Jeff macht auf dem Absatz kehrt und schiebt sich an mir vorbei, zurück in den Raum hinein. Es ist ein dummer Reflex, aber ich folge ihm. Verloren bin ich ohnehin. Ich schließe mit meinem Leben ab, das war's also. Meine irdische Hülle wird hier und heute ihrem Ende entgegentreten.
Schreie ertönen, schrill und unangenehm. Einige Menschen versuchen sich an den V23ern vorbei nach draußen zu schieben, doch das ist ein sinnloses Unterfangen. Sie blockieren den Ausgang. Ich hechte hinter den Tresen, leider bin ich nicht der einzige, der auf diese Idee gekommen ist. Meine Kleidung ist nicht die eines Städters, das genmutierte Pack hat mich vermutlich bereits entdeckt und identifiziert. Ich trauere weniger meinem sterblichen Körper hinterher als viel mehr dem Geheimnis, das ich ihnen heute verraten habe. Sollte man mich entdecken, werden sie wissen, dass es eine undichte Stelle innerhalb ihrer Barriere gibt. Meine ganze Sippe ist somit in Gefahr.
Jemand tritt mir in den Rücken. Ich denke nicht, dass es Absicht, sondern im Gedränge schlichtweg unvermeidbar war, dennoch fahre ich herum und greife dem Kerl in den Nacken. Kraftvoll schleudere ich ihn von mir weg, er fliegt über den Tresen und landet mit einem dumpfen Aufprall irgendwo dahinter, direkt den Ordnungshütern vor die Füße. Dann fällt der erste Schuss, dass Geschrei um mich herum wird noch lauter. Von meinem Platz aus kann ich nicht erkennen, was im Cave vor sich geht. Mich streift der Gedanke, mein Versteck zu verlassen, ihnen tapfer entgegen zu springen und zumindest einem von ihnen noch das Genick umzudrehen, ehe sie mich erschießen. Aber ich bleibe sitzen.
»Alle raus!«, brüllt jemand, ich vermute, er gehört zu den V23ern. »Draußen wartet eine Einheit, die euch nach illegalen Substanzen durchsucht.« Seine Stimme klingt kalt und befehlsgewohnt. Sie duldet keinen Widerspruch, und das Geschrei senkt sich zu einem Gemurmel herab, durchbrochen von gelegentlichen Schluchzern.
Ich höre ein Poltern auf der Treppe, der Raum scheint sich zu leeren. Es wundert mich, dass die Polizisten so hart durchgreifen, immerhin stammen alle von ihnen als illegale Substanzen betitelten Waren ursprünglich aus ihren eigenen Reihen. Wie sollten die armen Schlucker dieser Stadt sonst daran gekommen sein? Ich nehme an, dass nur junge V23er - von ihren Untertanen ehrfürchtig als Oberste bezeichnet - Luxusgüter gegen Liebesdienste tauschen, denn die älteren von ihnen sind genauso wenig wie ich dazu imstande, Emotionen zuzulassen. Diese Polizisten gehören vermutlich zu denen, deren Verwandlung einige Jahre zurückliegt. Dem System ergeben durch und durch. Pfui.
»Hier liegt eine bewusstlose Frau«, sagt jemand. »Sie scheint einen Schlag gegen den Kopf abbekommen zu haben.«
Ich höre ein Geräusch, als würde jemand einen Körper über den Boden schleifen.
»Bring sie zur medizinischen Station«, antwortet eine Frau. Ihre Stimme ist ebenso kalt wie die ihres Kollegen. »Ihr beiden durchsucht den Raum, ich gehe wieder hinaus. Es stinkt bestialisch hier. Mal sehen, wie viele wir heute überführt haben.« Höre ich einen Anflug von Schadenfreude in ihrem Tonfall? Nein, unmöglich, so etwas fühlen die Mutanten nicht. Ihre Schritte verhallen auf der Treppe, am oberen Ende knarrt die Tür.
Es dauert noch einige Atemzüge, ehe das Unvermeidbare eintritt. Ich hocke auf dem Boden hinter dem Tresen, doch jederzeit zum Sprung bereit. Ich spüre, wie Hass und Abneigung durch mich hindurch fließen und mich dazu zwingen, die Zähne zu blecken. Bin ich auch nicht imstande, etwas anderes zu fühlen - Hass funktioniert immer. Reine Selbstbeherrschung hält mich davon ab, auf die Beine zu springen und ein Massaker anzurichten, sogar mit bloßen Händen. Ich bereue, meine Schusswaffe im Auto gelassen zu haben. Sie hätte es mir erspart, den V23ern die Augen auszukratzen und mir die Finger dabei schmutzig zu machen.
