Die bereits wärmende Frühjahrssonne brennt auf die Arbeiter nieder, lässt sie trotz der elektrischen Helfer ins Schwitzen kommen, während sie im Akkordtempo die verschiedenen Paletten in die aufgeheizten Laderäume der Aufleger fahren.
Gerade beladen sie an Luke Nummer vier eine blaue Zugmaschine mit weißem Anhänger. Auf dessen Wänden beidseitig mit orange-roter Farbe die Silhouette eines Eichhörnchens abgebildet ist.
Über die Zufahrt zum Grundstück der Spedition fahren immer wieder kleine und große Transporter, kleine Laster oder große Zugmaschinen, die zu transportierende Waren anliefern oder sich mit ihnen auf die weite Reise gen Europa machen.
Direkt gegenüber von der Spedition Portador, getrennt durch eine breite Straße, stehen auf einer weitläufigen Grünfläche drei blaue Vierzigfußcontainer aneinandergestellt. In die Stahlwände sind große Fenster geschnitten, die einen Blick auf das rege Treiben in ihnen zulassen. Die Ausschnitte sind als schattenspendende Vordächer an die Container geschweißt.
In ihnen arbeiten weiß gekleidete Köche, die durchgehend damit beschäftigt sind, Baguettebrötchen in schmackhafte Bocadillos zu verwandeln oder warme Speisen zu kochen.
Unter den vor den Kochcontainern als Sonnensegel aufgespannten, im Wind schwankenden Planen sitzen auf den verteilten Bänken die spanischen und ausländischen Lastwagenfahrer. An hellen Tischen lassen sie sich das spanische Essen schmecken. Ein letzter Genuss bevor sie wieder in ihre Fahrzeuge steigen, zum Teil für lange Zeit einsam in ihren Fahrerkabinen sitzen und alleine zu ihrem vorgegebenen Ziel fahren.
Hier tauscht man sich aus über Fahrtrouten und Baustellen, über Erlebnisse auf den Autobahnen Europas oder über jegliche Sportarten und ihre Ergebnisse.
An einem der Tische sitzt Pawel Kaminski, der vor sich eine große Schale mit einem Eintopf aus Kartoffeln, Paprika und Tomaten, Chorizo und mediterranen Kräutern stehen hat. Er rührt gemächlich mit einem hellen Brot durch die tiefrote, scharfe Soße. Gelegentlich beißt er aufschmatzend ein Stück von dem weichen, vollgesogenen Brot ab.
Auf der hohen Stirn, die von gräulichen, wilden Haaren umrandet ist, und auch auf der Oberlippe, stehen vereinzelte Schweißperlen, die er gelegentlich mit einem Stofftaschentuch abtupft. In die Stirn ragt ein schmaler Haarstrang hinein, dessen Spitzen feucht in den tiefen Falten kleben. Auf der Nase trägt Pawel eine Brille, die ihn seit vielen Jahren durchs Leben begleitet und seine blauen Augen mit einem dünnen grauen Stahlrahmen einfasst.
Unter der schlanken Nase lässt er sich einen schmalen Schnurrbart stehen, der kurz getrimmt ist und seitlich bis in die Mundwinkel reicht.
Der aufsteigende Dampf trägt den herrlich würzigen Geruch in seine Nase, während er die nächsten Bissen zerkaut.
Pawel sitzt etwas abseits der übrigen Gäste. Er mag die Einsamkeit, die ihm durch den Beruf des Fernfahrers täglich gegeben ist. Er scheut die Gesellschaft und genießt den Moment der Ruhe.
Immer wieder taucht er das Brot in die Soße, beißt ein Stück ab, bis der Eintopf spürbar abgekühlt ist, so dass er endlich zum Löffel greifen kann.
Ein leichter Bauchansatz drückt sich über den enggezogenen Gürtel der blauen Jeans, die lässig auf den dunklen Turnschuhen aufliegt.
Nach wenigen Minuten hat er die Schüssel leer gegessen. Er greift nach dem Bocadillo, das er sich vorsorglich für den Abend gekauft hat, und steht auf.
Sein Geschirr lässt er stehen, wischt sich noch einmal den Mund ab und wirft die benutzte Papierserviette in die Schale hinein.
Mit schnellen Schritten läuft Pawel über die Straße in die Einfahrt der Spedition und geht ein wenig langsamer, nachdem er das Gelände der Spedition Portador betreten hat.
