Im Allgemeinen legen Personen bei derartigen Entscheidungen gleichzeitig verschiedene Kriterien zugrunde, von denen einige genannt werden sollen:
° wahrgenommene Erfolgsaussichten (Wirksamkeit) einer Handlung
Eine Handlung, von der man sich keinen Erfolg verspricht, d. h. die als nicht wirksam hinsichtlich eines erwünschten Ereignisses angesehen wird, wird unterlassen.
° Aufwendungen (Kosten), die mit der Durchführung einer Handlung verbunden sind
Hohe Aufwendungen schrecken davor zurück, eine Handlung auszuführen
° unerwünschte Nebenwirkungen einer Handlung
Handlungen, die neben einem erwünschten Ergebnis zugleich weitere nicht erwünschte Ereignisse zur Folge haben, werden vermieden
Von welchen Überlegungen kann sich nun Frau Peters bei der Auswahl einer Handlung leiten lassen?
- Sie kann aufgrund der bisher erfolglosen Hinweise auf ihre Kopfschmerzen und die Beeinträchtigung beim Lesen/Fernsehen durch den Musiklärm die Erwartung haben, dass Sören sein Verhalten nicht ändern wird, wenn sie ihm nicht die Musikanlage wegnimmt. Sie befürchtet dann jedoch, dass Sören einen großen Aufstand machen wird.
- Sie kann die Erwartung haben, dass ihr Sohn sein Verhalten ändert, wenn ihr Mann ein Machtwort spricht, befürchtet dann jedoch auch einen Autoritätsverlust ihrem Sohn gegenüber.
- Sie kann sich vorstellen, dass Sören die Musikanlage leiser macht, wenn er dafür ein erhöhtes Taschengeld bekommt, befürchtet aber, dass sie ihn dann auch bei dem Unterlassen anderer ihr unangenehmer Verhaltensweisen belohnen muss.
- Sie ist sich unsicher, ob ein weiterer Versuch einer gütlichen Einigung erfolgreich ist.
- Wenn ihr Sohn Kopfhörer verwendet, dann wäre das eine mögliche Lösung. Sie müsste diese jedoch kaufen, und sie ist sich auch nicht sicher, ob Sören diese Kopfhörer auch immer tragen würde.
- Sie könnte sich vorstellen, dass das Abdichten der Türen eine Lärmverringerung zur Folge hat, ist sich aber nicht sicher, ob dies für sie wirklich eine Erleichterung darstellt.
Wurde die bisherige Auswahl von Handlungen geleitet von Nützlichkeitserwägungen, können Personen sich bei der Wahl zwischen Alternativen auch von Werten leiten lassen.
So können für Frau Peters Verhaltensweisen zur Lösung eines Konflikts nicht in Frage kommen, die versuchen, einen Konflikt mittels Machteinsatzes zu lösen. Unter dem Wertaspekt kommen dann für sie nachfolgende Handlungsalternativen nicht in Betracht:
- den Ehemann zu bitten, ein Machtwort zu sprechen
- mit dem Entzug der Musikanlage zu drohen
- die Musikanlage zu konfiszieren
Im partnerschaftlichen Beziehungskonzept von Thomas Gordon hat die Begründung der Auswahl von Handlungsalternativen durch Werte eine Priorität. Gleichwohl unterstellt er, dass seine Methoden der Verhaltensänderung auch wirksam sind, keine höheren Kosten als andere Methoden verursachen und zudem ein zusätzlicher Nutzen im Sinne einer erhöhten Beziehungsqualität entsteht.
Werte, die das Konfliktlösungsverhalten im Gordon-Modell leiten
Wenn nun die Berücksichtigung von Werten im Gordonschen Beziehungskonzept von großer Bedeutung ist, dann stellt sich die Frage, um welche Werte es sich im Einzelnen handelt. Wertaussagen macht Gordon einmal direkt in Bezug auf Problemlösungsmethoden, zum anderen lassen sich diese über die von ihm verwendeten Methoden erschließen. So sind Werte wie Hilfsbereitschaft, Eigenständigkeit, Einfühlungsvermögen, Offenheit, Rücksichtnahme, Vertrauen, Gerechtigkeit, Toleranz, Selbstkontrolle, Gleichberechtigung, Verantwortlichkeit und Respekt Bestandteil des Beziehungskonzepts.
