Aber ich liebe Kutschenfahren und ich liebe Reisen, schaue immerfort nach draußen zu den Bergen, die in ein milchiges Licht getaucht sind. Allein das Wort Reise übt einen unwiderstehlichen, fast magischen Reiz auf mich aus. Wenn ich erwachsen bin, will ich nur noch reisen, egal wohin, ans Ende aller Zuggleise und darüber hinaus. Ich will auch das Meer sehen und mit einem Schiff fahren. Im Gegensatz zu Néné wird mir nämlich dabei nicht schlecht.
Die Kutsche hält mit einem Ruck und mir wäre beinahe das Buch ausgekommen und der Bleistift zu Boden gekullert, so sehr war ich in meine Gedanken versunken. Schnell klappe ich das Buch zu.
„Wir machen eine kleine Rast, Néné und ich haben furchtbares Kopfweh und müssen uns ausruhen. Man soll uns Eiswasser zur Kühlung bringen,“ befiehlt Mama der Kammerzofe.
Ich mustere Néné, als wir aussteigen, sie ist ganz blass und tut mir furchtbar leid. Wahrscheinlich hat sie Angst, hätte ich an ihrer Stelle auch.
„Mir ist so furchtbar übel.“
Néné seufzt erleichtert auf, als sie festen Boden unter den Füßen hat. „Wahrscheinlich mag mich der Franzl nicht und ich werde keine Kaiserin. Warum müssen wir ausgerechnet jetzt wegen einem Todesfall in der Familie schwarz tragen. Diese Farbe steht mir gar nicht, ich sehe damit alt, trist und grau aus wie eine Nonne.“
Mama guckt indigniert, weil sie es nicht leiden kann, wenn wir jammern und ich umarme Nene ganz fest.
„Das trägst du doch nur auf der Reise, du ziehst dich nachher um. Was du in Ischl anziehst, wird in München ja niemand erfahren. Du wirst dich von deiner besten Seite zeigen und der Kaiser wird dich bezaubernd finden. Und jetzt will ich keine Klagen mehr hören. Und mach um Gotteswillen kein so verdrießliches Gesicht. Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester“, schimpft meine Mutter die arme Néné aus.
„Du bist doch so viel hübscher als ich, du wirst bestimmt eine formidable Kaiserin, ganz bestimmt“, flüstere ich tröstend in ihr Ohr.
16. August 1853
Es ist spät abends. Ich habe den Kaiser gesehen, er sieht gut aus, ist schlank, blond, hat ein feines, weiches Gesicht und er trägt Uniform. Ich gestehe, ich mag Männer in Uniformen, schon der gute Richard, den ich am Hofe meines Vaters kennenlernte, trug eine und sah so schneidig aus, dass ich mich in ihn verliebte. Heimlich mit der Hilfe meiner kleinen Schwester Marie traf ich mich mit ihm und tauschte schüchterne Worte und Blicke aus. Ganz traurig war ich, als er plötzlich fort aus meinem Leben war. Weggeschickt hatten sie ihn aus dem Hofdienst und die Mama hatte mich arg gescholten und mehr Anstand und Standesbewusstsein von mir gefordert. Der arme Richard war zu allem Überfluss am Fieber gestorben, sodass ich ihn nie wieder gesehen habe.
Néné hat also Glück über so einen Mann mit einer so schmucken Uniform!
Ich würde dennoch nicht mit ihr tauschen wollen. Die Menschen hier am Hofe gefallen mir nämlich gar nicht, sie kommen mir falsch und bösartig vor und ich habe Angst vor ihnen. Die Tante Sophie ist ziemlich furchteinflößend, obwohl sie Mama herzlich umarmt hat. Mir graut vor ihr. Ihr Mann, Franz Karl, ist sehr nett, aber steht völlig in ihrem Schatten seiner Frau und hat nicht viel zu melden. Keine Frage, wen ich lieber mag von den beiden.
Als der Franzl mich angeschaut hat, bin ich rot geworden, wie eine richtig dämliche Provinzgans kam ich mir vor und hab verlegen zum Karl Ludwig rüber geschaut, der ziemlich eifersüchtig auf seinen Bruder schien.
17. August 1853
Beim Nachmittagstee im Seeauer-Haus an der Esplanade saß ich dann mit meiner Erzieherin an der Kindertafel und die Néné beim Kaiser. Ich war aufgeregt wegen der vielen Menschen und hatte ohnehin keinen Appetit. „Die Néné hats gut, die hat schon so viele Menschen gesehen, aber ich nicht, mir ist so bange, dass ich gar nichts essen kann“, raunte ich der Gouvernante zu, die neben mir Platz genommen hatte.
