‚ So ein Quatsch! ‘, huschte ihm ein schelmisches Lächeln übers Gesicht. Denn auf einmal musste er an Sophia denken, die hier einfach aufgetaucht war und ihn quasi in Vorbeigehen vernascht hatte, wie ein Erdbeereis an einem sonnigen Tag, und sie, hatte er ja auch begehrt. Doch je mehr er darüber nachdachte, umso benutzter fühlte er sich.
Daher sehnte er sich in die vertraute Einsamkeit seiner Höhle zurück und nach dem Wahnsinnsgefühl, oben auf den Kackfelsen zu stehen, der ihm jederzeit die Möglichkeit bot, dies alles hier selbstbestimmt zu beenden. Denn nur dort oben fühlte er sich wirklich frei in der Entscheidung, was seine Zukunft betraf. So verabschiedete er sich Wortkarg von Sophia und verließ kurz darauf Roswitas Wohnung und machte sich auf, in seine Eremitage zurückzukehren.
Schon von weitem konnte Martin flackernde, helle Lichter sehen, die seine geliebte Bucht erhellten. Missmutig, dort nicht die ersehnte Einsamkeit zu finden, ging er deswegen nicht hinunter zur Bucht, sondern um sie herum und zum alten Kackfelsen hinauf.
Oben angekommen, hielt er erstaunt die Luft an, als er zur Bucht hinuntersah, ehe er sich im nächsten Moment bäuchlings nach vorne auf die noch warmen Steine fallen ließ, um nicht gesehen zu werden.
Denn dort unten am Strand hatten sich nicht ein paar Touristen versammelt, wie er zunächst vermutet hatte. Sondern dort unten schritt eine Prozession aus Frauen, die lediglich mit einem Blumenkranz auf dem Kopf bekleidet waren, um einen Kreis aus grünen und roten Fackeln. Währenddessen rezitierten sie irgendwelche Verse in einer Art Singsang, die er nur kaum oder nur bruchstückhaft verstand und die wohl irgendetwas über einen Rundgang aussagten, den sie gerade beschritten.
Ungläubig blinzelnd kniff er sich mit dem rechten Daumen und Zeigefinger in den linken Unterarm, um auszuschließen, dass er träumte. Doch der Schmerz war so real, wie dann wohl auch die Prozession der spärlich bekleideten Frauen, die er unter sich sah. So wagte er kaum zu atmen, während er sich die Szene unten am Strand genauer besah.
In der Mitte des Kreises befanden sich zwei sorgsam geschichtete, unterschiedlich hohe Holzhaufen. Davor stand ein steinerner Tisch, der wie ein Altar aussah und auf dem zwei Kerzen brannten. Zwischen den Kerzen befand sich auf einer kleinen weißen Decke ein Kelch, sowie auf einer kleinen schwarzen Decke ein silberner Dolch. Davor standen in einer Reihe vier silberne Schalen.
Außerhalb des Kreises entdeckte er links und rechts mehrere kleine Tische, die in einer Reihe standen und auf denen sich Früchte, Käse, Brote, sowie Flaschen mit rotem Inhalt befanden. Auf den Boden davor standen mehrere Stallleuchten, deren Kerzen im inneren jedoch nicht brannten.
Nachdem er beobachtet hatte, wie die Damen den Kreis noch 2-mal abgeschritten waren, blieben sie mit einem Mal stehen und stellten sich mit den Rücken zum Holzhaufen auf, während sie vernehmlich summten. Dann lösten sich vier Frauen feierlich aus dem Kreis und schritten zu dem vermeintlichen Altar.
Dort angekommen, ergriff sich jede der Frauen eine Schale und zündete deren Inhalt mit einem Streichholz an, der daraufhin so stark zu qualmen anfing, dass Martin einen Moment später meinte, Rosen, Weihrauch und Flieder zu riechen.
Mit der vor sich hin räuchernden Schale in beiden Händen haltend, stellte sich jede der vier Frauen mit den Rücken den Holzstapeln zugewandt, in eine der vier Himmelsrichtungen auf. Daraufhin verstummte das Summen und der Rest der Frauen drehte sich wie auf ein geheimes Zeichen hin zu den vier Frauen um.
Einen Augenblick später trat eine der Frauen ein Stück vor und hob ihre Schale bedächtig über den Kopf, während sie so laut sprach, dass selbst Martin sie deutlich hören konnte: „Ich rufe den purpurroten Wind des Ostens; Ort der heiligen Energien. Wir, die Senoras del la Luna llena, erbeten deinen Schutz!“. Dann führte sie andächtig die Schale zurück in die Ausgangsposition und trat einen Schritt zurück.
