15. November, Freitag. Trotz meines Befehls, sehr zeitig abzufahren, kam es erst um 6 Uhr vormittags dazu: Ich habe ja eigentlich nichts mehr zu befehlen, so mag es denn sein. (Emin rechnete mit seiner Abberufung, da er offenbar gegen Räumung der Südstationen remonstriert hatte. Er war jetzt im Begriff, sich nach Khartum zu begeben, konnte aber wegen der Flussverstopfung sein Ziel nicht erreichen und musste umkehren. Viel scheint mir zu der Spannung mit Gordon auch beigetragen zu haben. dass Emin und sein direkter Chef Gessi so gar nicht zusammenpassten. Beide beurteilen sich gegenseitig schlecht — und wohl meist ungerecht.) Überall frische neue Blüten; alle Bäume überladen damit. Um 9 Uhr vormittags haben wir an der Holzstation Bor, oberhalb der eigentlichen Station, angelegt, wo auf meinen Befehl Soldaten stationiert wurden, die, in vierzehn Tagen sich ablösend, stets Holz für die Dampfer vorrätig halten. Nachdem wir uns hier mit Holz versehen, geht es um 2:20 nachmittags weiter nach Bor, wo wir um 3 Uhr nachmittags ankommen und uns zur Abwicklung der laufenden Verwaltungsgeschäfte bis um 5:15 nachmittags aufhalten. Einzelne Beamte wurden abgesetzt — leider nötig. Obgleich widerwillig — die Leute möchten gern hier nachten —, wird dann abgereist.
16. November, Sonnabend. Die ganze Nacht wird mit kurzen Aufenthalten durchfahren. Der Fluss ist seit meiner letzten Anwesenheit gestiegen; immer noch schwimmende Inseln. Trübes Wetter, Baudah. Nach sehr langsamer Fahrt sind wir endlich um 1:35 nachmittags in Schambé angekommen, wo leider zur Ausbesserung einiger Schäden in der Maschine sowie um hinreichend Holz zu nehmen, einige Tage vergehen werden.
Sanguinische Briefe Gessi‘s: Ich traue dem nicht recht; wer zu viel verspricht, hält wenig. Es war mit seiner Kaffa-Expedition ebenso.
Die Neger erklären sich bereit, mich bis hinter die obere Barre zu bringen; ich fürchte nur, dass weiter unten im Nuëhr-Lande andere Barren mich aufhalten, doch wird wohl dort ein Dampfer von Khartum liegen.
17. November, Sonntag. Wir haben Getreide ausgeschifft, was sehr erwünscht, da seit einem Monat kein Fleisch mehr hier ist! Jusauf-Bey (Jusauf-Bey esch-Schellali war einer der Seribenbesitzer, der mit diesen von der Regierung übernommen war. Junker (I, 461) beurteilt diesen Mann sehr ungünstig. Er war es, der den durch Schweinfurth berühmt gewordenen König Munsa von Mangbutzu töten ließ. Ihm waren 1878 die Bezirke Mokraka und Rohl zur selbständigen Verwaltung übergeben worden (Junker I, 352). Er wurde 1882 von Khartum mit 3.000 Mann nach Kordofan gegen den Mahdi gesandt und am 7. Juni 1882 mit seiner ganzen Mannschaft niedergemacht. In Schambé wird Jusauf-Bey nicht anwesend gewesen sein, der Hauptort seiner Provinz war Rumbek; 1881 wurde dieses Gebiet mit der Äquatorialprovinz vereinigt.) ist so nachlässig als dick. Heute Post an Gessi expediert. Jeden Tag ist von 9 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags starker Nordwind.
18. November, Montag. Holz genommen, Maschine gebessert und Nugger kalfatiert zur Reise, die, um dem üblichen Vorurteil zu entsprechen, Donnerstag angetreten werden soll. Um 5 Uhr nachmittags Dr. Zucchinetti und Herr Mingsios (Alignos?) Ghattas, Gessi's Schreiber, von Rohl angekommen, beide entlassen. Wundergeschichten von Gessi's Improvisationen.
19. November, Dienstag. Es scheint, dass Gessi am Bahr Ghazal völlig dasselbe leisten wird, was er bei seiner berühmten und von ihm selbst so pomphaft in Szene gesetzten Kaffa-Expedition geleistet — d. h. viel Redensarten, noch mehr Zeitungsartikel und weiter nichts. Übrigens fürchte ich, ehrlich gestanden, für sein Leben nicht im Kriege — dazu ist er zu vorsichtig —, sondern zwischen jener Bande von Danágla, die wütend auf ihn sind. Man erzählt mir, dass Taĩb-Bey und Ibrahim-Bey Feozi zum Tode verurteilt waren!
20. November, Mittwoch. Auch heute Holz genommen und zur Reise vorbereitet sowie die zur Führung nötigen Neger berufen und beschenkt; Boussole geprüft.
21. November, Donnerstag. Um 6:20 vormittags sind wir von Schambé abgereist und sofort in die Wasseransammlungen eingefahren, die östlich vom eigentlichen Fluss in paralleler Reihe eine Kette von seeartigen Becken bilden. Noch nie hat ein Schiff diese Fluten durchschnitten! Zunächst in ziemlich engem, 40—50 Yards breitem, schilfgegürtetem Kanal dahinfahrend, Kommen wir bald zu weiten, scheinbar unbegrenzten, mit Inseln durchsetzen Seebecken, die manchmal, soweit nur das Auge reicht, sich ausdehnen. Zwei weithin sichtbare Doleb-Palmen bilden die einige Erhebung in dem flachen, doch grandiosen Wasserreservoir. Enger und weiter werden die Becken, über die Hirundo senegalensis ihre Kreise zieht; Selten lässt ein Reiher, Seltene Flüge von Rhynchops flavirostris „pflügen“ das Wasser, und noch Seltener lässt ein Nilpferd sich vernehmen. Sonst ist alles öde und leer. Gegen Mittag kommen wir zu einigen im Schilf versteckten Negerhäusern und haben das Ziel erreicht: Vor uns liegt der Fluss auf etwa 800 m völlig verstopft durch Schilf und Grasmassen, während der untere Teil nun freie Fahrt gewährt. Wir lassen hier unsere Führer, die rechte Amphibien scheinen, und fahren in den eigentlichen Fluss, der uns bisher stets zur Linken geblieben, hinein und setzen unsere Reise fort, bis um 11 Uhr nachmittags auf einmal eine neue Verstopfung des Flusses uns Halt gebietet und wir, von Millionen Baudah umringt, zur Nacht bleiben.
