Pater Remigius schrieb alles säuberlich auf das Papier und las es Magdalena vor.
Vor der Tür biss Irmtraud sich in die Knöchel der geballten Faust, um nicht laut zu schreien vor Wut. Sie fühlte sich verraten, verkauft! Diese Hexe sollte den Gasthof übernehmen. Das war für sie eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Sie schlich sich leise davon und dachte über Rachepläne nach. Niemals würde sie zulassen, dass die Hure des Schinders den ›Goldenen Schwan‹ bekäme. Und wenn sie dafür ihre Seele verkaufen müsste!
Magdalena setzte mittlerweile ihr Zeichen unter das Testament. Der Pfarrer fertigte eine Zweitschrift an, auch diese unterschrieb sie. Danach zeichnete Pater Remigius gegen, siegelte beide Schriftstücke und reichte eines Magdalena.
»Dieses solltest du an einem sicheren Platz aufbewahren. Ich werde das andere für dich in Gewahrsam nehmen.«
Magdalena nickte.
»Ich danke Euch, Hochwürden. Ich bin mir sicher, bald wird die neue Glocke alle Kinder des Herrn in den Ohren klingen. Würdet Ihr noch ein Gebet mit mir sprechen?«
Das konnte Pater Remigius nicht ablehnen, kniete mit der Frau vor dem Kruzifix und betete mit ihr gemeinsam. Als sie geendet hatten, segnete er Magdalena und verließ den ›Goldenen Schwan‹.
Die Wirtin war zufrieden. Da Marie nicht freiwillig das Lokal übernehmen wollte, hatte sie einen Weg gefunden, sie doch dazu zu bringen. Sie war sich sicher, dass Marie ihr den letzten Willen erfüllen würde.
7. Kapitel
Die Sonne sank schon langsam, aber es war immer noch wunderbar warm draußen. Nikolaus von Brümme war den ganzen Tag durch die kleineren, umliegenden Gehöfte gezogen und hatte nach dem Rechten gesehen, Kranke versorgt und Medizin verteilt. Als er zurückkam, mit einem der Soldaten im Schlepptau, war er zufrieden. Schon von Weitem sah er die breite Gestalt des Henkers, der vor dem Haus in der Sonne saß. Marie und Lotte räumten die letzten Reste des Abendmahls von einem Tisch. Offenbar war im Freien gegessen worden. Lotte blieb in der Türfüllung stehen und sah ihm missbilligend entgegen.
»Du kommst zu spät zum Abendbrot, du Quacksalber! Auf meinem Hof gibt es so was nicht. Wer zu spät kommt, isst nicht.«
»Lotte …«
Marie klang halb amüsiert, halb tadelnd, und die Alte knurrte.
»Na gut, du hast Glück, Marie hat Einspruch eingelegt … wir haben euch etwas übrig gelassen!«
Von Brümme verbeugte sich überschwänglich.
»Zu gütig von Euch, Lotte. Der Herr wird es Euch vergelten.«
Lotte brummte nur, während Marie schon das Abendessen auftrug. Sie setzte sich neben ihren Mann. Der Chirurg und der Soldat machten sich hungrig über die deftigen Schinkenbrote her.
»Ihr seht gut gelaunt aus, Meister von Brümme«, stellte sie fest, aber der Chirurg hörte deutlich die Frage dahinter.
»Das bin ich«, erwiderte er. »Keine schlimmen Krankheiten und ich habe unterwegs alle Kräuter gefunden, die ich gesucht habe.
Maries Augen leuchteten auf.
»Zeigt Ihr mir, wie man die Medizin bereitet?«
Von Brümme nickte und wandte sich dann an Lotte, um ihr alles aufzuzählen, was er brauchte. Zusammen mit Marie beschaffte sie sämtliche Werkzeuge und blieb dann ebenfalls am Tisch sitzen - medizinische Kenntnisse konnte man schließlich nie genug haben!
Als sie dann alle gemeinsam den Erklärungen des Chirurgen lauschten und zusahen, wie er die Kräuter in eine Medizin verwandelte, von der Marie sich ein kleines Wunder erhoffte, wünschte die Blonde sich, Magdalena auch noch herholen und einfach hier bleiben zu können. Weit weg von all den Intrigen und Anfeindungen der Stadt, einfach glücklich und zufrieden.
Die beiden Wachmänner, die der Vogt ihnen mitgegeben hatten, schienen äußerst zufrieden zu sein. Kein Wunder; hatte Matthias doch bereits das Rudel der Wölfe fast komplett erlegt, sodass sie sich nicht mehr in große Gefahr begeben mussten. Doch dann spitzte Matthias auf einmal die Ohren.
