1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Ihr Lachen klang rau, und die Frage was und nicht wer machte mich wütend.
„Du hast mich verflucht“, sprach ich und vernahm kaum meine eigenen Worte.
„Den Fluch hast du selbst herauf beschworen, als du Ahm Fen Zutritt in dein Herz gewährtest. So nennt sie sich doch, nicht wahr?“
„Sie ist meine Göttin. Wir leben nach Ahm Fens Gesetzen! Wie könnte sie mich verfluchen?“
„Aber, aber, kleines Wesen. Götter brauchen Menschen, aber Menschen brauchen keine Götter. Namen sind eine mächtige Waffe“, erklärte sie in Rätseln. „Ich sehe sie genau, deine Göttin oder wie auch immer du den Schmutz benennst, der deine Seele befleckt. Ihr Schatten bedeckt dein Licht. Ich öffnete nur eine Tür, hindurch gehen musst du allein. Traust du dich, Häuptlingstochter? Magst du sehen, wer du in Wirklichkeit bist? Ich sage dir: Erkenne dich selbst, Udelka. Lass nicht geschehen, dass Ahm Fen über dein Leben bestimmt.“
Ihre knochige, steinige Hand berührte meine Stirn. Die Berührungen der Riesin kratzten hinunter bis zu meinem Hals.
„Trenne dich von Ahm Fen“, flüsterte sie in mein Ohr. „Finde einen Ausweg.“
„Einen Ausweg?“, fragte ich spöttisch. „Alles was ich mir wünschte, war ein Ort, an dem ich in Frieden leben kann. Ein Ort ohne den finsteren König, ohne Krieg und ohne Verwüstung. Meine Göttin erschuf aus einem kleinen, schwachen Mädchen eine Kriegerin mit einem Ziel vor Augen. Was siehst du, altes Weib, wenn du in meine Augen blickst? Ich bin ein Monster, eiskalt und mit dem Verlangen nach deinem Blut.“
Du sprichst meiner wahrhaftig würdig! , stolz breitete Ahm Fen sich in meiner Brust aus. Die Zeit ist gekommen, das alte Weib zu vergessen. Hörst du ihr Blut rauschen? Es ist nur für dich bestimmt. Es gibt niemanden, der sich mit dir messen kann. Mit mir an deiner Seite bist du unbesiegbar – unsterblich.
Die Riesin neigte nachdenklich den Kopf zur Seite, als könnte sie Ahm Fen ebenfalls vernehmen.
„Du irrst sich, Udelka. Du bist kein Monster.“ Ihre Augen glühten wie die Kohlen im Feuer. „Ahm Fen missbraucht deinen Körper, um sich ihrer eigenen Leidenschaft ganz hinzugeben. Ohne Blut wird sie vergehen, und du versprichst ihr mit deinem Körper ein Dasein, von dem sie niemals zu hoffen gewagt hat. Ahm Fen nennt es Unsterblichkeit, nicht wahr? Denke nach. Möglicherweise bietet sie dir etwas an, das du längst besitzt.“
Mein Atem raste. In meinen Gedanken vernahm ich die Riesin, Ahm Fen und die Melodie des Blutes. Ich schüttelte meinen Kopf - schlug mir gegen die Ohren, aber am Ende überrollten mich das Verlangen und der Durst nach Blut.
Mit einem Sprung gelangte ich an die Brust der Riesin, und stach gezielt in ihr Herz. Ihre Haut war weich und sanft, nicht so steinig und hart, wie ich erwartet hatte. Das alte Weib wehrte sich nicht. Oder vermochte sie sich nicht zu wehren? Mein Blick haftete an ihren zahlreichen Wunden, die ich ihr zufügte, und Ahm Fen und ich lachten, als wir das flüssige Gold sahen, das aus der Riesin wie ein Bächlein sprudelte. Es war warm, köstlich. Während ich mich in ihrem Blut wälzte wie ein Schwein, verspürte ich solch eine Glückseligkeit wie noch nie in meinem Leben.
Der Abgrund schloss sich in meiner Brust, und ich hielt das endlose Hochgefühl mit Freude umschlossen. Mein Lachen hallte über die Lichtung, schreckte Vögel auf und vertrieb alle Lebewesen aus meiner Umgebung.
Dann, mit einem Schrei, riss eine unnatürliche Kraft meine Brust auseinander und der Abgrund verschlang gierig meine Glückseligkeit.
Ich wollte weinen, doch es gab keine Tränen mehr, die ich hätte vergießen können.
Kein Grund zur Trauer. Ahm Fen hatte das Lachen noch nicht verloren. Wir werden immer wieder Befriedigung finden, mein Kind. Immer dann, wenn uns das Verlangen packt, nehmen wir uns einfach, was wir brauchen. Niemand kann uns aufhalten.