Daraufhin trat die Frau rechts von ihr einen Schritt nach vorne und sprach ebenfalls laut und deutlich: „Ich rufe den weißen Wind des Südens; Ort der Musik und des Wohlstands. Bedenke uns mit Poesie und Überfluss!“. Und ebenso wie ihre Vorgängerin und die beiden Frauen, die noch folgen sollten, hob auch sie ihre Schale während ihrer Fürbitte über den Kopf und trat zurück, sobald sie diese vorgetragen hatte.
So löste sich auch die Frau zu ihrer rechten aus dem Kreis heraus, ehe sie feierlich sprach: „Ich rufe den braunen Wind des Westens; Ort des Lernens und des Tods. Beschenke uns mit Wissen!“.
Die letzte Frau, die vortrat, erkannte Martin sofort an ihrer Stimme, war es doch die Frau, die vor ein paar Tagen so viel zu diesem Ort zu erzählen wusste! „Ich rufe den schwarzen Wind des Nordens; Ort des Kampfes und der Schlacht. Bestärke uns an diesem Ort!“
Nachdem auch diese Frau ihre Fürbitte vorgetragen und an ihren Platz zurückgekehrt war, kehrte für einen Moment Ruhe ein. Dann traten alle 4 Damen gleichzeitig vor und durch die anderen hindurch, bevor sie den Kreis 3-mal andächtig umrundeten, wobei sie die qualmenden Schalen vor sich hin und her schwenkten. Danach blieben sie abrupt stehen, wandten sich wie auf ein geheimes Kommando nach rechts und trugen die noch immer vor sich hin räuchernden Schalen zum Rand des Kreises.
Dort stellten sie die Schüsseln ab, bevor die Dame des Nordens noch einmal ihre klare Stimme erhob: „Der Kreis ist somit geschlossen. Wir befinden uns nun zwischen den Welten. Zeit und Raum sind daher nicht mehr existent!“.
‚ Ja, wo bin ich denn hier gelandet?‘, staunte Martin währenddessen, dem diese Szenen doch sehr surreal vorkam. Erst als er kurz darauf zum hellen Vollmond hinaufschaute, fiel ihm ein: ‚ Ach ja, heute ist Walpurgisnacht!‘. Jedoch verflog diese Erkenntnis bei genauerer Betrachtung sofort wieder, da dies hier nichts mit der Mär von auf Besen reitenden Hexen zu tun hatte, die gerade ihren Sabbat feierten. Erinnerte er sich doch noch recht genau an die Geschichte, die ihm seine Urgroßmutter erzählt hatte, als er klein war. Dennoch lief ihm ein kurzer Schauer über den Rücken, während er darüber nachdachte. Dann jedoch forderte eine neue Szene seine Aufmerksamkeit.
Denn eine Frau hatte den Kelch vom Altar genommen und wandte sich einer Frau mit einem blauen Kapuzenumhang zu, die neben ihr am Altar stand. Als Martin diese Frau näher betrachtete, entdeckte er den silbernen Dolch, der zuvor auf der schwarzen Tischdecke gelegen hatte. Diesen hielt die Frau nun so locker in ihrer rechten Hand, dass er ihn im ersten Moment für einen Zauberstab gehalten hatte. Währenddessen hatte die Frau mit dem Kelch sich vor ihr niedergekniet und den Kelch auf Augenhöhe angehoben. In dieser demütigen Position verharrte sie einen Augenblick, bevor sie mit klarer Stimme sprach: „Seht den Kelch, das Symbol der Göttin, der großen Mutter, die allen Menschen Fülle und Wissen schenkt!“.
Daraufhin nahm die Frau mit dem blauen Kapuzenumhang den Dolch andächtig in beide Hände und führte diesen langsam mit der Spitze nach oben, bis auf Augenhöhe. Dann erhob auch sie ihre Stimme: „Seht die Athame, das Symbol des Gottes, des Allvaters, der allen Menschen Kraft und Energie verleiht!", dabei präsentierte sie den Dolch allen Anwesenden, bevor sie diesen wieder auf Augenhöhe zurückführte.
Dort verharrte sie einen Moment, bevor sie ihn in die rechte Hand nahm und den Dolch mit der Spitze nach unten drehte. Langsam senkte sie diese Hand dann nach unten, in Richtung des Kelchs, dabei erschauderte Martin innerlich. Denn nun erkannte er die Frauenstimme.
„Ihrer Vereinigung entspringt alles Leben!", führte Roswita weiter feierlich aus, während sie die Athame langsam in den Kelch eintunkte. Dann führte sie den von Wein tropfenden Dolch ebenso feierlich zu ihren Lippen und küsste deren Schaft. Mit den Worten: "Seid gesegnet!", legte sie die Athame vorsichtig zurück auf den Altar, bevor sie den Kelch entgegennahm, den sie ebenfalls auf den Tisch abstellte.
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