Am 18. August feiern wir den 23. Geburtstag des Kaisers. Wahrscheinlich wird dann auch seine Verlobung mit Néné bekannt begeben. Ich würde es ihr so wünschen, sie ist nämlich immer noch so aufgeregt und ziemlich blass. Sie hat wieder einmal ihre scheußliche Migräne. Zu Beginn war ja nicht einmal die zweite Kutsche mit den Kleidern da und sie musste in der schwarzen Trauerkleidung, in der sie so traurig, trist, ernst und gar etwas streng aussieht, vor den Kaiser treten.
Ich hätte ihr am liebsten zugeraunt: „Nimm es leicht, denn sonst mag der Kaiser dich nicht.“
Heute Abend ist ja noch der große Ball und da muss Néné glänzen! Ich darf auch teilnehmen, weil ich mich an der Kindertafel recht gut betrug. Mein erster Ball und Nénés großer Auftritt.
Es muss alles gut gehen für sie!
18. August 1853
An des Kaisers Geburtstag goss es in Strömen und ich bin beim Geburtstagsmittagessen an der Tafel neben dem Franz gesessen und die Néné an meinem Platz am Ende der Tafel.
Irgendwie schien der Kaiser mich netter als Néné zu finden. Er war gehörig eifersüchtig, als der Karl Ludwig gestern nach dem Tee auf der Terrasse mit mir plauderte. Ständig sah er zu uns hinüber, was auch der Nene nicht entging und sie verdrießlich stimmte.
Heute nach dem Mittagessen sind wir dann im Wagen zum Wolfgangsee ausgefahren, wobei die Néné auf einmal wie ein Wasserfall geredet hat und den ganzen Charme versprühte, den sie die ganzen Tage missen ließ. Wahrscheinlich, um dem Kaiser zu gefallen. Was ihr gestern Abend beim Ball nämlich leider nicht so recht gelang und die Weichen dafür stellte, dass das Unfassbare passieren konnte. Das Unfassbare, auf das ich später noch zurückkommen werde, denn erst mal der Reihe nach.
Schon gestern Abend sah er nur zu mir ans Ende der Tafel, wo ich mit meiner Gouvernante saß und im Essen herumstocherte. Dabei gab sich die Néné doch solche Mühe, ihn zu zerstreuen. Und sie sah wunderschön aus mit ihrem Kleid aus schwerer Atlasseide, den juwelenbesetzten Kämmen und den Efeuzweigen in ihrem dunklen Haar. Die Kutsche mit der Kleidung war ja mit einer gehörigen Verspätung eingetroffen. Sie sah prachtvoll aus und ich kam mir mit meinem rosafarbenen Musselinkleid mit der altrosa Schleife um meine Taille und den winzigen Puffärmeln wie ein Backfisch vor.
Und mit wem hat er getanzt?
Mit mir, statt mit der Néné, die stumm mit den Tränen kämpfend an der Tafel saß. Selbst den Kotillon, als wir zu Mitternacht in seinen Geburtstag hineintanzten, den tanzte er mit mir, so als wolle er sich mit mir verloben statt mit der Néné. Die Ärmste saß ganz aufgelöst wie festgewachsen auf ihrem Stuhl, denn niemand hatte sie aufgefordert und sie sah aus wie ein wunderschönes Mauerblümchen.
Eine Kaiserin, die keiner will!
Und ich fühlte mich nur geniert und hatte Angst, den Kotillon zu verderben und hinzufallen.
Vielleicht will er ja an Nénés Stelle mich?
Nicht auszudenken!
„Sisi, die Erzherzogin hat mich gerade besucht und lange mit mir gesprochen. Du weißt, was das bedeutet“, sagt Mama und nimmt meine Hand, die sich auf einmal ganz kalt anfühlt, in die ihre. „Der Kaiser hat sich für dich entschieden, du sollst seine Frau werden.“
Der Franzl, nein der Kaiser – er will nicht die Néné heiraten, sondern – mich!!! Tante Sophie und der Kaiser haben deshalb bei Mama, weil ja Papa nicht da ist, um meine Hand angehalten.
Was soll ich machen, ich habe solche Angst.
Wieso will er ausgerechnet mich heiraten? Ich bin doch so jung, so unbedeutend, nicht besonders hübsch.
Die arme Néné, sie tut mir so leid, sie wollte doch unbedingt Kaiserin werden. Wie mag sie sich fühlen?
Ich wollte doch nie Kaiserin werden.
Nie!!!
Verwirrt sehe ich Mama und meine Gouvernante an und denke an Tante Sophie, die mir Angst macht, weil sie so streng ist und mich nicht leiden kann. In der Hoffnung, ich hätte mich verhört, aber das habe ich leider nicht. Sie wartet auf eine Antwort von mir, am liebsten würde ich fortlaufen.
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