1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Knuspernd schmatzend wendet er sich zum Fenster und reißt den behördengrauen Vorhang vor die Sonne, ohne sich hierbei aus dem Bürostuhl zu erheben.
Mit harten Schlägen hackt er mit zwei suchenden Zeigefingern die ersten Erkenntnisse in die Tastatur. Er will dem bereits vorab ausschweifend informierten Staatsanwalt Schmidt, nach dem soeben beendeten Telefonat, eine erste Schriftlage überstellen.
Das Klappern der Tasten übertönt das Surren der Sicherheitsschleuse im Eingangsbereich des Flures vom Rauschgiftdezernat. Dort tritt gerade Tim Dombrowski mit forschem Tempo auf den Gang. Eilig sucht er die Bürotür von Otto auf und stellt sich noch mit Jacke bekleidet in den Türrahmen.
«Typisch! Keine Zeit am Telefon. Mir nichts erzählen können, aber den Mund voller Kekse haben. Das sieht dir ähnlich», ruft er gehässig in den Raum. Otto verschluckt sich vor Schreck an den trockenen Keksen und verteilt dabei einige Krümel auf dem aschfahlen Schreibtisch. Er nimmt einen großen Schluck von dem inzwischen abgekühlten Kaffee und wendet sich erst dann dem lauernden Dombrowski zu, der ihn mitfühlend anschaut.
«Du hörst dich an wie meine Frau», erwidert Otto und zieht die Mundwinkel leicht nach unten. Dabei schiebt sich die Unterlippe ein wenig über die schmale obere Lippe.
«Was liegt an, mein Lieber?», fragt Dombrowski ohne weiter auf den noch immer leicht schmollend anhustenden Otto einzugehen.
«Pass auf! Der Chef hat einen Anruf von einem unbekannten Teilnehmer bekommen, einem Hinweisgeber, der ihn auf dem Ohlsdorfer Friedhof treffen wollte. Da ist er hingefahren und hat dort einen ihm nicht weiter bekannten Südländer getroffen. Der hat ihm ein Pinneberger Kennzeichen genannt hat. Das Kennzeichen soll zu einem Laster gehören, der aktuell größere Mengen Kokain aus Spanien abholen soll. Und als Krönung des Ganzen ist unser guter alter Freund Cemal involviert.» Zufrieden grinsend lehnt sich Otto im Bürostuhl zurück und beginnt freudig zu strahlen.
«Und wann kommt der Laster? Oder wo ist der gerade? Wer ist der Fahrer und wohin wird er fahren? Zu welcher Firma gehört er und wie und wann waren seine letzten Routen?», fragt Dombrowski fordernd, doch Otto reagiert achselzuckend. Das breite zufriedene Grinsen entschwindet ihm dabei aus dem Gesicht.
«Dann rufe ich mal die Franzosen an. Schreibst du mir das Kennzeichen auf?», ergänzt Dombrowski auf die stumme Reaktion von Otto.
«Den Auszug vom Kennzeichen habe ich dir schon per E-Mail weitergeleitet. Aber was willst du von den Franzosen?», fragt Otto und runzelt die Stirn.
«Du weißt nicht, wo der Laster in Spanien ist?»
«Nö.»
«Du weißt nicht, wer der Fahrer ist und wie seine Rufnummer lautet, um ihn orten zu können?»
«Nö.»
«Welches Land liegt zwischen Deutschland und Spanien?»
«Holland.»
Dombrowski verdreht lächelnd die Augen. «Welches Land noch? Fängt mit Frank an und hört mit Reich auf.»
«Ja, Frankreich. Weiß ich doch.»
«Dann weißt du jetzt ja, warum ich die Franzosen anrufe.»
«Nö.»
Dombrowski wendet sich kopfschüttelnd von Otto ab und geht in sein gegenüberliegendes Büro. Dort setzt er sich zunächst hin und wirft ein paar verstreute Akten unsortiert auf einen Stapel. In seinem Telefonbuch sucht er nach der Rufnummer von Claire von der Police National. Mit ihr hatte er bereits einige Male zusammengearbeitet, ohne die umständlichen Hürden und Bürokratien der europäischen Rechtshilfe berücksichtigen zu müssen. Sie sitzt in der französischen Botschaft in Berlin und hilft immer gerne, wenn sich Fragen auftun.
«Jetzt weiß ich, was du vor hast», ruft Otto lauthals rüber und schiebt sich im Anschluss einen weiteren Keks in den Mund.
Ein Freizeichen erklingt in der Muschel des Telefons und nach wenigen Sekunden erklingt die liebliche Stimme der vertrauten Französin. Immer wieder gerne schaut sich Dombrowski ihr Profilbild an, wenn er von ihr eine Anfrage per Messenger erhält.