Hierzu nun einige Wertpräzisierungen bezüglich des vorliegenden Konfliktthemas:
- Personen sollen bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse auch diejenigen von anderen Personen achten.
- Probleme sollen unter Beachtung der Selbstbestimmung von Personen gelöst werden: Bereitet mir jemand ein Problem mit seinem Verhalten, so soll ich ihm die Freiheit lassen, sein Verhalten zu ändern. Im Vordergrund steht damit die Selbstkontrolle des Verhaltens im Vertrauen darauf, dass der andere schon sein Verhalten ändern wird, wenn ihm seine Bedürfnislage dies ermöglicht. So wie ich dem anderen die Freiheit lasse, sein Verhalten zu ändern, muss er mir ebenfalls zugestehen zu entscheiden, ob seine Problemlösung für mich angemessen ist.
- Auch wenn das Verhalten des anderen für mich unannehmbar ist, sollte ich ihn achten. Damit scheiden bestimmte Formen der Auseinandersetzung aus wie beleidigen, beschämen, bedrohen etc. Jedoch gilt zugleich: Ist mir ein Verhalten von anderen unannehmbar, so soll ich dies in aller Offenheit mitteilen.
- Ich sollte mir und anderen gegenüber bei Problemen einfühlsam sein, d. h. mir klar darüber werden, was in mir und im anderen vorgeht.
- In Beziehungen sollten die Partner gleichberechtigt sein: Hieraus folgt dann z. B., dass bei einer Konfliktlösung die Zustimmung aller am Konflikt Beteiligten erforderlich ist.
- In Beziehungen sollte Gerechtigkeit vorherrschen. Hieraus folgt dann z. B., dass eine für alle Konfliktparteien zufriedenstellende Lösung anzustreben ist.
- In Beziehungen sollten die Partner andere Einstellungen und Werte akzeptieren. Dies hat dann zur Folge, dass bei Wertkonflikten nur bestimmte Lösungsmöglichkeiten in Frage kommen.
Einige wesentliche Wertvorstellungen von Thomas Gordon finden sich in seinem Beziehungs-Credo (siehe u. a. Gordon, „Die neue Beziehungskonferenz“, 2001, 12 f.). Greifen wir zum Schluss das o. a. Beispiel noch einmal auf, dann kann gefragt werden, von welchen Wertvorstellungen sich Frau Peters leiten lassen kann, wenn sie Sören zu einer Änderung seines Verhaltens bewegen will:
- Sie kann bei ihrem weiteren Vorgehen die Entscheidungsfreiheit von Sören respektieren, obwohl er bisher ihrem Wunsch nach Lärmverringerung nicht entsprochen hat.
- Zugleich kann sie der Meinung sein, dass der Konflikt von ihr und ihrem Sohn zu lösen sei und nicht durch Mithilfe von anderen.
- Sie kann des Weiteren der Auffassung sein, dass eine einvernehmliche Lösung mit ihrem Sohn gefunden werden sollte.
· Bei der Lösung eines Konflikts kann sich eine Person bei der Handlungsauwahl von verschiedenen Kriterien leiten lassen:
- Kosten und Nutzen einer Handlung
- Nebenwirkungen
- Wirksamkeit (Erfolgserwartung)
- Werten
· Im Rahmen des vorliegenden Lösungs-Konfliktkonzepts wird das Handeln von bestimmten Werten bestimmt.
Eigene Wertvorstellungen für die Vermeidung von Konflikten und deren Lösung
Sie haben nun Wertvorstellungen kennengelernt, die einem partnerschaftlichen Beziehungskonzept zur Vermeidung und Lösung von Konflikten zugrunde liegen. Überlegen Sie, von welchen möglichen Wertvorstellungen Sie sich bei der Lösung und Vermeidung von Konflikten leiten lassen wollen.
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4. Vermeidung von Bedürfniskonflikten
Die Vermeidung von Konflikten
Der Grundsatz aus der Medizin, dass Vorbeugen besser ist als heilen, lässt sich auch auf den sozialen Bereich übertragen: Bevor Bedürfniskonflikte auftreten, ist es besser zu versuchen, diese zu vermeiden. Dieses ist nun auf zwei Wegen möglich:
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