»Ha, diesem Wolf haben wir es gegeben, oder?«, plusterte sich einer der beiden auf. »Ich wette, das Vieh liegt irgendwo im Gebüsch und krepiert.«
Der andere nickte.
»Mit Sicherheit. Du hast es ja mit dem Pfeil gut erwischt.«
Matthias stand langsam auf und ging zu den beiden herüber. Marie sah ihm nach und fragte sich, was jetzt wieder los war. Das hörte sich doch gar nicht schlecht an.
»Ihr beiden, auf mit euch!«, befahl Matthias den Wachmännern.
»Wieso denn?«, brummten sie beide.
»Weil ihr zu dumm seid, um einen Haufen in den Abtritt zu setzen!«
Einer der Wachmänner sprang auf, Wut verzerrte sein Gesicht.
»Was wollt Ihr damit sagen?«
Matthias sah dem Mann in die Augen.
»Ihr habt einen verletzten Wolf im Wald gelassen? Ist das richtig?«
»Ja. Aber der ist bestimmt schon tot.«
»Bestimmt schon tot!«, höhnte Matthias. »Eigentlich müsste ich euch beide am nächsten Baum festbinden und warten, bis dieser ach so tote Wolf euch beide holt. Ein verletztes Tier ist gefährlicher als ein gesundes! Man weiß nie, was es machen wird. Es kann sein, dass dieser Wolf diese Nacht hier auftaucht und sich an den Rindern oder Schafen gütlich tut, weil er keine Rehe mehr jagen kann.«
Jetzt kam auch Lotte und hieb mit ihrem Gehstock dem noch sitzenden Wachmann auf den Kopf, dass es nur so krachte.
»HE!«, schrie dieser auf. »Alte Vettel! Wenn Ihr nicht so gebrechlich wäret, würde ich Euch zeigen …«
Weiter kam er nicht, denn Matthias verpasste ihm eine Schelle, dass er von der Bank flog.
»Zeigt mehr Respekt!«, brüllte er jetzt.
Lotte deutete mit ihrem Gehstock auf den am Boden liegenden Mann.
»Ich habe bis heute nicht gewusst, dass man Scheiße zum Reden bringen kann. Aber du da, du bist wohl ein Wunder der Schöpfung! Und du«, sie zeigte auf den anderen Wachmann, der mit roten Ohren da stand, »bist genau so nutzlos wie dieser braune Stinkhaufen dort!«
Lotte war wütend. Jedes Kind wusste, dass ein verletzter Wolf mehr als nur gefährlich war. Er war tödlich. Jeder, der sich in den Wald begab, schwebte zurzeit in Lebensgefahr, bis das Tier entweder tot aufgefunden oder endgültig zur Strecke gebracht worden war. Matthias hatte sich inzwischen sein Schwert und seine Axt geholt.
»Los, ihr nehmt ein paar Stricke. Wir müssen das Tier finden!«
Widerwillig folgten die beiden Soldaten seinem Befehl. Marie eilte zu ihrem Mann.
»Matthias, ist das nötig? Es wird bald dunkel.«
Er nickte.
»Ich weiß. Aber wenn wir das nicht, so schnell es geht, erledigen, wird es brenzlig. Stell dir vor, eines der Kinder geht hinters Haus und wird von dem Wolf angefallen. Ein verletzter Wolf kann nur das jagen, was schwächer als er ist.«
Marie verstand.
»Bitte sei vorsichtig.«
Er legte ihr eine Hand auf die Wange.
»Das verspreche ich dir.«
Er gab ihr einen Kuss, dann winkte er die beiden Wachen mit sich und gemeinsam verschwanden sie im Wald.
»Zeigt mir, wo ihr das Tier gefunden habt.«
Nach einer Weile kamen sie an die Stelle. Matthias untersuchte die Gegend und fand eine Blutspur. Anscheinend hatten sie den Wolf wirklich verletzt. Er bedeutete den Wachen, hinter ihm zu bleiben, und pirschte sich langsam durch das Unterholz. Immer wieder blieb er stehen, suchte, schaute. Er folgte der Spur, bis er auf einen schmalen Weg stieß. Er sah nach links und rechts. Auf einmal hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Langsam drehte er den Kopf.
Da saß der Wolf. Mitten auf dem Weg! Er sah ihn an, machte aber keinerlei Anstalten, ihn anzugreifen. Die beiden Wachen polterten aus dem Gebüsch.
»Das ist er!«, rief einer der Wachen. »Soll ich ihn erledigen?«
Matthias schüttelte den Kopf. Irgendetwas stimmte hier nicht. Der Wolf saß ganz ruhig da und beobachtete ihn.
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