22. November, Freitag. Die Untersuchung der Verstopfung, die hier wohl über 1.200 m breit sein dürfte, ergibt die Unmöglichkeit, weiter im Fluss vorzugehen. Die Massen sind zwar nur lose gefügt, und der Fuß sinkt im Gehen darüber tief ein, für den Dampfer ist jedoch eine Gewaltpassage unmöglich. Es existiert aber unmittelbar oberhalb der Verstopfung ein Abfluss nach Westen (links), und da seine Untersuchung mit der Barke uns durch gutes Fahrwasser in weite, weite Wasserflächen führt, entschließe ich mich zum Versuch. Starke Strömung bringt uns in ein enorm ausgedehntes Seen-Netz, das gutes Fahrwasser bietet: Ich lenke die Fahrt mit Boussole und Karte. So gehen wir vorwärts, können aber keinen Auslass in den eigentlichen Fluss finden und sind deshalb gezwungen, eine Strecke zurückzufahren, um bei einigen Negerhütten, die mitten im Schilf stehen, Erkundigungen einzuziehen. Die Bewohner, Nuëhr, haben sich bei unserer Annäherung schleunigst geflüchtet und sind erst nach langem Parlamentieren zur Auskunft zu bewegen; eine angebotene Ziege wird verschmäht, da sie nur Fische essen, einige Lanzen aber und kupferne Armbänder bewegen zwei Männer, sich uns als Führer zu erbieten, und nachdem mir der eine zum Zeichen seiner Freundschaft dreimal in die innere rechte Handfläche gespuckt, ging die Sache ganz gut vorwärts, bis wir uns auf einmal in einem breiten Kanal befinden, den wir ohne Mühe als den eigentlichen Fluss erkennen. Unsere neuen Freunde verabschieden sich in äußerst fluchtähnlicher Weise, und wir finden prächtiges Fahrwasser, das uns schnell vorwärtsbringt. Die eigentliche zweite Verstopfung (die erste ist etwa 30 englische Meilen stromabwärts von Schambé) liegt in der unteren Krümmung zwischen Majet Churschid und Hellet Nuëhr der Karten (Vgl. Nil von Chippendale und Watson). Da der Fluss breit und kein Hindernis ersichtlich, sollte die Nacht durchfahren werden.
23. November, Sonnabend. Wir waren bis gegen Mitlernacht ungestört gefahren, als wir viele schwimmende Grasinseln im Fluss bemerkten. Es steht damit im Einklang dass wir vorgestern und gestern große, völlig freie Wasserflächen gesehen und durchfahren hatten, die früher entschieden nicht existierten und deren Vegetation wir nun im Hinschwimmen hier fanden. Die Grasbüschel mehrten sich in so auffallender Weise, und viele von ihnen waren von solchen Dimensionen, dass sie in dem etwa 70 Yards breiten Flussbette dem Dampfer keinen Raum ließen und wir denselben wiederholt unter Land, d. h. in das Schiff und den Papyrus drängen mussten, bis diese Ungetüme vorüber waren. Da die Inseln sich mehrten und mehrten, ließ ich ankern (um 3 Uhr vormittags), um sie vorausgehen zu lassen, und brach erst früh um 5 Uhr wieder auf, fand mich aber bald wieder mitten unter ihnen, und als es mir endlich, nachdem sie an einer scharfen Biegung sich in Stücke geteilt, gelang, sie zu überholen — freilich auf die Gefahr hin, später von ihnen eingeholt und umringt zu werden — fuhr ich noch etwa eine Stunde weit durch freies Wasser, um mich um 9 Uhr vormittags einer dicken Verstopfung gegenüber zu finden, die den Fluss in seiner ganzen Breite sperrte. Sie muss schon längere Zeit existieren, weil sie sehr fest ist und gut begangen werden kann. Vom Mastbaum aus war in der Richtung des eigentlichen Flusslaufes absolut kein Wasser sichtbar, wohl aber links und rechts Wasserläufe parallel zu uns. Leider existiert hier im Fluss kein Auslass, und die dichten Papyrus- und Schilfwände, die die Ufer vorstellen, sind unmöglich zu passieren. Es hieß also nach dem üblichen Signal mit der Dampfpfeife für etwaige unterhalb liegende Dampfer mit schwerem Herzen zurückkehren: Unser Ziel, die Post nach dem Ssobat zu bringen, war verfehlt. Die Verstopfung muss meiner Meinung nach etwa 20 engl. Meilen stromaufwärts vom Moqren el-Bohúr gelegen sein. Sie ist die größte von den dreien, und da wohl auch noch weiter abwärts Verstopfungen existieren müssen, dürften wir für einige Monate von jeder Verbindung mit Khartum abgeschnitten sein, falls es mir nicht gelingt, von Bor aus Post zu senden. Es hat dies für mich nichts zu bedeuten, weil ich für meine Provinz einstehe und sorgen werde -- aber Gessi?
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