enthülle." Marlene grinste schadenfroh.
"Aber das ist doch nicht gerecht. Wenn er wüsste, wer du bist, würde er den Boden küssen, auf dem du wanderst. Und nachdem wir heute schon an so vielen Orten waren, hätte er da einiges zu tun."
"Ja, du hast ja Recht. Dennoch will ich sehen, ob er irgendwann von selbst erkennt, wer da vor ihm sitzt. Vielleicht beschwere ich mich über das Frühstück."
"Es ist immer besonders taktvoll, Leute zu bestrafen, die sich bemühen.", hallte eine Stimme zu den beiden hinüber. Das musste der seltsame Mann in grünem Umhang gewesen sein.
"Was war das?", fragte Marlene sofort laut nach und erwartete sogleich eine Antwort. Doch sie bekam keine. Also hakte sie nach. "Wenn Ihr ein Problem mit mir habt, dann kommt doch her und sagt es mir ins Gesicht."
"Bist du wahnsinnig?!", fragte Julian sie aufgebracht, doch mit mäßiger Stimme. "Ich soll auf dich aufpassen, aber du kannst nicht einfach Fremde anpöbeln. Du bist nicht unbesiegbar, du bist nur ein kleines Mädchen."
"Ach was, dem Lackaffen könnte ich trotzdem in den Arsch treten."
"Davon gehe ich aus.", gab der Fremde im grünen Umhang nun von sich.
"Dann kommt doch her, ich warte.", antwortete Marlene. Julian versuchte indessen, sie zurückzuhalten.
Klack. Klack. Klack. Klack. Die Stadtwache des Osttores wurde indessen wieder einmal Zeuge einer seltsamen Begegnung. Denn ein Mann in weinroter Plattenrüstung stapfte mit laut hallenden Schritten immer näher auf das Osttor zu. Klack. Klack. Er trug am ganzen Körper diese sehr stabile Rüstung, außer an seinen Füßen. Dort trug er spitze, rote Lederschuhe. Sie besaßen niedrige Absätze, welche aus Metall waren. Daher kam auch der Lärm beim Auftreten. Klack. Klack. An der Hüfte hatte der Mann ein dunkelgraues Schwert befestigt, welches stark glänzte und Licht spiegelte. Es besaß keinen Parierschutz, aber einen Griff in der Form eines Herzens. Auch der rote Umhang, den er trug, besaß eine Herzform. An den beiden Halbkreisen des Herzens war der Umhang an seinen Schultern befestigt und auf Höhe seiner Unterschenkel endete er in der Spitze des Herzens. Der Mann besaß rötliches Haar und sehr dunkle, braune Augen. Klack. Klack. Die beiden Wachen, die Dave und Enrique von ihrer Schicht abgelöst hatten, blickten verdutzt drein und wussten nicht, was sie von dieser Gestalt halten sollten. Schließlich hatte der Fremde die Wachen und das Tor erreicht.
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