Nach kurzer Zeit kommt er an der Luke vier an, wo er vor einer guten Stunde seine Zugmaschine geparkt hatte, um die zu transportieren Güter verladen zu lassen. Auf die Zusammenstellung der Paletten nimmt er hierbei keinen Einfluss. Er achtet nur darauf, dass er das Gesamtgewicht nicht überschreitet und die Ladefläche möglichst sinnvoll mit Europaletten genutzt wird.
Zufrieden blickt er in den Anhänger, der zwischenzeitlich voll beladen wurde. Der Vorarbeiter tritt an ihn heran und überreicht ihm das Klemmbrett mit den Ladepapieren. Pawel unterschreibt an der Stelle, die ihm der Vorarbeiter mit leichtem Brummen und einem blauen Kreuz markiert hat. Er reißt das Original für sich ab und übergibt den Durchschlag samt Klemmbrett an den Vorarbeiter.
«Gracias. Adios», sagt er mit ruhigem Tonfall. Die einzigen spanischen Worte, die er beherrscht. Seit Jahren fährt er immer wieder von Deutschland nach Spanien und zurück. Dennoch hat er es nie für nötig gehalten, sich ein paar mehr Wörter anzueignen, um sich auch hier mal verständigen zu können. Ihn freut es, dass er Polnisch und Deutsch sprechen kann. Das ist völlig ausreichend für sein Leben.
«Hasta luego», antwortet der Vorarbeiter und wendet sich von Pawel ab. Er widmet sich dem nächsten Fahrer, der eine Luke weiter steht und ebenfalls auf die entscheidenden Transportpapiere wartet.
Pawel schließt bereits die Ladetüren, um endlich aufbrechen zu können. Er steigt von der Rampe, geht zum Führerhaus, öffnet die Tür und steigt zum Sitz hinauf. Auf seinem Fernfahrerthron fühlt er sich wie ein kleiner König der Straßen Europas.
Mit lautem Brummen startet der Motor der Zugmaschine und er legt den ersten Gang ein. “Auf geht’s.” ruft er freudig und lässt die Kupplung langsam kommen. Allmählich setzt sich sein Sattelzug in Bewegung.
9
Direkt neben dem größten Einkaufszentrum südlich der Elbe in Hamburg verläuft die zweispurige Wilstorfer Straße. Der belebte Verkehr lässt die warme Luft im Sonnenschein nach Abgasen riechen. Die Motorengeräusche dröhnen in den Ohren der Gäste vom Café International. Sie sitzen vor den Milchglasscheiben vom Café an mehreren kleinen Holztischen und unterhalten sich lautstark miteinander.
Es wird gelacht, eher sogar laut aufgebrüllt vor Freude und Heiterkeit. Einige Besucher stehen um die sitzenden Gäste herum und beteiligen sich an dem Gerede, welches zum Teil in mehreren Sprachen gleichzeitig gestenreich geführt wird.
An einem der Tische sitzt auch Cemal Sarikaya. Seine frisch rasierte Glatze leuchtet im Sonnenschein. Das weiße Hemd lässt den Teint seiner Haut noch brauner erscheinen. Seine dunkle Stoffhose und die schwarzen Lederschuhe, die er trägt, lassen ihn zwischen seinen Freunden und Gästen deplatziert wirken. Sie selber tragen zumeist helle und dunkle Trainingshosen, Sportschuhe und luftig geschnittene T-Shirts.
Die Mehrzahl von ihnen hat einen mehr oder weniger langen Vollbart. Auch Cemal hat einen dunklen Bart, den er gerade erst am Morgen beim nebenan eröffneten Barbershop zurechtstutzen lassen hat.
«Cemal, Digger, das kannst du dir doch nicht gefallen lassen.»
«Die sollen dich endlich in Ruhe lassen.»
«Digger, was denken die eigentlich», sprechen seine Gäste auf Cemal ein. Er sitzt stoisch in seinem Stuhl, hat die Finger ineinander verfächert, wobei er die Zeigefinger ausgestreckt hält und mit den Fingerspitzen immer wieder gegen seine Nasenspitze tippt.
Grübelnd blickt er zu einem in Sichtweite geparkten Van, dessen Heckscheiben abgedunkelt sind.
«Du musst denen jetzt mal zeigen, dass sie nicht alles mit dir machen können. Du bist ein freier Mann.»
«Die können hier doch nicht ewig rumlungern», sprechen die nächsten beiden Gäste auf Cemal ein.
«Lasst sie doch im Kofferraum sitzend schwitzen. Irgendwann werden die schon die Lust an uns verlieren», erwidert Cemal mit ruhigem Tonfall. Er trinkt einen kleinen Schluck schwarzen Tee aus einer gläsernen Tasse, die er im Anschluss auf einem Blechtablett abstellt.
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