1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Als sie den warmen Atem von Thomas an ihrem Ohr spürte und hörte, wie er sprach, erschauerte sie. Auch, als der Meuchelmörder schon lange weg war, klang es noch in ihrem Ohr: »Euer Mann ist so gut wie tot, Euer Gnaden.«
Marie half Matthias die Treppen hinunter. Er wollte mit eigenen Augen die Felle der toten Wölfe sehen.
Danach redete er mit den Wachen, beschrieb den Ort, wo er sie gefunden hatte.
»Seht euch dort um. Es müssen noch zwei in der Nähe sein. Diese beiden gilt es zu erlegen, bevor sie ein neues Rudel finden. Und sucht nach Spuren von weiteren Wölfen. Aber geht nur am Tag.«
Die Wachen nickten. Es erschien ihnen zu gefährlich, ohne den zweibeinigen Wolf, wie sie ihn jetzt nannten, nach Anbruch der Dunkelheit in den Wald zu gehen.
»Bring mich zu dem Arzt«, bat der Henker Marie. »Ich muss mit ihm reden.«
Als Karl kurz vor dem Mittagsläuten zur Bäckerei ging, klopfte ihm das Herz bis zum Hals. Jedes Mal, wenn er die Gelegenheit bekam, Helga außerhalb der heimlichen Treffen in der Nacht zu sehen, war der junge Knecht ganz aus dem Häuschen. Er war bis über beide Ohren in die Bäckerstochter verliebt. Er empfand auch keine Eifersucht dabei, sie mit Jakob zu teilen. Er hatte nicht einmal das Gefühl, teilen zu müssen.
Helga liebte von Scharfenstein nicht, sondern ihn. Der Patrizier gab lediglich den Ton an. Und brachte sie dabei auf Ideen, die ihnen alleine niemals gekommen wären.
Es gab Tage, da schämte Karl sich seiner eigenen Zügellosigkeit, aber wenn er dann wieder mit den beiden anderen in einer wilden Orgie steckte, war ihm alles egal. Als er die Bäckerei betrat, hüpfte sein Herz vor Freude, seine Geliebte dort alleine vorzufinden.
»Grüß dich Gott, Helga«, sagte er laut genug, um auch in der Backstube gehört zu werden, und setzte leiser nach:
»Sind deine Eltern hier?«
Sie schüttelte knapp den Kopf, aber kein Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen. Sie war bleich, die Augen rotgerändert.
Karl runzelte die Stirn.
»Was ist los mit dir? Hast du geweint?«
Ihr Schluchzen beantwortete seine Frage sofort und er erschrak.
»Um Himmels willen, was ist los?«
»Ach, Karl … wir bekommen Schwierigkeiten … ich glaube, ich kriege ein Kind!«
Die Augen des Knechts wurden groß.
»Ein … ein Kind? Von wem?«
Ein Schnauben kam von der Bäckerstochter.
»Als ob du nicht ganz genau wüsstest, dass ich das so genau nicht sagen kann!«
Zu ihrer größten Überraschung lachte ihr Liebhaber und wirkte dabei weder spöttisch noch hämisch, sondern einfach nur froh.
»Ja, du hast recht, das war eine dumme Frage. Aber es ist auch egal, von wem es ist. Dann heiraten wir eben. Jakob wird das Kind sowieso nicht anerkennen. Aber ich schon, auch wenn’s vielleicht nicht von mir ist.«
Helga wusste nicht recht, ob seine Loyalität sie rühren oder ob sie ihn auslachen sollte.
»Karl … das ist wirklich großartig von dir … aber du weißt, dass mein Vater nie erlauben wird, dass ich einen Pferdeknecht heirate. Eher schickt er mich ins Kloster!«
Empört straffte Karl seine Gestalt.
»Dann wäre er schön dumm! Wenn du im Kloster bist, übernimmt ihm niemand seine Bäckerei. Ich bin zwar nur ein Knecht, aber eine Bäckerlehre kann ich auch machen! Warte nur ab, wir bringen deinen Vater schon zur Vernunft! Und wenn er nicht auf mich hört, na, der Vogt legt schon ein gutes Wort für uns ein! Mach dir keine Sorgen, ich regele das schon für uns!«
Mit einem Optimismus, den Helga beim besten Willen nicht teilen konnte, marschierte Karl aus dem Laden und kehrte in die Vogtei zurück, wo er als Erstes einen Satz heiße Ohren von Berta kassierte, weil er bei aller Freude vergessen hatte, das Brot mitzubringen.
