Glücklich drehte ich mich zu der Fremden um, wollte ihr danken, sie umarmen, sie nicht mehr gehen lassen, aber sie war verschwunden und alles, was von ihr übrig blieb, war der Silber glitzernde Nebel.
„Danke“, flüsterte ich und wusste, dass ich allein war. Ganz allein, denn es gab niemanden mehr, der auf meinem Herzen saß und spottenden Kommentare verlauten ließ. „Warum verschwindet bloß alles Gute aus meinem Leben?“
„Ich muss weiter“, erklang ihre Stimme aus dem Nebel. Nein, es war der Nebel selbst! „Wir werden uns wiedersehen, Udy.“
„Aber wann?“, ich konnte nichts daran ändern. Meine Stimme klang hilflos erbärmlich.
„Eh du dich versiehst. Ich schicke dir eine Erinnerung“, ihr Lachen erklang. Der Nebel wirbelte um mich herum, nahm Abschied, und löste sich dann einfach auf.
Kopfschüttelnd schwamm ich zum Ufer zurück. War das alles wirklich geschehen? Hatte ich es mir nicht eingebildet? Es fühlte sich an wie ein Traum, aber die Stille war so real.
An Land angekommen, wickelte ich mich in Baktas Mantel und sog ihren Duft ein. Hast du das alles gewusst Tantchen? Hast du mich auch in deinen Träumen gesehen?
Dann begann ich zu lachen. Ich lachte so laut und so lange, bis ich vor Erschöpfung einschlief.
Frei...
Am nächsten Morgen erwachte ich mit schlimmen Kopfschmerzen, als hätte ich mit hunderten Bergriesen und Feuerdämonen zur selben Zeit gekämpft. In Baktas Mantel gehüllt lag ich da, wie ich am Abend zuvor eingeschlafen war. Ich erinnerte mich an silbernen Nebel, grüne Augen und Diamanten, die im Mondlicht schimmerten. War es ein Traum oder packte mich nun endgültig der Wahnsinn.
Den Kopf reibend und fluchend sammelte ich meine Kleidung ein. Das Feuer war längst herunter gebrannt, und in der Falle lag kein Hase. Das Frühstück fiel also aus.
Prüfend führte ich meine Hand an die Brust, erfühlte meinen Herzschlag. Er war kaum zu spüren, und unter meiner Berührung bemerkte ich das bekannte und verhasste Reißen in der Mitte meiner Brust. Mein Hals wurde trocken, meine Hände zitterten und sehnsüchtig reckte ich meine Nase in den Wind. Das Fleisch eines Hasen konnte mich bei weitem nicht so sättigen, wie das zäh fließende Blut eines warmen wohligen Körpers, dessen Herz schnell und regelmäßig schlug.
Dann wurde es mir mit einem Schlag bewusst: Ahm Fen hatte mich benutzt UND betrogen! Ich dachte, aufgrund ihrer Leidenschaft verzehrte ich mich nach Blut, aber es war ganz anders. Ich war das Monster, das nur ein weiteres blutdurstiges Monster beherbergte. Ahm Fen erkannte die Gelegenheit, verführte mich. Lenkte gar sie mich zu der Bergriesin? Erst bei diesem Zusammentreffen entflammte das Verlangen! Die Alte grub in meiner Seele und befreite etwas Dunkles und Böses. Ob meine Eltern davon wussten? Mein Herz begann schneller zu schlagen, als ich an all die Momente dachte, in denen ich zu Hause bleiben musste. Kochen, putzen, Tiere versorgen. Öffentliche Versammlungen? Oh nein, mein Kind , sprach da meine Mutter. Ich brauche dich hier zu Hause .
Zu Hause! Verborgen und weg gesperrt! All die Jahre.
„Verdammt seien alle Götter dieser Welt und der Welt der Unsterblichen!“, schrie ich meine Wut hinaus. Gierig sog der Abgrund meine Gefühle auf, zurück blieb nur das dumpfe Gefühl, der größte Narr der Erde zu sein.
„Wusstet ihr, wer ich war?“, der See verschluckte meinen Schrei. Ich erwartete Ahm Fens Antwort, doch es blieb still. Meine Gedanken durchforstend suchte ich die Schwere ihres Schattens – ihre giftigen Spuren, die sie auf meiner Seele hinterließ. Nichts. Ein Blick auf meine Hände sagte mir, dass es sich doch nicht um einen Traum handelte. Meine Finger lagen noch immer auf meiner Brust, und das weiße Licht, das hindurch schimmerte, weckte alle Erinnerung von vergangener Nacht.
Es ist kein Traum, dachte ich verletzt. Es ist alles die bittere Wahrheit und es gibt niemand mehr, der weiß wer oder was ich bin...
