Francis dachte zuerst, sie habe einen Scherz gemacht. Doch dann wurde ihm klar, dass Sarah mit so etwas nie scherzen würde. Er seufzte. Jetzt wollte sie seine Männlichkeit sehen! Er musste sich zusammennehmen, um seine Gedanken nicht herauszuschreien. »Hättest du mal vorher meine Hosen runtergezogen! Dann wäre uns das hier erspart geblieben!«
Doch er schwieg, biss die Zähne zusammen und ließ folgsam die Hosen herunter. Er hoffte nur, sie würde ihn nicht auch noch anfassen. Dann könnte er womöglich für nichts mehr garantieren.
Sarah musste sich zusammenreißen, um eine neutrale Miene zu machen, als Francis endlich die Hosen herunterließ. Sie hielt die Luft an, war einerseits schrecklich neugierig auf das, was er dort unten mit sich trug, und hatte andererseits entsetzliche Angst davor, eine weit fortgeschrittene Krankheit, Geschwüre oder Narben zu sehen. Sie atmete auf, als nichts davon zu sehen war. Was immer ihr Vater ihm zur Behandlung des juckenden Ausschlages gegeben hatte, es schien geholfen zu haben. Sie sah nur ein paar blassrötliche Flecken – und das Instrument, dass sie gerne unter anderen Umständen gesehen hätte.
Sarah hoffte, dass ihre Wangen nicht so rot waren, wie sie sich anfühlten, als sie eine schnelle Skizze und ein paar Notizen machte und ihn mit einer Stimme, die nur ein klein wenig heiser klang, fragte, ob er zur Zeit Beschwerden hätte, welcher Art sie seien und womit ihr Vater ihn bisher behandelt hätte.
Francis betrachtete Sarah von oben, wie sie vor ihm kniete. Genau so hatte die andere Frau auch gekniet, als sie …
Er dachte schnell an etwas anderes, bevor sein Glied ihn verraten würde. Endlich war Sarah fertig und er konnte die Hosen wieder anziehen. Sarah kicherte auf einmal nervös.
»Was ist denn so lustig daran, einen Mann mit runtergelassenen Hosen zu sehen?«, fragte er leicht pikiert.
»Stell dir nur vor, meine Tante wäre JETZT hier reingeplatzt!«
Darüber musste auch Francis lachen. Alleine die Vorstellung, dass dieser alte Drache vielleicht in Ohnmacht gefallen wäre, ließ einen Schauer der Freude durch ihn hindurchlaufen. Doch er beherrschte sich.
»Sarah, wie geht es weiter? Ich meine, mit uns? Glaubst du, dass du mich heilen kannst?«
Constable Miller streifte durch Whitechapel. Er suchte nach Horatio und überlegte, welchen Vorwand er nutzen könnte, um ihn, wieder einmal, zu verhaften. Auf einmal tippte ihn jemand von hinten an.
»Hallo Constable, suchen Sie mich?«
Der Angesprochene fuhr herum. Vor ihm stand Horatio Gordon und grinste.
»Wollen Sie mich schon wieder verhaften, damit Abberline mit mir plaudern kann? Wissen Sie was, Miller? Ich nehme Ihnen die Arbeit heute mal ab und komme so mit. Gehen Sie voraus, ich folge Ihnen mit zehn Schritten Abstand.«
Miller nickte. Er mochte Horatio nicht besonders. Dieser Kerl war aalglatt, gewitzt und vor allem furchtlos. Eine Kombination, die der Polizist nicht mochte.
Doch er drehte sich um und marschierte zurück in Richtung Revier. Horatio folgte ihm. Er wollte Miller weiter beobachten. Constable Miller war seit fast vierzig Jahren bei der Polizei und kannte die meisten der Kollegen. Er war ein unbeschriebenes Blatt, ein Joker für Horatio. Dieser Mann war, in Horatios Augen, wohl der einzige Polizist in London, der nicht bestochen war. Vielleicht noch mit Ausnahme von Abberline. Leider gab es zu wenige Beamte, denen die Berufsehre noch etwas bedeutete. Er hatte die Befürchtung, dass die ehrlichen Polizisten langsam aussterben.
