Bernd nickte ihr dankbar zu und zeigte auf seinen Kuchenteller. „Kannst du mir das Stück Schwarzwälder darauf tun? Wieso hat das so ein Loch in der Mitte?“
„Jonathan meinte, es kennzeichnen zu müssen“, ließ Birgit sich vernehmen und ich spürte, wie ich ein wenig rot im Gesicht wurde.
„Kennzeichnen?“ Bernd betrachtete das Stück auf dem Teller vor sich. „Wie - kennzeichnen?“
Wieder war es Birgit, die ihm antwortete: „Jonathan hat seinen Finger in den Kuchen gesteckt, um ihn für sich zu kennzeichnen.“
Erneut sah mich Bernd an und sein Blick war wenig schmeichelhaft. „Was soll das denn, Jonathan? Ein Stück Kuchen kennzeichnen? Hast du Angst, nicht genug abzubekommen? Hier“, er schob mir den Teller hin. „Ich will dir ja nicht dein Stück wegessen.“
„Also Bernd, das ... das ...“ Verlegen schwieg ich und blickte auf den Tisch vor mir, während sich der Teller mit dem Sahnestück in mein Sichtfeld schob.
„Gut, kommen wir zum Grund unseres heutigen Meetings“, ließ sich mein Freund und Chef vernehmen, während Jennifer nun den gesamten Kuchen an Birgit, Christine und Bernd verteilte. Sollte mir wirklich nur dieses eine, ramponierte Stück bleiben? Und wo war meine Gabel? Vergeblich suchte ich nach der Kuchengabel.
„Ich werde euch nicht lange aufhalten“, fuhr Bernd fort und ließ sich ein Stück Torte mit Karamellnüssen schmecken. Das war eigentlich das zweite Stück, das ich mir ausgesucht hatte ...
„Es geht um die kommenden Ostertage und den Dienstag danach. Momentan haben wir hier nicht sonderlich viel zu tun - was auch den Feiertagen geschuldet ist - und so möchte ich die Gelegenheit für einige dringend notwendige Renovierungsarbeiten nutzen.“
Ich stöhnte verhalten. Sollte ich nun vielleicht während der Feiertage mein Büro neu streichen? Bernd kam aber auf die merkwürdigsten Ideen ...
„Das bedeutet, dass ich hier ab Morgen bis einschließlich Dienstag alles dicht machen werde, was für euch einem bezahlten Kurzurlaub entspricht.“
Ich atmete auf. Doch keine Zusatzarbeit für mich, stattdessen ein Kurzurlaub. Wie die Mädels auch könnte ich mit meinem treuen Partner Bingo eine Reise antreten. In Gedanken ging ich die verschiedenen Ziele durch. Amerika strich ich allerdings von meiner Liste, da ich mit Bingo bei der Einreise Probleme haben dürfte.
„Jonathan - Jonathan?“, vernahm ich Bernds Stimme und blickte auf. „Hörst du überhaupt noch zu. Und warum isst du deinen Kuchen nicht?“
„Ich höre zu und ich habe keine Gabel.“
Birgit hielt mir eine Kuchengabel quer über den Tisch hin. „Hier nimm die.“ Überall klebten Sahnereste daran.
„Ist die gebraucht?“
Birgit nickte. „Passt doch irgendwie zu deinem Kuchen ...“
„Also, Jonathan, wovon sprach ich zuletzt?“, meldete Bernd sich wieder zu Wort.
Ich überlegte. „Vom Kurzurlaub?“ gab ich leise von mir und merkte, wie Chrissi und Birgit grinsten.
„Nein, Jonathan. Ich sprach von dem Mittwoch nach eurem Urlaub. Aber für dich wiederhole ich mich gerne noch einmal: Ich möchte, dass ihr alle pünktlich um acht Uhr im Krav Maga Studio seid. Wir halten auf dem Parkplatz eine Feuerwehrübung ab, dazu wird extra ein Feuerwehrmann der Wache in Rheydt zu uns kommen. Es geht um Brandschutz und Brandbekämpfung. Und ich möchte nicht, dass jemand von euch unpünktlich ist.“
Aus einem Reflex heraus - und weil ich mich auf den Urlaub mit Bingo so freute - sprang ich auf, legte die rechte Hand zum Gruß an die Stirn und gab mit fester Stimme von mir: „Qui mon Feuerwehrgeneral.“ Dann wurde mir von der plötzlichen Bewegung ein wenig schwindelig und ich stützte mich mit der Hand auf dem Tisch auf. Dummerweise fasste ich dabei genau in meinen Sahnekuchen.
Nahezu gleichzeitig schüttelten Bernd, Chrissi, Jennifer und Birgit ihre Köpfe.