„ Eh du dich versiehst. Ich schicke dir eine Erinnerung.“
Ja, nickte ich stumm, als könnte sie meine Antwort noch vernehmen. Wir werden uns wiedersehen und bis dahin, verliere ich nicht mein Ziel aus den Augen.
Mein Blick schwang gen Süden, und sogleich erhaschte meine Nase den Duft warmen, süßen Blutes. Menschen - verschwitzt, ängstlich und verstört. Ein Lächeln umspielte meine Lippen. Diesen einen Duft unter den zahlreich verschwitzten Körpern erkannte ich wieder. Männlich, vorlaut und vom Wein so besoffen, das er nicht mehr in der Lage war, seinen eigenen Namen zu nennen.
Ich kannte ihn sehr gut: Yeleb.
Meine Nase führte mich in ein weit abgelegenes Dorf, dessen stümperhafte Holzbarrikade nicht einen einzigen Ansturm der finsteren Soldaten standhalten könnte. In der Ferne arbeiteten die Bauern wie gewohnt auf dem Feld, als stünde ihnen kein Angriff bevor. Dumme, unbeschwerte Menschen, dachte ich grummelnd. Die Soldaten werden keinen Stein auf den anderen lassen, keine Frau bliebe unentdeckt und jeder Mann wird unter dem Eisenschwert schreien, wie die Kinder, die sie nicht beschützen konnten.
Das unbeschwerte Lachen und Treiben der Dorfbewohner verstummte augenblicklich, als sie mich am Dorfbrunnen entdeckten. Ihre Blicke verfolgten jeden meiner Schritte. Verständlich, denn in meiner schmutzigen und blutigen Kleidung bot ich einen schaurigen Anblick. Meine roten, verfilzten Haare verliehen mir das Aussehen einer Wilden, und mein finsterer Blick versteinerte ihre Bewegungen. Am Dolch haftete noch Blut, von dem ich nicht mehr bestimmen konnte, von wem es stammte. Auf meinem Weg hierher hatte ich schon so viele getötet.
Aus der Menge trat eine junge Frau, mit hübschen braunen Locken und einem Gesicht, auf dem die Unerfahrenheit geschrieben stand. Der Sand dämpfte ihre Schritte, und dennoch war es das einzige grelle Geräusch, das die Stille durchbrach.
„Komm mit mir“, sprach die Frau mit hoher Stimme, reichte mir ihre kleine Menschenhand.
Ihr Blut erinnerte mich an eine Wiese im Frühling. Grün und saftig wuchs das Gras unter den ersten Sonnenstrahlen heran, und die ersten Blumen erwachten aus ihrem Winterschlaf. Der Wind trug ihren süßen Duft über das Land, und alles erleuchtete in einem neuen Licht.
Je länger ich sie betrachtete und den wundervoll leichten Geruch ihres Blutes einsog, desto schneller alterte die Frau vor meinen Augen. Nur widerwillig löste ich den Blick von dem Menschlein und blinzelte den roten Schleier fort, der meine Sinne benebelte.
Nicht sie , rief ich mich zur Vernunft. Das brennende Verlangen schmerzte in meiner Brust, doch wegen ihres Bluts hatte ich den Umweg nicht auf mich genommen.
Warum nicht? fragte ich mich auf der anderen Seite. Die Soldaten des finsteren Königs waren bereits auf dem Weg, und wenn sie eintrafen, würde dieses Dorf bis in den Himmel hinauf brennen. Ich wusste, dass mein Feind ein gutes Feuer schätzte, und nichts brannte so gut wie die Eroberung. Die Menschen werden unter den Schwertern des Königs fallen. Welche Verschwendung wäre ihr Tod für mich?
„Mein Name ist Dora“, fuhr sie fort, während ich meine Entscheidung von allen Seiten betrachtete.
„Dora“, wiederholte ich leise. Ein kleiner Name für ein winziges Menschlein.
„Mir gehört die Schänke, gleich dort vorne.“ Mit ihrem Arm deutete sie an der glotzenden Menschenmenge vorbei auf ein kleines Haus. „Ich biete dir Kleidung und Essen.“
Die Augen der Menschen glühten auf meinem Rücken, als ich der Frau stumm zu ihrer Schänke folgte. Noch immer wägte ich ab, von ihrem Blut zu kosten. Dora öffnete die Tür. So unauffällig das Haus von außen wirkte, umso gemütlicher war es im Inneren eingerichtet. Auf den Stühlen lagen Felle, Kerzen aus Bienenwachs standen auf den Tischen und verströmten einen angenehm lieblichen Duft. Die Wände hatte Dora mit Ebenholz verkleidet, am Ende des Raumes entdeckte ich neben dem Schanktisch einen Kamin.
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