Neben mir kauert noch ein anderer Mann, der am ganzen Leib zittert. Ich werde mir seiner Anwesenheit erst jetzt bewusst. Dann schiebt sich ein Schatten über uns, einer der Polizisten tritt hinter den Tresen. Er packt den zitternden Typen am Kragen seines Einheitsanzuges und zerrt ihn auf die Beine. Unsanft stößt er ihn Richtung Ausgang.
»Nach draußen!«, brüllt er ihm entgegen.
Der Mann winselt und stürzt zur Treppe. Weichei. Hat er Angst vor der Knarre des Polizisten? Ein V23er wird sie nicht gegen einen Menschen verwenden, sollte sein eigenes Leben nicht in Gefahr sein. Die schlimmste Strafe, die den Verbrechern in dieser Stadt droht, sind ein paar Tage unter Arrest. Ha ha. Irgendwie ironisch, wo doch die ganze Stadt genau genommen unter Arrest steht. Ob der Polizist mir gegenüber ebenso zögerlich mit seiner Waffe ist, dessen bin ich mir hingegen nicht so sicher.
Ich erhebe mich vom Boden, langsam. Es soll schließlich spektakulär wirken, dass ich einen halben Kopf größer als dieser Mistkerl bin. Seine Augen kleben auf mir und ich glaube, für die Dauer eines Herzschlags einen erschrockenen Ausdruck darin gesehen zu haben. Dann ist der Augenblick verflogen, seine Augen verengen sich.
»Ich brauche Verstärkung!«, brüllt er aus voller Kehle, während er eine glänzend schwarze Pistole aus dem Halfter seines Gürtels zieht. Der Lauf ist auf meine Brust gerichtet, aber ich lasse mir keine Furcht anmerken. Die habe ich ohnehin nicht, um ehrlich zu sein. Die Angst vor dem Tod habe ich mir schon vor sehr langer Zeit abgewöhnt. Ich bedauere lediglich, diesen äußerst attraktiven und gottgleichen Körper aufgeben zu müssen, sollte eine Kugel ihn durchbohren. Ich hatte mich gerade an ihn gewöhnt.
Sekunden später höre ich wieder Poltern auf der Treppe. Ich fauche und reiße den Kopf herum. Ich mache keinen Hehl aus meiner Abstammung, die hat mein Gegenüber ohnehin auf den ersten Blick erkannt, dessen bin ich mir sicher. Drei weitere Personen stürmen in die Bar, zwei Männer und eine Frau.
»Er ist ein Acrai. Wie ist er hereingekommen?« Der Mann, der die Pistole auf mich richtet, spricht mit seinen Kameraden, ohne den Blick von mir zu lösen.
Die beiden Männer, die er zur Verstärkung gerufen hat, sind wenig zimperlich. Ohne zu zögern flankieren sie mich und greifen nach je einem meiner Oberarme. Ich versuche mich loszureißen, aber ich schaffe es nicht. Mir wird bewusst, dass diejenigen vom Volk V23 ebenso kräftig sind wie meine Art. Natürlich sind sie das. Sie bergen unsere finstere Gensaat in sich.
Die Frau tritt neben den Kerl mit der Waffe und beugt sich zu mir herüber. Ihre Haare sind kinnlang und pechschwarz, ihre Haut hingegen blass. Ich schätze sie auf Ende zwanzig. Niemand ihres Volkes ist älter.
»Craig, du hast recht«, sagt sie. Sie greift in meine Haare und zieht meinen Kopf nach hinten. Ich lasse es geschehen. »Seine Augen haben die Farbe von Bernstein.«
Craig deutet mit dem Lauf der Pistole auf meinen linken Arm. »Kannst du ihm den Mantel ausziehen? Ich will mich davon überzeugen. Vielleicht ist er nur einer der menschlichen Rebellen.«
Der Kerl auf meiner rechten Seite schnaubt. Ich habe den Eindruck, dass er noch fester zupackt als zuvor. Meine Finger beginnen bereits zu kribbeln. »Glaubst du wirklich, ein Rebell käme freiwillig in die Stadt? Wohl kaum. Der ist ein Acrai, darauf wette ich.«
Ich betrachte ihn mit einem Seitenblick. Er sieht jünger aus als die anderen, vielleicht zwanzig. Seine Nase ist schief, als hätte er sie sich gebrochen. Ein junger V23er, noch ungeschliffen und temperamentvoll. Wart's ab, Bürschchen, auch du wirst die Auswirkungen der Mutation mit den Jahren noch zu spüren bekommen.
»Kane, nach deiner Meinung habe ich nicht gefragt«, bellt Craig. Der junge Mann weicht einen Zoll weit zurück, einen Moment lang lockert sich sein Griff ein wenig.
»Hilf Loraine dabei, ihm den Mantel auszuziehen.« Craig drückt mir die Pistole auf die Brust. »Wage es nicht, dich zu wehren oder einen Fluchtversuch zu starten. Du bist sofort tot.«
Читать дальше