«Bonjour Tim. Wie geht es dir?»
«Moin moin Claire. Ca va bien. Merci. Et toi.»
«Sehr gut. Wollen wir heute auf Französisch miteinander sprechen?», antwortet die zarte Stimme mit leichtem Akzent.
«Heute noch nicht», erwidert Dombrowski und lacht verschmitzt. «Ich habe einen Hinweis für euch. Ich schicke dir gleich ein Kennzeichen von einem Laster. Falls der aus Spanien bei euch einreist, dann könnt ihr den komplett auseinandernehmen. Wir wissen nicht wie und wo drin, aber er transportiert höchstwahrscheinlich größere Mengen Kokain von Spanien nach Deutschland.»
«Sehr gut. Dann schicke mir eine Nachricht mit dem Kennzeichen und ich werde schauen, was wir machen können. Willst du eine Benachrichtigung erhalten, wenn wir ihn angehalten haben?», fragt Claire.
«Auf jeden Fall. Ruf mich bitte sofort an, wenn ihr ihn habt. Ich bin gespannt und freu mich auf deinen Rückruf», antwortet Dombrowski. Er leitet dabei die von Otto erhaltene Email an Claire weiter.
«Dann melde ich mich. Bis bald.»
«Tschüss», verabschiedet sich Dombrowski und legt nach einem verträumten Moment den Hörer auf.
«Ich bin gespannt und freu mich auf deinen Rückruf», äfft Otto seinen soeben säuselnden Kollegen nach und lehnt sich mit dem Kaffeebecher in der Hand gegen den Türrahmen. Langsam beginnt er dabei lauter werdend und gehässig glucksend zu lachen.
13
Im Café International an der Wilstorfer Straße in Hamburg-Harburg herrscht weiterhin reges Treiben vor dem Laden.
Cemal hat sich in das zugehörige Büro auf der Rückseite des Gebäudes zurückgezogen. Zähneknirschend starrt er auf sein dunkles Smartphone und wartet auf Antworten, die er aber seit Längerem schon nicht mehr bekommen hat.
Kleine Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn und der breiten Oberlippe. Immer wieder gibt er den Sperrcode ein, um in das verschlüsselte Messengerprogramm zu gelangen. Er wartet kurz auf neue Nachrichten, aktiviert dann wieder den Sperrbildschirm und legt das Telefon zurück in eine Schublade vom Schreibtisch.
Cemal zieht aus einer auf dem Tisch liegenden, rotweißen Schachtel eine Zigarette heraus und steckt sie sich in den Mund. Es ist bereits die Dritte seitdem er den Raum betreten hat. Nervosität steigt in ihm auf, bei dem Gedanken an die anstehenden Kosten, die er zu begleichen hat. Zwei Wochen hatte er Zeit bekommen, um die Lieferung umzusetzen und den Kaufpreis zu bezahlen. Die Furche zwischen den dunklen, breiten Augenbrauen ist noch tiefer als sonst. Sein Gesichtsausdruck ist leer und der Verlust von Faruk als rechte Hand wiegt noch immer schwer. Niemand war so vorsichtig und verlässlich im Vertrieb, wie sein Freund aus Kindestagen.
Wieder holt Cemal das schwarze Smartphone aus der Schublade und gibt eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen ein. Vom Kontakt Roadrunner hat er noch immer keine Antwort erhalten. Jedes Mal muss er bei ihm warten. Faruk hatte stets sofort geantwortet.
Zumindest arbeitet Roadrunner umsonst für Cemal, um eigene Schulden bei ihm abzuarbeiten. Nachdem ihm Ware geraubt wurde, hat Cemal ihn unter Druck gesetzt, dass er dafür geradestehen muss. Der Raub geschah kurz nachdem Roadrunner das Kilogramm Marihuana von einem Freund von Cemal erhalten hatte. Cemal muss bei dem Gedanken daran leicht Schmunzeln, wie einfach er den Jungen für sich festmachen konnte, durch diesen initiierten Raub. Diese naiven Jungs lassen sich immer wieder von Begriffen wie Stolz, Ehre und Freundschaft einfangen und dann leicht ausnutzen.
Gelegentlich erhält der Junge ein wenig Taschengeld von Cemal zum Leben. Viel braucht er ja nicht. Er wohnt in einer vom Amt bezahlten Bude, hat kein Auto und keinen Führerschein. Er hat keine Arbeit, kaum Freunde und steht somit tagtäglich für kleine Jobs zur Verfügung. Außerdem hat er ein Auge auf die Bedienung von Cemal geworfen. Die machte ihm kurzzeitig schöne Augen, beachtet ihn jedoch schon länger nicht mehr.
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