Direkt nachdem Bernd das Meeting als beendet erklärt hatte, stürmte ich in mein Büro zurück. Jetzt galt es, möglichst schnell ein Zimmer zu buchen, damit Bingo und ich unseren Kurzurlaub genießen konnten.
Natürlich nahm ich das ramponierte Stück Sahnekuchen mit.
„Jonathan, wo willst du so schnell hin? Wir woll...“, hörte ich Bernd noch sagen, doch dann war ich schon durch die Tür. Was immer Bernd noch von mir wollte, würde warten müssen.
Ich stellte das Stück Kuchen vor mich auf den Schreibtisch und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Gut, das Loch oben in der Mitte und der zermatschte vordere Teil störten den leckeren Anblick ein wenig, doch wie sich gezeigt hatte, war meine Kennzeichnung sinnvoll gewesen. Von dem alten Weser konnte man wirklich noch etwas lernen.
In den Schreibtischschubladen suchte ich nach einer Gabel oder einem Löffel, fand aber nichts dergleichen. Ich würde also noch in unsere kleine Kaffeeküche gehen müssen, um mir Besteck zu besorgen. Andererseits sollte ich so schnell wie möglich ein Zimmer buchen, denn mir war klar, dass die Nachfrage nach Übernachtungsmöglichkeiten über die Ostertage nicht gering sein würde. Mein Blick wanderte zwischen dem Kuchenstück und dem Telefon hin und her. Ich würde mich entscheiden und Prioritäten setzen müssen.
Doch dann kam mir ein wundervoller Gedanke, eine richtige Jonathan Lärpers Idee, wie ich um eine Entscheidung herumkam.
In dem Moment, als ich mit der rechten Hand die Nummer ins Telefon tippte und mir mit der linken Hand das Kuchenstück in den Mund stopfte, betrat Bernd mein Büro.
Er blieb im Türrahmen stehen und sah mich verwundert an. „Das glaube ich jetzt nicht“, stöhnte mein Freund und Chef. „Erst bohrst du ein Loch in das Kuchenstück und dann schlingst du es mit bloßen Fingern herunter? Hast du das auch von Weser?“
Ich schüttelte den Kopf und kaute ein wenig schneller, um meinem Freund Rede und Antwort zu stehen. Dabei verschluckte ich mich allerdings und etwas von dem Sahnekuchen landete wieder auf meinem Schreibtisch.
Aus dem Telefonhörer drang eine Stimme, die irgendetwas auf Holländisch sagte und als ich nicht antworten konnte, unwillig die Verbindung unterbrach. Ich legte den Hörer aus der Hand und suchte nach einem Papiertaschentuch, um die Sahne abzuwischen.
Bernd sah mir derweilen kopfschüttelnd zu.
„Ich hatte doch keine Gabel ...“, konnte ich schließlich erklären und nahm dankbar das angebotene Taschentuch.
„Wenn du möchtest, dann hole ich dir eine aus der Küche“, meinte Bernd ernst.
„Danke, das ist sehr lieb von dir, doch jetzt ist das Stück ja gegessen.“ Ich überlegte, ob - falls Bernd wirklich in die Kaffeeküche gehen sollte - er mir nicht direkt einen Kaffee mitbringen sollte, doch er schüttelte lediglich tadeln den Kopf.
„Jonathan, es gibt da ein paar Dinge, die du unbedingt ändern solltest“, meinte er streng. „Dazu gehören natürlich deine Essmanieren und diese dämlichen Angewohnheiten, die du dir bei Herrn Weser abgeguckt hast. Aber deswegen wollte ich nicht mit dir sprechen.“
Ich atmete erleichtert auf und überlegte, worauf Bernd hinauswollte. Vielleicht plante er ja einen ‚Männerurlaub‘, so wie die Frauen ihren Mädelsurlaub. Ich lächelte meinen Freund selig an.
„Und gewöhn dir bitte dieses dämliche Grinsen ab, das ist ja kaum zum Aushalten. Ich muss mit dir wegen deines Auftrages sprechen. Adriano Puddu, auch Adrio Pu. Du erinnerst dich doch an den Sänger?“
Ich nickte. Also doch kein ‚Männerurlaub‘ ...
„Es hat massive Beschwerden wegen deines Verhaltens gegeben, Jonathan. Du musst solche diffizilen Aufträge mit mehr Fingerspitzengefühl handhaben. Solche Aktionen, wie du sie in dem Supermarkt abgezogen hast, schaden unserem Image. Ich habe die Sache nur mit einiger Mühe wieder geradebiegen können.“
Ich unterdrückte ein Lächeln. Ja, mein Chef stand in jeder Hinsicht hinter uns und hielt uns auch bei den schwierigsten Aufträgen den Rücken frei. Während ich die Sahne von meinem Schreibtisch wischte, blickte ich Bernd treuherzig an.
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