Susanne Sievert - Home sweet Julie

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"Menschen wie ich sind vom Menschsein weit entfernt."
Nach dem unerwarteten Tod ihrer Eltern sieht sich Julie Mond gezwungen, in ihre Heimatstadt Cherryhill zurückzukehren.
Dort angekommen wird sie nicht nur mit ihrer traumatischen Kindheit konfrontiert, sondern auch mit einem wandelnden Alptraum, dessen Vorliebe Julie ganz und gar nicht gefällt. Menschenfleisch.
Zwischen Schüssen, Blut und Chaos erhält Julie eine gute Nachricht:
ihr Bruder ist am Leben und wartet auf sie!
Für Julie beginnt ein blutiges Abenteuer, das nicht nur Cherryhill verändern wird, sondern auch Julie selbst.

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Susanne Sievert

Home sweet Julie

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Inhaltsverzeichnis Titel Susanne Sievert Home sweet Julie Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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Widmung Widmung Für meinen Bruder Andreas. Du kennst mich.

Stille

Das Haus

Bilder

Das Kleid

Doris

Mein kleines Herz

Bobby Bear

In einem anderen Leben

Wiedersehen

Blut und Feuer

Puppenstube

Das zweite Gesicht

Checkliste

Olivia

Das große Ganze

Klopf klopf

Wasserspiele

Wie ein Herz

Sonnenaufgang

Danke

Impressum neobooks

Widmung

Für meinen Bruder Andreas.

Du kennst mich.

Stille

Prolog

Tag 5

Anfänge sind schwierig, besonders für mich. Und dennoch führe ich immer wieder welche herbei, fange ich immer wieder neu an. Es ist wie ein innerer Druck, der sich erst löst, wenn ich alles abbreche und lautlos verschwinde. Ich halte es unter anderen Menschen einfach nicht lange aus. Alle paar Monate wechsle ich meine Arbeitsstelle und meinen Wohnsitz, wenn ich überhaupt eine Wohnung bezogen habe. Es ist mir ganz gleich, ob ich im Lager arbeite, Botengänge durchführe, Zeitungen verkaufe oder im Restaurant kellnere. Manchmal nehme ich drei oder vier Jobs gleichzeitig an, nur, um nicht zu viel freie Zeit zu haben. Natürlich benötige ich auch das Geld, aber bisher kam ich immer mit sehr wenig aus. So reiste ich mit einem Rucksack und wenigen Habseligkeiten rastlos von Stadt zu Stadt. Bisher. Denn dies hier ist der furchtbarste Anfang meines Lebens.

Der Wind streicht um meine nackten Beine und ich beginne zu frösteln. Es ist April und der Frühling kündigt sich mit lebendigen Farben an. Die Luft riecht nun frisch und blumig mit einem Hauch von Metall, die Sonne schaut hin und wieder hinter den Wolken hervor und taucht die Welt in ein helleres Licht. Mein Blick gleitet hinab von dem Dach, auf dem ich sitze, und ich lache bitter.

Sie stehen unten und starren mich mit blutunterlaufenen Augen an, hinter denen ich ihren unstillbaren Hunger erkennen kann. Hunger nach Tod – Hunger nach unserem Fleisch. Ich ziehe meine Beine enger an den Körper, aber es ist sinnlos. Die Kälte, die sich unter meine Haut gefressen hat, lässt sich nicht mehr vertreiben.

Heute ist der erste Tag, an dem es ganz still geworden ist. In den Tagen zuvor habe ich noch Sirenen, quietschende Autoreifen, splitterndes Glas und Schreie vernommen – entsetzliche Schreie von Frauen, Männern und Kindern, die ich niemals vergessen werde... Das Zerreißen von Haut, das Brechen von Knochen und das widerliche Schmatzen und Kauen auf menschlichen Muskeln. Wie ein Geist habe ich die schrecklichen Szenen vom Dach aus verfolgt, meine Hände gehoben und stundenlang nach Hilfe geschrien. Die Rettung erreichte uns nicht – sie erreichte niemanden in dieser Stadt. Rufe haben nur noch mehr von diesen Dingern angezogen.

Meine Gedanken werden von seltsam schmatzenden Geräuschen und leisem Stöhnen gestört. Die Welt befindet sich in einem entsetzlichen Albtraum. Es ist das Ende der Menschheit, das Ende der Menschlichkeit. Das Ende in den Köpfen der Überlebenden, doch nicht für mich. Für mich ist es ein weiterer Anfang, ein entsetzlicher Anfang.

Das Dach, auf dem ich sitze, gehört meinem neuen Boss Hendrik Jefferson. Er verkauft Musikinstrumente. Ich persönlich habe wenig Interesse an Musik, geschweige denn an Instrumenten.