Polly erwachte aus ihrem Rausch. Sie konnte immer noch nicht glauben, was geschehen war. Erst verprügelte sie ein Polizist, dann erhielt sie fünf Shilling! Und eine Flasche vom Feinsten! Das musste gefeiert werden. Aber erst musste sie den Whisky loswerden. Danach würde sie noch ein paar Freier bedienen. Vielleicht kam ja der feine Pinkel noch einmal. Fünf Pfund hatte er ihr damals gezahlt. Aber er wollte das volle Programm, eine Lehrstunde. Und die hatte er bekommen. Und eine kostenlose Zugabe obendrein.
Sarah blickte ihren Verlobten an. Die Hoffnung in seinem Blick berührte sie tief und sie ergriff seine Hände.
»Ich will ganz ehrlich zu dir sein, Francis – ich weiß es nicht. Bevor ich irgendetwas an dir ausprobiere, was vielleicht mehr schadet als nutzt, werde ich einige Dinge, die aus der neuen Welt kommen, an meinen Patienten in Whitechapel testen. Ich habe etliche Bücher in der Bibliothek der medizinischen Fakultät gefunden, in der sehr beeindruckende Berichte von Seefahrern stehen. Angeblich kennen die Ureinwohner von Amerika sich sehr gut mit der Behandlung dieser Seuche aus, aber ich bin nicht sicher, ob es sich dabei nur um Seemannsgarn handelt oder ob es einfach nur Zufall ist, dass die Methoden wirken. Es geht natürlich ausschließlich um Naturheilmittel.« Sie machte eine kurze Pause, fuhr fort. »Auch in Büchern über andere Länder, in denen diese Seuche nicht bekannt war, bevor die ›zivilisierten Menschen‹ dort ankamen, wurden solche Methoden erwähnt. Deshalb werde ich Zeit brauchen. Solange solltest du dich auf die Behandlung meines Vaters verlassen. Sie heilt zwar nicht, kann dich aber auf lange Zeit beschwerdefrei halten und vielleicht auch das Fortschreiten verzögern.«
Francis konnte die Leidenschaft für ihre Ideen in Sarahs Augen sehen. Er traute ihr durchaus zu, etwas bewegen zu können.
»Und du willst die Verlobung wirklich aufrechterhalten?«, forschte der junge Gordon nach. »Du könntest sicher schnell eine neue Liebe finden. Ich weiß, dass sich viele der Londoner Junggesellen aus besten Kreisen für dich interessieren. Du willst doch sicher immer noch heiraten und Kinder haben, oder?«
Sarah schüttelte energisch den Kopf.
»Bevor ich dich getroffen habe, hatte ich überhaupt kein Interesse daran, eine Familie zu gründen. Ich wollte Ärztin werden, Menschen helfen. Und wenn ich dich nicht heiraten kann, dann will ich gar keinen haben. Ein Mann und Kinder würden mich bei dem, was ich erreichen will, nur behindern.« Ihre Miene zeigte keine Wehmut, sondern nur Entschlossenheit. Francis drückte leicht ihre Hände.
»Du bist eine bemerkenswerte Frau, Sarah. Ich kann mich glücklich schätzen, dich meine Verlobte nennen zu dürfen.«
»Inspector!«
Der Ruf hallte durch die Büros und galt Inspector Abberline. Ein Officer in der typischen Uniform der Londoner Polizei polterte durch die Tür.
»Was ist denn los, um Himmels willen?«, brummte Abberline.
»Leichenteile, Sir!«, keuchte der junge Mann.
Abberline schoss aus seinem Stuhl hoch.
»Leichenteile?«
»Ja Sir. Man hat sie bei Rainham aus der Themse gefischt.«
Abberline ging zu dem großen Stadtplan, der an einer Wand seines Büros hing, und suchte mit dem Finger auf der Karte nach der Stelle.
»Seltsam.« Er wandte sich an den jungen Officer. »Sind die Teile schon in der Gerichtsmedizin?«
»Ja Sir. Dr. Galloway untersucht die Schenkel bereits.«
»Schenkel? Meine Güte, das klingt ja, als wenn jemand ein Huhn tranchiert hat«, brummte der Inspector, als ein weiterer Officer durch die Tür eilte.
»Und was wollen SIE?«, blaffte Abberline den blassen Mann an.
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