»Er ist bestimmt wieder auf Kräutersuche!«
Marie ächzte mittlerweile hörbar. Sie war mit Matthias, der sich nach wie vor auf sie stützte, über das halbe Gut gegangen und hatte erfolglos nach dem Chirurgen gesucht. Nun ließen sie sich beide unter einer großen Weide nieder und Marie blickte ihren Mann vorwurfsvoll an.
»Weißt du, es wäre viel einfacher gewesen, wenn ich von Brümme gesucht und zu dir gebracht hätte, statt andersherum!«
Markus saß an der Tauber und warf Steine ins Wasser, beobachtete die Kreise, die sich ausbreiteten, und dachte nach.
Er war durch Rothenburg gelaufen, als ihm ein blonder Mann aufgefallen war. Er hatte diesen Mann schon einmal gesehen, mit einer jungen Frau zusammen. Sie waren in einem Haus verschwunden und hatten sich geküsst.
Einem Impuls folgend war Markus ihm wieder hinterher geschlichen und hatte gesehen, wie er in der Kirche verschwunden war. Lautlos war er durch eine Seitentür hineingegangen und hatte sich versteckt.
Er hatte gesehen, wie die Frau des Vogtes, im Gebet vertieft, in einer Bank gekniet hatte, der Mann eine Bank hinter ihr. Markus hatte nicht alles verstehen können, aber es war genug gewesen, dass er sich Sorgen machte. Er hatte nur verstanden, dass der Mann Aufträge für die Frau ausführen sollte. Doch am schlimmsten war der letzte Satz gewesen. Den hatte er deutlich gehört.
»Euer Mann ist so gut wie tot, Vogtin Steiner«, das hatte der Mann gesagt, daran bestand kein Zweifel. Aber was sollte er tun? Wem konnte er es erzählen?
Ihm fiel nur Magdalena ein. Aber würde sie es ihm glauben? Er musste es riskieren. Er stand auf, klopfte sich den Hosenboden ab und machte sich auf den Weg zum ›Goldenen Schwan‹.
Matthias brummte nur. Er verkniff sich die Bemerkung, dass Marie selber schuld war, wollte nicht schon wieder einen Streit vom Zaun brechen. Er war viel zu froh, dass wieder Frieden herrschte.
Da kam der Arzt, leise vor sich hinsummend, aus dem Gebüsch. »Ah, da seid ihr ja, Meister«, rief Matthias ihm zu.
Nikolaus von Brümme sah ihn an, als wenn er der Leibhaftige wäre.
»Seid Ihr denn von allen guten Geistern verlassen? Wer hat Euch erlaubt, aus dem Bett aufzustehen?«, sagte er vorwurfsvoll zu Matthias. Dann sah er Marie an.
»Und du? Willst du deinen Mann unter die Erde bringen? Ich hätte dich für klüger gehalten.«
Marie stieß den Henker sanft in die Seite.
»Siehst du, ich habe ja gewusst, er wird nicht glücklich sein.«
»Das ist mir eigentlich egal«, brummte Matthias. »Er darf mich dafür gleich wieder in mein Bett bringen. Aber erst will ich wissen, wo diese angebliche Geheimbibliothek sein soll.«
Der Arzt zuckte mit den Schultern.
»Meister Matthias, ich weiß es nicht genau. Aber ich bin mir sicher, dass dieser elende kleine Mistkerl mehr Geheimnisse hat, als gut für ihn und uns alle ist. Wenn einer etwas weiß, dann aller Wahrscheinlichkeit nach er.«
Matthias sah den Arzt an.
»Ihr wisst auch mehr, als Ihr mir verratet. Wo ist die Schwachstelle des Schreibers? Ich bin mir sicher, Ihr kennt sie.«
Von Brümme sah Matthias an, dann seufzte er.
»Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe einmal gehört, er soll bei der Fleischeslust einen sehr, nun ja, exquisiten Geschmack haben.«
Marie sah den Mann verblüfft an. Dass der Schreiber überhaupt eine solche Lust haben sollte, das erschien ihr undenkbar. Und dass es jemanden geben sollte, der sich mit diesem Mann einließ, das konnte sie sich erst recht nicht vorstellen. Matthias aber schnaubte nur.
»Nun redet endlich. Was meint Ihr damit?«
»Er, nun ja«, er sah Marie an, »er … mag nicht … so sehr Frauen …«
Marie bekam rote Ohren, Matthias lachte.
»Ihr wollt mir sagen, unser Schreiber ist einer, der es lieber mit einem Mann treibt?«
Der Arzt nickte.
»Aber vielleicht fragt ihr lieber Eure Freundin im ›Goldenen Schwan‹, ich habe gehört, dort gibt es ein Mädchen, das sich regelmäßig als Mann verkleidet und zu dem Schreiber gehen soll.«
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