Als ich noch ein Kind war, haben mich meine Eltern gezwungen, Blockflöte zu lernen. Mein Vater bestand auf Kultur, Kunst und Musik in unserem Haus. In mir schlummert kein musikalisches Talent, aber er sah das anders. Er sagte, Blockflöte könne doch jeder Idiot spielen und bestellte einen Musiklehrer, der mich jeden Tag unterrichtete. Ob ich es nun wollte oder nicht, ich musste auf dieser dämlichen Blockflöte spielen und am Ende stellte sich heraus, dass nicht nur ich ein Idiot war. Der Unterricht kostete einen Haufen Geld und meine Eltern drohten mir mit Strafen, wenn ich mich weigerte.

Eines Tages luden sie unsere Nachbarn ein. Sie waren nicht befreundet und ich nehme an, sie waren sich nicht einmal sympathisch, aber wenn man viel Geld auf dem Konto vorzuweisen hat, dann muss man gelegentlich seinen Reichtum mit anderen Menschen teilen, indem man den Luxus vorführt, in dem man lebt.

Meine Stunde hatte geschlagen. Eltern und Nachbarn saßen versammelt im Wohnzimmer und sahen erwartungsvoll zu mir auf. Ich, ein kleines rothaariges Mädchen mit Sommersprossen und krummer Nase, sollte ein klassisches Werk auf meiner Blockflöte vortragen. Ich spielte und flötete, wie es mir passte, kein Ton passte zum anderen und selbst als mein Vater wutentbrannt aufstand und mich aus dem Zimmer trug, spielte ich weiter meine Teufelsmusik.

Es gab neben dem üblichen Hausarrest, den ich nicht als Strafe betrachtete, da ich sowieso nicht unter Menschen sein wollte, auch einfallsreichere Repressalien: Unter anderem musste ich jeden Abend Blockflöte üben und bei jedem falschen Ton gab es einen Stich mit der heißen Nadel. Damit hatte ich mir selber keinen Gefallen getan, aber ich wusste, ich würde es jederzeit wieder genauso machen.

Mit erfundenen lustigen Details erzählte ich Mr. Jefferson meine ausgeschmückte Blockflötengeschichte und er lachte so herzlich und mit Tränen in den Augen, dass er mich einstellte. Er ist mal ein feiner Mann gewesen, stets in einem grauen Anzug mit weißem Hemd ohne eine einzige Falte und einer roten Krawatte, die ich ihm hin und wieder richtete.

Nun steht er unten und glotzt mich mit roten Augen an, öffnet gurgelnd seinen Mund und lässt seine Zunge raushängen wie ein hechelnder Hund. Speichel läuft seinen Mundwinkel hinab. Vor einigen Tagen haben wir zusammen zu Mittag gegessen – heute denkt er, ich werde seine nächste Mahlzeit. Der Anzug ist mit Blut besudelt und dicke blaue Adern pulsieren an seinem Hals. Das graue Haar steht zerzaust zu allen Seiten ab und würgend entdecke ich, dass die Hälfte seiner Schädeldecke fehlt. Armer Mr. Jefferson, sein Traum ist nun zu Ende geträumt und er gehört zu den seelenlosen Geschöpfen, die vom Hunger getrieben durch die Straßen ziehen.

Mit knackenden Gelenken erhebe ich mich aus dem Schatten und rutsche zu einem Stück vom Dach hinüber, das von der Sonne gewärmt wird. Seit fünf Tagen trage ich ein blau-violettes Paillettenkleid, das wie ein breiter Gürtel nur mein Hinterteil bedeckt und vorne viel zu weit ausgeschnitten ist. Meine Kleidung passt absolut nicht zum Weltuntergang, aber wie soll man sich auch darauf vorbereiten? Die Nacht traf uns alle wie eine Faust in den Magen, und alles, was wir tun konnten, war, um unser Leben zu rennen mit den Sachen, die wir am Leib trugen.

Auf meiner Flucht habe ich alles verloren. Meinen kostenfreien Drink, eine heiße Bekanntschaft auf der Tanzfläche und zu guter Letzt meine angetrunkene Heiterkeit.

„Hier bist du. Ich hab dich gesucht, Julie.“

In einer blutgetränkten Welt verlor ich alles und gewann unerwartet etwas viel Größeres.

Judith klettert die Feuerleiter hinauf und setzt sich ebenfalls in die Sonne. Ich habe sie vor fünf Tagen in der Bar getroffen, in der ich mich einfach nur betrinken wollte. Ich mache mir nie die Mühe, andere Menschen kennenzulernen, ihnen näherzukommen. Ich bin zufrieden, wenn ich mit mir selbst zurechtkomme, was selten genug der Fall ist. Selbst wenn ich einen Versuch starte, einen anderen Menschen kennenzulernen, so laufen meine Bemühungen immer wieder ins Leere.

Vor ein paar Jahren arbeitete ich als Nachtwächterin in einem Kaufhaus. Es gab nur einen weiteren Kollegen, mit dem ich versuchen musste, auszukommen. Wie war sein Name noch gleich? Terence? Spence? Spencer!

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