„Es wird niemals enden?“
Mit Schrecken blickte ich an mir herab. Von Kopf bis zum Fuß war ich mit Blut besudelt. Es war nicht länger flüssiges, befriedigendes Gold, nein, es war das, was es eben war. Blut. Rotes, dickflüssiges Blut. Was hatte Ahm Fen mir nur angetan? Nein, was hatte ich mir angetan?
Zu meinen Füßen lag die alte Riesin. Ihre Augen glühten noch immer, und ihr Blick schien mir sagen zu wollen: „Erkenne selbst, wer du wirklich bist. Überlebe, Udelka.“
Dies waren auch die Worte meiner Tante gewesen. Sollte es mein Schicksal sein, als Monster mordend und nach Blut lechzend die Ewigkeit zu beschreiten? Ohne jemanden, der mich aufhalten konnte?
Lass dein altes Leben genau an diesem Ort. Du bist nicht länger die Tochter von irgendjemand. Es gibt kein Volk, das auf dich wartet. Es gibt nur dich, mich und die Welt, die vor uns liegt.
„Ich hasse dich“, flüsterte ich und spürte Ahm Fens böses Grinsen.
Die Riesin sagte, ich wäre kein Monster. Wie sehr sie sich täuschte, denn sie folgte meinem Licht, um von mir getötet zu werden. Nicht nur das. Ich trank ihr Blut, oh liebe Mutter, und es war das Köstlichste, das meine Zunge je zu schmecken bekam. Die Riesin sagte auch, sie öffnete für mich eine Tür. Eine Tür, durch die ich gegangen bin. Was hat es aus mir gemacht? Etwas unvorstellbares Böses.
Wohin sollte all das noch führen?
Der nächste Morgen legte sich wie ein würgendes Leichentuch auf die Erde.
An diesem Tag sah ich Welt durch die Augen meiner Göttin, fühlte mich leer und kalt. Ich betrachtete, wie meine Umgebung starb und gleichzeitig neu erblühte. Das Leben hatte an Bedeutung verloren. Ich gehörte nicht länger zu den Lebenden, aber auch nicht zu den Toten.
Mit welchem Zauber hatte die Alte mich belegt, und was stellte Ahm Fen mit meinem Körper an? War ich nur Zuschauer bei diesem elenden Stück?
Du gehörst zu mir, säuselte Ahm Fen mit lieblicher Stimme.
Seufzend verschränkte ich die Arme vor meiner Brust und betrachtete, wie die ersten Sonnenstrahlen den Tag begrüßten.
„Nicht, wenn ich es verhindern kann. Ich hasse dich.“
Ahm Fens Lachen erfüllte meine Gedanken. Mittlerweile war es das grässlichste Geräusch in meinen Ohren.
Ach, mein Kind , antwortete sie fast mütterlich. Du weißt doch nicht, was Hass ist – wahrhaftiger und reiner Hass.
Sie hatte recht, denn ich wusste gar nichts mehr.
„Mich beschleicht das Gefühl, dass ich nun Dankbarkeit zeigen sollte“, murmelte ich leise. „Wie du aber am besten weißt, Göttin des Blutes, ist auch Dankbarkeit eine Empfindung, die ich nicht mehr kenne.“ Über Hügel und Wiesen führte mich mein Weg, begleitet von düsteren Gedanken und einer Göttin im Geiste, bei dem jedes gesprochene Wort wie Gift wirkte.
Möglicherweise war es Ahm Fen, die mich auf diese Weise bestrafte, da ich ihr die Aufmerksamkeit verweigerte, die sie verlangte. Ahm Fen dürstete es nach Blut, und auch ich empfand dieses Verlangen, doch ich versuchte, dem zu widerstehen. Da keine Menschen in der Nähe weilten, ertrug ich den Durst mit eiserner Willensstärke. Meine Kehle brannte und die Melodie des Blutes begann, leise zu spielen, dennoch widerstand ich dem Drang, auf die Jagd zu gehen. Stolz erfüllte mich so lange, bis der Abgrund in meiner Brust auch dieses Gefühl verschlang.
Hin und wieder sah ich mich nach der Spinne um. Seit dem Vorfall im Lager der Soldaten war sie verschwunden. Hatte sie sich satt gefressen und ging ihrer Wege? Seltsam, ich empfand etwas für das Tier und der Gedanke versetzte mir einen leichten Stich. Sie rettete mein Leben und ich nannte sie Freundin. Auch wenn ich sie nicht entdeckte, war mir aber sicher, dass dunkle Augenpaare mich beobachteten.
Auf einem Hügel blieb ich stehen, sah von dort aus schwarzen Rauch in den Himmel empor steigen. Im Geiste erkannte ich die Drachen des finsteren Königs, und ritt näher heran. Neben meinem unvollständigen Leben war doch eines ganz gewiss: der finstere König musste sterben.
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